Fachkräftemangel: Varese hat dieselben Probleme wie Südtirol – VIDEO

„6.000 Euro, wenn du nach Varese kommst“

Mittwoch, 04. Juni 2025 | 07:59 Uhr

Von: ka

Varese – Wer glaubt, dass der Fachkräftemangel und die Abwanderung ins Ausland nur Regionen mit hohen Lebenshaltungskosten wie Südtirol, entlegene Alpentäler und wirtschaftlich schwach entwickelte Gegenden Mittel- und Süditaliens betreffen, wird in Varese eines Besseren belehrt.

„Auf zehn Hochschulabsolventen kommen vier, die von hier weggehen. Daher bieten wir denjenigen, die hierherkommen, um zu leben, 6.000 Euro, die nicht zurückgezahlt werden müssen“, heißt es in einer Mitteilung der Handelskammer von Varese in der Lombardei. Das Problem der zu niedrigen Löhne in Italien bleibt jedoch ungelöst. Ob eine Einmalzahlung von 6.000 Euro wirklich neue Einwohner anzulocken vermag, steht allerdings in den Sternen.

Comune di Varese

In Italien, das europaweit eine der niedrigsten Geburtenraten aufweist und von Abwanderung junger Leute betroffen ist, wird immer stärker um die immer weniger werdenden Fachkräfte und Universitätsabsolventen geworben. Um sich im harten Wettbewerb einen Vorteil zu verschaffen, wirbt Varese mittlerweile sogar gezielt dafür, sich in der Stadt nordwestlich von Mailand und seiner Provinz anzusiedeln – am besten für immer. „Wir bieten denjenigen, die hierherkommen, um zu leben, 6.000 Euro, die nicht zurückgezahlt werden müssen“, heißt es in einer Mitteilung der Handelskammer von Varese.

Comune di Varese

Doch was bedeutet es, wenn nicht ein abgelegenes Bergtal, sondern das Herz des industriellen Norditaliens gezwungen ist, eine Art „Menschenjagd“ zu veranstalten, weil es keine Arbeitskräfte mehr findet, um seine Wirtschaft und Gesellschaft am Leben zu erhalten?

„Es ist ein Experiment. Wir sorgen uns um die Zukunft unserer Region und unserer Unternehmen“, erklärt Mauro Vitiello, Präsident der Handelskammer von Varese. Die Region Varese, in der rund 800.000 Menschen leben, gehört zu den wirtschaftlich am höchsten entwickelten Gebieten im Stiefelstaat und steht hinsichtlich der Unternehmensdichte pro Quadratkilometer an dritter Stelle in Italien.

Comune di Varese

Vor einigen Tagen stellte Mauro Vitiello ein Projekt seiner Handelskammer vor. Dieses sieht vor, Personen, die sich mit einem Arbeitsvertrag für eine Ansiedlung in Varese und seiner Provinz entscheiden, einen über drei Jahre verteilten „Bonus“ von 6.000 Euro zu gewähren. Laut dem Monatsbericht von Unioncamere waren im Mai in Varese wie auch im übrigen Italien Stellen für etwa 460.000 Arbeitnehmer offen, doch in jedem zweiten Fall konnte kein Bewerber mit dem erforderlichen Berufsprofil und der entsprechenden Ausbildung gefunden werden.

Camera di Commercio Varese/Mauro Vitiello.

„Obwohl es in der Provinz Varese zwei Universitäten gibt und die technischen Institute den Absolventen eine sofortige Einstellungsquote von 94 Prozent garantieren, finden wir nicht die Fachkräfte, die wir benötigen. Auf zehn junge Leute, die hier ihren Abschluss machen, kommen vier, die woanders hingehen“, sagt der Präsident der Handelskammer von Varese und beschreibt damit die ganze Misere.

Die Stadt in der Lombardei ist kein Einzelfall, sondern Teil eines italienweiten Phänomens. Laut dem nationalen Statistikamt ISTAT wanderten im Jahr 2023 rund 21.000 italienische Universitätsabsolventen unter 35 Jahren ins Ausland ab. Diese Zahlen bedeuten einen jährlichen Nettoverlust von 16.000 qualifizierten jungen Arbeitskräften, was einem Verlust von insgesamt 97.000 Studienabsolventen innerhalb von zehn Jahren entspricht.

Comune di Varese

Der entscheidende Punkt ist, dass die Löhne zu niedrig sind. Diese sind in Italien im Durchschnitt niedriger als im übrigen Europa, denn in Italien erhalten Angestellte 24.000 Euro pro Jahr, während es in den Niederlanden 36.500 Euro sind.

„Das stimmt“, räumt Vitiello ein. „Wir leiden sehr unter der Konkurrenz aus der Schweiz, wo die Löhne 25 Prozent höher sind, aus Deutschland und sogar aus Mailand. Einem neu eingestellten Mitarbeiter können wir 1.700 bis 1.800 Euro bieten. Die ‚Einmalzahlung‘, die wir gewähren, ist als eine Art zusätzlicher ‚Bonus‘ gedacht. Aber das ist nicht alles. Wir sagen denjenigen, die sich entscheiden, nach Varese zu kommen, dass wir eine Region sind, die ihnen nicht nur einen Arbeitsplatz, sondern auch ein soziales Umfeld, Dienstleistungen, eine schöne Umwelt und eine hohe Lebensqualität bietet. Da wir in einem globalen Wettbewerb stehen, müssen wir Lösungen finden“, gibt sich Vitiello hoffnungsvoll, neue Fachkräfte anlocken zu können.

Das Problem der zu niedrigen Löhne bleibt jedoch bestehen. Ob eine Einmalzahlung von 6.000 Euro wirklich neue Einwohner anlockt, bleibt ungewiss.

Comune di Varese

Die Handelskammer von Varese ist jedoch nicht der einzige Ort, an dem darüber nachgedacht wird, wie neue Einwohner angelockt werden können. Während in der Südtiroler Nachbarprovinz Trentino in 33 vom Bevölkerungsrückgang betroffenen Gemeinden finanzielle Anreize für den Hauskauf und die Sanierung geboten werden, werben andere Gegenden mit Ein-Euro-Häusern, hohen Zuzugsprämien und steuerlichen Vergünstigungen.

Da die Einwohner immer wertvoller werden, weil es immer weniger von ihnen gibt, ist man immer öfter dazu bereit, für sie tief in die Tasche zu greifen.

 

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