Von: mho
Bardonecchia – Ein Blitzeinsatz von französischen Gendarmen in einem Migrantenzentrum in der piemontesischen Grenzstadt Bardonecchia wird zum diplomatischen Fall. Medienberichten zufolge sollen Französische Grenzbeamte bewaffnet in das von einer italienishen NGO verwaltete Ambulatorium eingedrungen sein, einen Migranten zu einem Urintest gezwungen sowie einen Arzt, Mediatoren und Anwälte des Vereins eingeschüchtert haben.
Es war nicht das erste Mal, dass französische Zollbeamte und Polizisten auf italienischem Staatsgebiet intervenierten. Diesmal scheint das Fass jedoch übergelaufen zu sein. Nicht nur die betroffene Organisation “Rainbow4Africa” verurteilte den Vorfall als Menschenrechtsverletzung, auch politische Parteien wie die FDL (“Wir sind nicht Macrons Toilette”), der lokale Bürgermeister Francesco Avato (“Sie sollen es nie wieder wagen”), Ex-Premier Enrico Letta (“zigster Fehler in der Migrantenfrage”) riefen die Regierung zum Handeln auf.
In einer offziellen Mitteilung antwortete das Außenministerium schließlich: “Wir haben die französische Regierung und die französische Botschaft in Rom um Erklärungen gebeten, und wir warten auf klare Antworten, bevor wir etwas unternehmen”. Anschließend berief das Außenministerium den französischen Botschafter in Rom ein.
Paris: “Wir handeln im Rahmen eines bilateralen Abkommens”
Doch Paris beansprucht die Legitimität seiner Interventionen in Italien. In einer Erklärung des französischen Ministers für öffentliche Finanzen, Gérald Darmanin, dem die betreffenden Zollbeamten angehören, erklärten die französischen Behörden: “Um künftige Zwischenfälle zu vermeiden, stehen die französischen Behörden den italienischen Behörden zur Verfügung, um den rechtlichen und operativen Rahmen zu klären, innerhalb dessen die französischen Zollbeamten im Rahmen eines Abkommens (über grenzüberschreitende Kontrollstellen) von 1990 unter Einhaltung der Gesetze und der Bestimmungen für Personen eingreifen können”.
Salvini: “Sofort französische Diplomaten ausweisen”
Beobachtern zufolge handelt es sich um einen ersten Auslandstest für die Wahlsieger Matteo Salvini (Lega) und Luigi Di Maio (M5S). Nach Ansicht des Hardliners Salvini sollten aufgrund des Vorfalls gar französische Diplomaten ausgewiesen werden. Di Maio applaudierte seinerseits dem Außenministerium für die Einberufung des französischen Botschafters.
Der Generaldirektor für EU-Angelegenheiten, Giuseppe Buccino Grimaldi, vertrat gegenüber dem französischen Botschafter den entschiedenen Protest der italienischen Regierung gegen das Verhalten der französischen Zollagenten, der als inakzeptabel angesehen wurde, und brachte gleichzeitig seine Enttäuschung über die fehlenden Antworten auf italienische Erklärungsanfragen zum Ausdruck. Es handelt sich um einen “ernsten Akt, der als völlig außerhalb des Rahmens der Zusammenarbeit zwischen den Grenzstaaten” betrachtet wird und dessen Funktionsweise “in Frage stellt”.
Das Innenministerium erwägt nun die Möglichkeit, die “Überfälle” der französischen Polizei- und Zollbeamten in ganz Italien auszusetzen. Dies wollten italienische Medien aus “qualifizierten Quellen” erfahren haben, wo die Antwort des französischen Ministers für öffentliche Finanzen im Fall Bardonecchia als “unbefriedigend und ungenau” beurteilt worden sei.
Staatsanwaltschaft Turin eröffnet Akte
Die Staatsanwaltschaft Turin eröffnete jüngsten Berichten zufolge zum Fall eine Ermittlungsakte. Das Verfahren wird vorerst gegen Unbekannte eingeleitet, auch weil die Namen der transalpinen Agenten unbekannt sind. Der Verdacht lautet auf Missbrauch bei Amtshandlungen, private Gewalt und häusliche Gewalt. Auch der mögliche Tatbestand der illegalen Durchsuchung wird geprüft.
Der Fall wurde eröffnet, nachdem das Staatliche Polizeiamt in Bardonecchia eine erste Nachricht geschickt hatte. Das Polizeipräsidium Turin wird demnächst dem Chefankläger, Armando Spataro, nähere Informationen zukommen lassen. In der Zwischenzeit wurden bereits eine Reihe von Ermittlungsmaßnahmen ergriffen, darunter die Entgegennahme von Unterlagen und die Anhörung von Personen, die über den Sachverhalt Informationen besitzen.
Französischer Minister gibt sich versöhnlich: “Abkommen wird vorerst ausgesetzt”
“Ich habe die Zollbeamten, die nichts Illegales getan haben, gebeten, die Anwendung unseres Abkommens bis zu meinem Besuch bei der italienischen Regierung auszusetzen. Wenn das Abkommen überarbeitet werden muss, werden wir das natürlich tun”, sagte der französische Haushalsminister Gérald Darmanin in der Sendung “Grand Jury” von Lci-Rtl-Le Figaro. In einem Tweet wies Darmanin darauf hin, dass “Italien eine Schwesternation ist”.