Aufgedeckte Fake-Rezension mündet in Tragödie – VIDEO

Traurig: Von der “Heldin” zur “Betrügerin” bis zur Verzweiflungstat

Dienstag, 16. Januar 2024 | 07:04 Uhr

Sant’Angelo Lodigiano – Die Gemeinde Sant’Angelo Lodigiano südlich von Mailand ist Schauplatz einer Tragödie, die die italienische Öffentlichkeit entzweit.

Die Inhaberin der Pizzeria „Le Vignole“, die auf eine vermutlich gefälschte Rezension geantwortet hatte und nach der Aufdeckung des mutmaßlichen Betrugs ins Visier der Hassposter geraten war, beging am Sonntag eine Verzweiflungstat. Seit dem Tod der 59-jährigen Giovanna Pedretti reißen die Polemiken nicht ab. Sie gipfeln in dem an die Aufdecker des mutmaßlichen Betrugs gerichteten Vorwurf, für den Tod der Lokalinhaberin hauptverantwortlich zu sein.

Giovanna Pedretti führte seit zehn Jahren die Pizzeria „Le Vignole“ in Sant’Angelo Lodigiano. Das bis dahin nur bei den Einheimischen bekannte Lokal erlangte am Freitag italienweite Aufmerksamkeit.

Die Geschichte begann mit einer „Rezension“. Ein angeblicher Kunde von „Le Vignole“, der sich „S“ nannte, gab der Pizzeria auf Google ein vernichtendes Urteil. „Ich wurde zum Essen neben ein homosexuelles Paar gesetzt, was ich nicht sofort bemerkte, weil sie sich anständig verhielten. Neben mir war auch ein Jugendlicher im Rollstuhl, der nur mit Mühe essen konnte. Er tat mir leid, aber ich fühlte mich nicht wohl. Schade, denn die Pizza war ausgezeichnet und das Dessert war großartig, aber ich werde nicht wiederkommen“, so „S“, der der Pizzeria nur einen Stern schenkte. Auffällig ist, dass das tatsächliche Datum des Kommentars nicht sichtbar und nur der nichtssagende Teil von „vor 18 Stunden“ zu sehen ist. Da er von den Besitzern des Restaurants mit einem Foto der negativen Rezension neu gepostet wurde, kann der Beitrag zeitlich nicht eingeordnet werden.

Facebook/Pizzeria Le Vignole

Am Donnerstag erschien auf der Facebook-Seite der Pizzeria der Screenshot der Bewertung samt der von Giovanna Pedretti unterzeichneten Antwort an „S“. „Sehr geehrter Kunde, die Worte der Verachtung gegenüber Gästen, von denen Sie anscheinend nicht belästigt worden sind, erscheinen mir als grundlose und ziemlich unangenehme Gemeinheit. Angesichts solch menschlicher Niedertracht und schlechten Geschmacks denke ich, dass unser Restaurant nichts für Sie ist. Wir bitten Sie, nicht mehr zu uns zu kommen“, so die 59-Jährige.

Der Freitag wird für Giovanna Pedretti zum Triumph. Nicht nur Dutzende von Facebook-Gruppen, sondern auch große italienische Medienhäuser wie der Corriere della Sera und verschiedene Fernsehanstalten übernehmen die Antwort der Lokalinhaberin, deren Pizzeria dadurch italienweite Bekanntheit erlangt.

Die Medien und Internetnutzer sind voll des Lobes für ihr Engagement gegen Diskriminierung von Homosexuellen und Behinderten. „Ihr seid wirklich Spitze, ihr verdient das Beste. Mit Menschen wie Ihnen hat die Welt mehr Hoffnung. Danke für dieses herzerwärmende Beispiel von Rechtschaffenheit“, so der Tenor der Wortmeldungen im Netz. Die homophobe Kritik sei zwar nicht mehr auf Google zu finden, aber, so Pedretti, „da ich davon überzeugt bin, dass wir in dieser Welt mehr Menschlichkeit brauchen, habe ich entschieden, diese traurige Angelegenheit auf meiner Facebook-Seite publik zu machen“.

Facebook/Pizzeria Le Vignole

Schade nur, dass bald Zweifel laut wurden. Der bekannte Koch, Food-Blogger und Partner der Journalistin Selvaggia Lucarelli, Lorenzo Biagiarelli, veröffentlichte am Samstagvormittag einen Beitrag, der Zweifel an Pedrettis Facebook-Eintrag aufkommen lässt. Das Paar ist öffentlichkeitswirksam seit Langem als Wohltätigkeit getarnten undurchsichtigen Geschäftspraktiken auf der Spur. Selvaggia Lucarelli trug auch dazu bei, Chiara Ferragnis unlautere Wohltätigkeitsgeschäftspraktiken aufzudecken.

Punkt für Punkt, wobei er sich insbesondere der Schriftart und der Körnigkeit des Fotos widmete, wurde der Beitrag der 59-Jährigen von Lorenzo Biagiarelli einer minutiösen Untersuchung unterzogen. Er merkte an, dass die Schriftart von Google abweicht und die „Rezension“ und die Antwort darauf dieselben Rechtschreibfehler aufweisen. Zudem fand er heraus, dass die Rezension mit einem anderen Beitrag, der vor mehreren Jahren auf TripAdvisor erschienen war, fast identisch ist. Der Food-Blogger kam zum Schluss, dass es sich bei der gegen Homosexuelle und Behinderte gerichteten Rezension mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit um eine Fälschung handelt.

