Schweizer Förster ist entsetzt

„Habt ihr den Kampf gegen den Borkenkäfer schon aufgegeben?“

Samstag, 15. Oktober 2022 | 13:39 Uhr
Wald Südtirol Borkenkäfer

Bozen – Meinrad Lüthi ist ein bald in Pensionierung gehender Förster und Betriebsleiter aus Büren an der Aare im Kanton Bern in der Schweiz. Seine Frau und er hegen eine große Schwäche für Südtirol und haben das Land des Öfteren in ihren Ferien besucht. Als sie letzte Woche erneut durch Südtirol fuhren, zeigte sich der Waldexperte allerdings über das Ausmaß des Borkenkäferbefalls entsetzt. Kurzerhand entschloss er sich, dem Südtiroler Forstamt einen offenen Brief zu schreiben.

„Letzte Woche verbrachten meine Frau und ich wieder einmal eine Woche Ferien im sonnigen, wunderschönen Südtirol“, heißt es in dem Brief. Lüthi fuhr allerdings nicht ganz ohne Hintergedanken durchs Land. Sein heimliches Ziel als Förster sei es gewesen, die Spuren des Sturmes Vaia vom 29. und 30. Oktober 2018 zu verfolgen und um zu schauen, wie es nun aussieht. „Ich habe Ihre Situation im Herbst 2018 sehr gut und mit Schrecken in den Medien mitverfolgt. Da es damals im Jahr 2018 europaweit im Verlaufe des Jahres sehr große Waldschäden durch den Sturm Burglind, die Trockenheit und den Borkenkäfer gab, entstand eine sehr große Holzschwemme mit historisch tiefen Holzpreisen von denen auch wir stark betroffen waren“, schreibt Lüthi.

Die Ereignisse haben ihn tief bewegt. „Ich sagte damals zu meinen Försterkollegen: ‚Jetzt auch noch dieser Sturm Vaia in Südtirol‘, wieso muss das sein?“

Letzte Woche fuhr Lüthi ins Eggental Richtung Welschnofen zum Karerpass und zum Lavazejoch. Die Waldschäden des Sturmes kamen recht schnell zum Vorschein. „Als ich dann aber genau hinschaute, musste ich leider feststellen, dass nun auch der Borkenkäfer massiv wütet“, bedauert Lüthi.

LPA/Forstabteilung

Die von ihm und seiner gesehenen Vaia-Windfallflächen wurden mit ganz kleinen Ausnahmen vollumfänglich geräumt. „Bravo für diese Superleistung bei diesen damals himmeltraurigen Holzpreisen“, betont der Schweizer Förster.

Der Hotelier vom Hotel „Schönwald“ in Welschnofen erklärte den Gästen, dass sich der Borkenkäfer auch wegen des liegengebliebenen Schneedruckholzes im November 2019 in der Lage gewesen sei, sich sehr stark zu vermehren.

Bei der Weiterfahrt durchs Fleimstal, nach Canazei zum Fedaia-Pass, zum Sellajoch, nach St. Christina, nach St. Magdalena, aufs Würzjoch sowie nach Untermoi und Lüsen musste Lüthi allerdings mit Schrecken feststellen, dass überall der Borkenkäfer wütet. Zum Teil sind ganze Fichtenwälder befallen, häufig sah er auch überall kleinere und größere noch begrenzte Käfernester.

„Leider musste ich aber auch auf unserer ganzen Rundtour feststellen, dass ich selten eine Motorsäge surren hörte, keine arbeitenden Holzergruppen, keine Holzerntemaschinen (Harvester/Forwarder), keine installierten Holzseilbahnen, keinen einzigen Helikopter, der Käferholz rausflog, sah“, stellt Lüthi in dem Brief fest, „waren eventuell alle Forstarbeiter und Förster auf der Jagd?“

Wörtlich schreibt Lüthi weiter:

Liebe Südtirolerinnen, Liebe Südtiroler Waldverantwortliche was ist los, haben Sie den Kampf gegen den Borkenkäfer nie angefangen oder bereits aufgegeben?

Das ist ein sehr gefährliches Spiel was Sie hier machen, wenn Ihnen die Natur (Nässe/Kälte im Sommer) im nächsten und übernächsten Jahr nicht hilft, sind alle wunderschönen Fichtenwälder vom Borkenkäfer aufgefressen: Nach meiner Erfahrung macht er auch vor der Lärche nicht halt. Nicht daran zu denken, was das für negative Auswirkungen auf Ihre Zukunft hat: Tourismus, Sicherheit (Lawinen, Überschwemmungen, Verklausungen, Murgänge, Rutschungen, usw.), regionales Klima, längerfristige Holzversorgung usw. Und ich schwärmte immer vom traumhaften Südtirol, von seinen wunderschönen „Bergen, Wiesen, Seen und Wäldern“.

Er habe schon als neunjähriger Bauernsohn die Bekanntschaft mit dem Borkenkäfer gemacht, als sein Vater im Windfall-, Hitze- und Trockenjahr 1967 mit ihm im Sommer in den Wald gegangen sei und frische vom Borkenkäfer befallene Fichten gefällt habe, schreibt Lüthi. Sein Vater habe den Stamm auf Tüchern gerollt und von Hand entrindet. Danach habe er die vom Borkenkäfer befallene Rinde und das Astmaterial sofort verbrannt.

„Als nun langjähriger Förster und Betriebsleiter war die Borkenkäferbekämpfung immer eine Hauptaufgabe meiner Tätigkeit. Ich habe es trotz diverser Sturmereignisse – vor allem Orkan Lothar -, der immer stärker werdenden Klimaerwärmung (Trockenheit/Hitze) geschafft, in den mir anvertrauten Wäldern den Borkenkäfer immer wieder erfolgreich zu bekämpfen. Ausrotten kann man ihn nicht“, betont Lüthi

Meine Mitarbeiter und ich arbeiteten nach dem Borkenkäferbekämpfungssystem: „Heute gesehen/aufgespürt, morgen gefällt/aufgerüstet und übermorgen aus dem Wald abgeführt (direkt in die Sägerei unters Wasser oder ans Trockenlager, mind. 800 bis 1000m vom nächsten Fichtenbestand weg)“.

Im jetzigen Zustand der Wälder habe Südtirol seiner Ansicht nach nur noch eine Möglichkeit, und zwar den landesweiten Waldnotstand zu verfügen. Das bedeute: in den Wäldern mit Käfernestern mit allen Ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln sofort alle vom Borkenkäfer befallenen Fichten zu entfernen oder unschädlich zu machen (Entrindung mit Eder oder Biber). „Die noch restlichen grünen Fichtenwälder in den Talschaften mit jetzt schon sehr ausgedehntem Käferbefall sind von mir aus praktisch nicht mehr zu retten“, meint der Förster.

APA/HERBERT PFARRHOFER

„Im November 1983 hatten wir in meiner Heimat Jurabogen große Windfallschäden die größtenteils von Südtiroler Forstarbeitern aufgerüstet wurden. Wo sind sie geblieben?“, fragt der Schweizer.

Nun hoffe er, dass Südtirol für seinen wunderschönen noch gesunden Wald doch noch gegen den Borkenkäfer zu kämpfen beginnt oder weiterhin kämpft, denn es sei noch nicht alles verloren und es lohne sich für die Zukunft und die Sicherheit der Südtiroler.

Von: mk

Bezirk: Bozen