Von: apa
Seit Mitte Juli sitzt ein bekannter steirischer Winzer in St. Pölten wegen Mordverdachts in U-Haft, weil er einer vermögenden Witwe eine Überdosis Pentobarbital-Natrium verabreicht haben soll, um an ihren Besitz zu kommen. Für Michael Dohr, den Verteidiger des 57-Jährigen, ist dieser Vorwurf “an den Haaren herbeigezogen”. Der Mann habe für die nach einem Schlaganfall bettlägerige, auf eine 24-Stunden-Pflege angewiesene Frau die gesetzlich erlaubte Sterbehilfe geleistet.
Die 71-Jährige war am 7. März an der Einnahme des Schlafmittels, das in der Human- und Tiermedizin eingesetzt wird, gestorben. Laut Dohr hatte sie Anfang des Jahres eine sogenannte Sterbeverfügung in die Wege geleitet, nachdem ein assistierter Suizid inzwischen auch in Österreich möglich ist. Zwei Ärzte hätten die Frau wie vom Sterbeverfügungsgesetz vorgesehen unabhängig voneinander zu ihrem Entschluss, ihr Leben zu beenden, befragt. Sämtliche Vorschriften des Gesetzes seien in weiterer Folge eingehalten und umgesetzt worden. Die Witwe hätte im Februar in vollem Bewusstsein die dafür benötigten Dokumente unterschrieben.
Laut Verteidiger war Winzer “Hilfe leistende Person”
Sein Mandant sei im Sinne des Sterbeverfügungsgesetzes als “Hilfe leistende Person” tätig geworden, schilderte Dohr am Sonntag im Gespräch mit der APA und bestätigte damit einen Bericht der “Kronen Zeitung”. “Mein Mandant hat nichts Anderes getan, wie es in der Sterbeverfügung vorgesehen ist. Er hat die tödliche Arznei in der Apotheke abgeholt, am Nachtkästchen mit einem Glas Wasser hingestellt und die Sterbewillige hat dann das tödliche Präparat alleine selbst ins Glas gegeben und getrunken”, legte der Anwalt dar.
Der Winzer habe kein Motiv gehabt, der Frau aus ihm unterstellter Habgier nach dem Leben zu trachten, die er 2018 beim Reiten kennengelernt hätte, woraus sich eine enge Freundschaft entwickelte, die sich nach dem Ableben ihres Mannes im Jahr 2023 noch verstärkte. Denn die Frau habe den Winzer schon 2022 in einem Testament zum Alleinerben eingesetzt und ihm in weiterer Folge “alles überschrieben”, hielt Dohr fest.
Staatsanwaltschaft bekräftigt “dringenden Tatverdacht”
Aus Sicht der Staatsanwaltschaft St. Pölten ist weiterhin “dringender Tatverdacht” in Richtung einer vorsätzlichen Tötung gegeben, wie Behördensprecher Leopold Bien auf APA-Anfrage bekräftigte. Das Gericht habe die Festnahmeanordnung genehmigt und dem Antrag auf Verhängung der U-Haft Folge gegeben, betonte Bien Sonntagmittag. Der U-Haft-Beschluss sei rechtswirksam, sagte Bien.
An Passagen in diesem Beschluss stößt sich Verteidiger Dohr. “Wenn eine Haft- und Rechtsschutzrichterin in einem Beschluss schreibt, eine Frau sei das ‘Objekt der Begierde’ für meinen Mandanten gewesen, der sprichwörtlich ‘über Leichen gehen’ würde, so ist das nicht nur pietätlos, sondern verletzt in eklatanter Weise die Unschuldsvermutung und ist eines Rechtsstaats unwürdig”, stellte der Anwalt fest.
Tochter der Verstorbenen und Pfleger belasten Winzer
Die Tochter der Verstorbenen, die im Testament nicht bedacht wurde, hat sich laut Dohr dem Strafverfahren als Privatbeteiligte angeschlossen. Sie sieht sich als Geschädigte und verlangt im Falle einer Verurteilung des Winzers den Zuspruch des ihr vorerst entgangenen Vermögens. Allein die Liegenschaft, auf der ihre Mutter in einer Villa lebte, soll 3,8 Millionen Euro wert sein. Neben der Tochter wird der 57-Jährige auch von einem Pfleger der Verstorbenen belastet. Dieser behauptet, die Witwe habe seine Frage, ob sie sterben wolle, mehrfach verneint.
Das Sterbeverfügungsgesetz sei in seiner derzeitigen Form nicht “praktikabel”, kritisiert Dohr: “Jeder, der als Hilfe leistende Person auftritt und als Erbe in Frage kommt, läuft Gefahr, als Mörder dazustehen, wenn jemand glaubt, übergangen worden zu sein.” Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hätte gegen das Sterbeverfügungsgesetz keine verfassungsrechtlichen Bedenken gehabt, aber offensichtlich die praktische Durchführbarkeit nicht bedacht. Als Hilfe leistende Person könne in Wahrheit nur ein Palliativmediziner auftreten, der in keinem Naheverhältnis zum Sterbewilligen steht, bemerkte Dohr. Diese gesetzliche Unsicherheit gehöre “sofort beseitigt”.
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