Geologen der Uni Innsbruck identifizierten zehn prähistorische Beben

Starkbeben waren Auslöser für Tiroler Bergstürze am Fernpass und am Tschirgant

Dienstag, 16. Februar 2021 | 20:05 Uhr

Innsbruck – Seeschlamm aus den Alpenseen Piburgersee im Ötztal und Plansee im Bezirk Reutte in Tirol zeigen, dass seltene, aber starke Erdbeben die Ursache für prähistorische Bergstürze in den österreichischen Alpen sind. Geologen der Uni Innsbruck identifizierten zehn prähistorische Erdbeben mit einer Magnitude zwischen 5,5 und 6,5 auf der Richterskala. Beben dieser Stärke sind bislang in der Region nicht in historischen Aufzeichnungen der letzten 1000 Jahre dokumentiert. Die Ergebnisse wurden im renommierten Fachmagazin Nature Communications veröffentlicht.

In zahlreichen Alpentälern mit steilen Flanken finden sich die Überreste großer Bergstürze im Ausmaß mehrerer hundert Millionen Kubikmeter Gestein. „Wie sie entstanden sind, ist oft schwer zu rekonstruieren, da sie vor mehreren Tausend Jahren stattfanden und somit keine historischen Dokumente darüber vorliegen“, erklärt Patrick Oswald, Doktorand in der Arbeitsgruppe für Sedimentgeologie am Institut für Geologie der Universität Innsbruck und Hauptautor der Studie. „Interessanterweise traten viele dieser alten Bergstürze auf eher kleinem Raum auf und haben ein ähnliches Alter, bildeten also eine Art ‚Cluster‘.“ Dieses rätselhafte Muster sorgt in der Fachwelt bereits seit vielen Jahren für zahlreiche Diskussionen rund um mögliche Ursachen. Neben abrupten klimatischen Veränderungen gelten auch Erdbebenerschütterungen als potenzielle Auslöser. Da das „Untersuchungsobjekt“ in Form der kollabierten Felshänge nicht mehr vorhanden ist, entschied das Forscher-Team am Institut für Geologie die Perspektive im wahrsten Sinn des Wortes umzudrehen – und suchte unter Wasser nach Antworten auf diese Fragen. „Die einzelnen Sediment-Schichten, die sich Jahr für Jahr am See- oder Meeresgrund ablagern, geben Aufschluss über klimatische und ökologische Bedingungen, die weit über historische Aufzeichnungen hinaus reichen. In den Sedimentabfolgen können wir aber auch Deformationsstrukturen finden, die durch vergangene Starkerdbeben ausgelöst wurden“, sagt Michael Strasser, Leiter der Arbeitsgruppe für Sedimentgeologie am Institut für Geologie und der Austrian Core Facility für wissenschaftliche Bohrkernanalysen an der Universität Innsbruck.

Zehn schwere prähistorische Erdbeben

Das Hauptaugenmerk legten die Geologen dabei auf die massiven Bergstürze am Tschirgant, am Fernpass und am Eibsee. Dazu entnahmen die Forscher bis zu acht Meter lange Bohrkerne aus den Seen. „Statt Überreste dieser Bergstürze in der Landschaft zu untersuchen, bohrten wir in die schlammigen Sedimentarchive am Grund des Piburgersees und des Plansees und suchten nach spezifischen Spuren im Schlamm – ausgelöst von starken Erdbeben. Indem wir die Erdbeben- und Bergsturzrekonstruktionen der letzten 10.000 Jahre vergleichen, können wir beurteilen, ob diese miteinander in Beziehung stehen oder nicht“, erklärt Jasper Moernaut vom Institut für Geologie. Er leitet das Projekt „Tyrol on Shaky Slopes“, das die Grundlage für diese Studie bildet und vom Tiroler Wissenschaftsförderung (TWF) gefördert wurde. Durch den Einsatz modernster Techniken, wie hydroakustische Vermessungen des Seeuntergrunds oder computertomographische Scans der acht Meter langen Sedimentkerne, fanden die Forscher zwei verschiedene Arten von Erdbebenspuren in den Sedimenten: „Die seismischen Erschütterungen haben die oberflächlichen Sedimente am Boden der Seen verformt und zudem zahlreiche Unterwasser-Schlammlawinen ausgelöst“, so Patrick Oswald. Durch Radiokarbon-Datierung von organischem Material in den Bohrkernen entdeckten die Forscher zehn prähistorische Erdbeben während der letzten 10.000 Jahre, und fanden zudem auch Spuren des historischen Erdbebens mit Richter-Magnitude 5.3 vom 8. Oktober 1930 in Namlos (Bezirk Reutte). Einige der prähistorischen Beben waren stärker als jene, die in dieser Region in den letzten ~1000 Jahren aufgetreten sind. „Durch eine exakte Auswertung historischer Erdbebenberichte – sofern sie vorhanden sind – und den Vergleich mit den Sedimentabdrücken in den Seen haben wir die Erdbeben auf eine Magnitude nach Richter zwischen 5,5 bis 6,5 geschätzt”, sagt Christa Hammerl, historische Seismologin an der Österreichischen Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik. „Da die Beben in den Ostalpen nur in wenigen Kilometern Tiefe auftreten, können sie erhebliche Schäden an der Infrastruktur und in der Naturlandschaft verursachen.“

Erdbeben und Bergstürze gleichzeitig

Die Ergebnisse der Innsbrucker Geologen zeigen, dass das Auftreten der großen Bergstürze am Tschirgant vor rund 3000 Jahren und am Fernpass vor ca. 4100 Jahren mit besonders starken Erdbeben zusammenfällt. Aus dieser Altersübereinstimmung schließen die Forscher, dass die extremen seismischen Erschütterungen letztlich die Bergstürze auslösten. Die Analysen ergaben außerdem, dass eine enge Abfolge von mindestens fünf schweren Erdbeben den Bergstürzen vor etwa 3000 Jahren vorausging. „Wir vermuten daher, dass seismische Erschütterungen nicht nur Bergstürze selbst auslösen, sondern die Felshänge nach und nach immer instabiler werden lassen”, ergänzt Michael Strasser. „Mit all diesen neuen Informationen möchten wir nun einen Beitrag dazu leisten, künftige Erdbeben- und Bergsturzgefahren in den dicht besiedelten Alpentälern besser abschätzen und prognostizieren zu können. Erdbeben dieser Stärke sind zwar selten, können aber verheerende Folgen haben.“

Diese Forschungsarbeit wurde unterstützt durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung Interreg V-A Italien-Österreich 2014-2020 (Projekt ITAT3016-Armonia), den Tiroler Wissenschaftsfonds (Projekt UNI-0404-2151), den Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF (Projekt P30285-N34) und die Österreichische Akademie der Wissenschaften ÖAW (ESS-IGCP-Projekt S4LIDE-Austria).

Publikation: Seismic control of large prehistoric rockslides in the Eastern Alps. Patrick Oswald, Michael Strasser, Christa Hammerl, Jasper Moernaut. Nature Communications 2021.
DOI: 10.1038/s41467-021-21327-9 https://doi.org/10.1038/s41467-021-21327-9

Von: mk