Umstrittene Reform

Gewalt, Einbrüche und Co – darum haben Straftäter weniger zu befürchten

Montag, 30. Januar 2023 | 07:55 Uhr

Bozen – Ein Paar streitet sich am Ufer der Talfer in Bozen. Plötzlich holt er aus und schlägt ihr mit der Faust ins Gesicht. Der Vorfall hat sich erst vor Kurzem ereignet, doch der Mann braucht sich wegen eines möglichen Nachspiels keine Sorgen zu machen: Weil die Frau keine Anzeige erstattet, wird der Fall – dank der sogenannten Cartabia-Reform – nicht mehr von Amts wegen verfolgt. Gerade das bereitet einigen jedoch Kopfzerbrechen.

Die Frau ist während des Streits mehrmals zu Boden gestürzt. Auch die Polizei ist eingeschritten. Doch weil sie ihren Partner nicht anzeigen will, hat er nichts zu befürchten. Doch nicht nur bei Körperverletzung bleiben den Behörden die Hände gebunden.

Auch im Fall von Einbrüchen und Diebstählen wird nicht mehr von Amts wegen ermittelt, falls keine Anzeige erstattet wird und die Betroffenen nicht als „Nebenkläger“ auftreten. Dasselbe gilt für Entführung in nicht schwerwiegenden Fällen, für Hausfriedensbruch oder im Fall von Verletzungen bei Verkehrsunfällen.

Wurde keine Anzeige erstattet, kann das Vergehen nach drei Monaten nicht mehr verfolgt werden. Der Staat will durch die Reform wohl in erster Linie die Justiz entlasten. Italien ist in der Vergangenheit von EU wegen der Rückstände bei den Gerichtsverfahren gerügt worden.

Franco Biasi, der Präsident der Anwaltskammer in Bozen, weist allerdings auch auf die Schattenseiten der Reform hin. „Auf viele dieser Vergehen wird Straffreiheit folgen. Statistisch gesehen, wird bei kleinen Fällen von Diebstahl nur jeder zweite angezeigt“, warnt Biasi.

Nicht jeder würde sich die Arbeit antun, sich zur Quästur oder zur Carabinieri-Station zu begeben und sich – falls nötig – auch einen Anwalt zu nehmen. Ob es einer Gesellschaft guttut, wenn Straftäter ungeschoren davonkommen, bleibt allerdings fraglich.

Die Cartabia-Strafrechtsreform ist seit 30. Dezember 2022 in Kraft und trägt den Namen von Marta Cartabia, der Justizministerin in der Regierung Mario Draghi. Zu den Neuerungen zählen unter anderem auch, dass verkürzte Verfahren begünstigt werden.

Von: mk

Bezirk: Bozen