Von: ka
Lainate – Eine Autobahnraststätte in Lainate bei Mailand war Schauplatz eines schockierenden Falls von gewalttätigem Antisemitismus. Ein 52-jähriger Franzose jüdischer Herkunft und sein sechsjähriger Sohn, die beide durch ihre Kippa als Juden zu erkennen waren, wurden zuerst beschimpft und dann von rund einem Dutzend Menschen mit Tritten und Schlägen attackiert. „Mörder, geht zurück in eure Heimat! Hier sind wir nicht in Gaza, hier sind wir in Italien!“, schrien die Angreifer den 52-Jährigen und seinen Sohn an.
Den Ermittlern der italienischen Antiterroro-Polizei Digos gelang es bereits, mehrere der Angreifer – darunter eine Familie nahöstlicher Herkunft – zu identifizieren. Das Opfer, Elie Sultan, bezeichnete den Angriff als „beängstigend“.
Elie Sultan und sein Sohn befanden sich auf dem Rückweg von einem Ausflug zum Lago Maggiore nach Mailand, wo seine älteste Tochter und deren Mann leben, als sie am Sonntagabend gegen 20.30 Uhr die Autobahnraststätte von Lainate nördlich von Mailand aufsuchten, um eine Pause einzulegen und die Toilette aufzusuchen. Sie trugen eine Kippa, die die Aufmerksamkeit anderer Reisender auf sich zog.
„Wir wollten gerade zur Toilette, als ein junger Mann, ich glaube, ein Italiener, der an der Kasse stand, mich sah und anfing, mich mit ‚Free Palestine‘ anzuschreien. Da ich kein Italienisch spreche, habe ich ihm mit Gesten geantwortet und ihm zu verstehen gegeben, dass er damit aufhören soll, während ich begann, mit meinem Smartphone ein Video zu filmen“, so Elie Sultan gegenüber dem Corriere della Sera.
Nach und nach versammelte sich eine kleine Gruppe von etwa zehn Personen um den Vater und seinen Sohn. Obwohl die Lage immer bedrohlicher wurde und die Gruppe begann, Elie Sultan und den Sechsjährigen wüst zu beschimpfen, filmte der jüdische Tourist weiter. „Free Palästine! Wir sind hier nicht in Gaza, wir sind in Italien!“, „Mörder!“ und „Ihr werdet früher oder später in die Hölle fahren!“ , schrien die unbekannten Männer und Frauen ihm hinterher, während er mit seinem Sohn ein paar Stufen hinunter zur Toilette ging. Doch das war erst der Anfang: Draußen warteten sie auf ihn.
Immer wieder versuchten dieselben Leute, ihn dazu zu bringen, das Video zu löschen. Er wehrte sich, wurde aber erneut angegriffen. Er fiel zu Boden und wurde mit Tritten und Schlägen attackiert.
Die Aufnahmen der Überwachungskamera der Autobahnraststätte, welche die Ermittler auswerteten, bestätigen die Darstellung des Opfers. Der Vater und sein Sohn wurden bereits am Eingang ins Visier genommen und verfolgt. Die Videos zeigen deutlich, wie nach einigem Hin und Her zwischen den Reisenden, die an den Schaltern und Kassen Schlange standen, die Drohungen begannen. Der 52-Jährige versuchte, sich in die Toilette zurückzuziehen – übrigens der Grund für den Zwischenstopp –, aber es nützte nichts. Ein Mann, der eine Tasse Kaffee in der Hand hielt, ging wiederholt auf ihn los und schrie ihn an: „Geht nach Hause, ihr Mörder!“ Der Junge mit der weißen Kippa wirkte wie versteinert.
Nach dem Angriff stieg Elie Sultan unter Schock wieder ins Auto und fuhr zum Haus seiner Tochter in Mailand. Wenig später zeigte er den Vorfall bei der Verkehrspolizei von Busto Arsizio an. „Sie haben sich auf mich gestürzt, um mich dazu zu bringen, das Video zu löschen. Im Stehen wurde ich von drei Personen angegriffen, wodurch ich auf den Boden gestürzt bin“, sagte der 52-Jährige den Polizeibeamten.
„So etwas ist ihm in Frankreich noch nie passiert. Wir Juden müssen Angst haben. Seit einigen Monaten verlasse ich das Haus mit einer Mütze, um die Kippa zu verstecken“, erklärt sein Mailänder Schwiegersohn. Zu den ersten, die das Video des Angriffs verbreiteten, gehörten Vertreter der jüdischen Gemeinde in Mailand wie Davide Romano, der Präsident des Museums der Jüdischen Brigade.
Die mit den Ermittlungen betrauten Beamten der Mailänder Digos begannen umgehend mit der Auswertung der Aufnahmen der Überwachungskameras der Autobahnraststätte, des Parkplatzes und des sonstigen Außenbereichs. Bei einer ersten Sichtung der am Montag in den sozialen Netzwerken verbreiteten Aufnahmen konnten jedoch keine bekannten Gesichter oder Vertreter der militanten Pro-Pal-Bewegung identifiziert werden.
Dank der Videos sowie der Nummernschildleser der Autobahn gelang es den Beamten jedoch bald, mehrere der Angreifer – darunter eine Familie nahöstlicher Herkunft – zu identifizieren.
Durch ihren Anwalt Federico Battistini gaben die Beschuldigten ihre Darstellung des Sachverhalts öffentlich bekannt. „Meine Mandanten haben auf dem Rückweg von einem Urlaub an einer Autobahnraststätte Halt gemacht. Da kam ein Mann, der sie eindringlich anstarrte, vielleicht, weil sie Arabisch sprachen. Dieser Mann richtete seine Aufmerksamkeit insbesondere auf die Frauen der Gruppe, die Anhänger mit der Karte Palästinas trugen. Der Franzose wandte sich an sie und sagte: ‚Söhne von …‘ und ‚Terroristen‘. Der junge Mann antwortete lediglich mit ‚Free Palestine‘. Die von mir vertretenen Personen sind sich sehr wohl bewusst, was es bedeutet, aus religiösen, ethnischen und rassistischen Gründen diskriminiert zu werden. Sie haben keineswegs die Absicht, sich derselben Verbrechen schuldig zu machen“, erklärt der Anwalt Federico Battistini. Er fügt hinzu, er habe den 52-Jährigen bei der Staatsanwaltschaft angezeigt.
Diese Version der Ereignisse scheint jedoch kaum mit den bisherigen Ermittlungserkenntnissen übereinzustimmen. Nach der Veröffentlichung des Videos steht die jüdische Gemeinschaft Italiens unter Schock. Elie Sultan, der den Angriff als „beängstigend” bezeichnete, und seine Familie haben Dutzende Solidaritätsbotschaften erhalten.
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