Im Netz drehte sich der Wind schnell. Giovanna Pedretti sah sich bald dem Vorwurf ausgesetzt, mit der Antwort auf einer eigens dafür fabrizierten Fake-Rezension Werbung für ihre Pizzeria zu betreiben. „Auf das Erfinden einer solch rührseligen Geschichte können nur sehr schlechte Menschen kommen“, so ein erzürnter Nutzer. Bereits am Samstagnachmittag waren die Hasspostings weit zahlreicher als die bis dahin geposteten Lobesbekundigungen. Als ein TV-Team des staatlichen Rundfunks RAI Giovanna Pedretti interviewte, geriet die 59-jährige Lokalinhaberin schnell in Erklärungsnot. Vor den Kameras beteuerte sie, nichts Unrechtes getan zu haben.

Am Sonntag folgte die Tragödie. Wenige Stunden, nachdem sie von ihren Angehörigen als vermisst gemeldet worden war, wurde am späten Sonntagvormittag die Leiche der 59-Jährigen in der Nähe von Sant’Angelo Lodigiano aus dem Fluss Lambro gezogen. Am Flussufer stand noch das Auto von Giovanna Pedretti, mit dem sie am Sonntagmorgen das letzte Mal gesehen worden war. Die zuständigen Behörden gehen von einer Verzweiflungstat aus.

Facebook/Pizzeria Le Vignole/Giovanna Pedretti

Nach dem Bekanntwerden des Todes der Lokalinhaberin drehte sich im Netz der Wind erneut. Selvaggia Lucarelli und Lorenzo Biagiarelli wurden beschuldigt, Giovanna Pedretti an den Pranger gestellt zu haben und für deren Tod verantwortlich zu sein. Lorenzo Biagiarelli und seine Partnerin weisen diese Vorwürfe mit Entschiedenheit zurück und verweisen darauf, dass Giovanna Pedretti in den vergangenen Tagen von den Medien mit Lob überhäuft worden sei und die Zweifler bei Weitem in der Minderheit gewesen seien. Lorenzo Biagiarelli betont, dass er nur die Echtheit der Rezension bezweifelt habe, und unterstreicht, dass das Aufdecken von unlauteren und fragwürdigen Werbe- und Geschäftspraktiken notwendig sei.

Seither kommt die italienische Internetwelt nicht mehr zur Ruhe. Die Frage, was im Netz gesagt werden darf und ob das Internet der richtige Ort sei, um unlautere und fragwürdige Werbe- und Geschäftspraktiken aufzudecken, scheidet die Geister. Traurig stimmt, so viele Italiener, dass von der „Heldin“ zur „Betrügerin“ bis zur Verzweiflungstat nur drei Tage vergingen.

Von: ka

Kommentare
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Neumi
Neumi
Kinig
3 Monate 20 Tage

Ich denke nicht, dass die “Aufdecker” was falsches getan haben. Wenn jemand Rezensionen fälscht, dann muss er halt auch damit leben, aufzufliegen.

“…ob das Internet der richtige Ort sei, um unlautere und fragwürdige Werbe- und Geschäftspraktiken aufzudecken…”
Aber ist es denn der rechte Ort, um zu betrügen und zu fälschen?

Wenn die “Bösen” das Internet nutzen dürfen, dann doch auch die anderen, oder?

bedenklich
bedenklich
Grünschnabel
3 Monate 19 Tage

und wenn die “Aufdecker” falsch lagen? sehr bedenklich dein kommentar…Medien geht es um Auflage und Reichweite, wohl moch nie etwas mit denen zu tun gehabt

oli.
oli.
Kinig
3 Monate 19 Tage

Wenn uns was nicht passt oder stört , dann wird es an Ort und Stelle gesagt. Aber wenn keine Antwort oder ein Gespräch zustande kommt , wird über Google bewertet .

N. G.
N. G.
Kinig
3 Monate 19 Tage

@bedenklich Es wäre noch lange kein Grund sich umzubringen!

Neumi
Neumi
Kinig
3 Monate 19 Tage

@bendeklich Sie haben ja nicht unbegründet gehandelt. Kannst im Artikel lesen, worauf ihr Verdacht beruht.

Aber gehen wir mal einen Schritt weiter. Wenn das nicht in Ordnung ist, dann wäre es doch konsequent, jeglichen Enthüllungsjournalismus zu verbieten, oder? Wenn das Internet nicht geeignet ist, dann sind es Zeitungen auch nicht.

Dann gehen wir noch einen Schritt weiter zu einem praktischen Beispiel.
Wenn ich hier was verbreiten würde, von dem du der Meinung bist, dass es gelogen ist, würdest du mich hier zurechtweisen oder dich zurückhalten, weil das Internet nicht der rechte Ort dafür ist?

Faktenchecker
3 Monate 19 Tage

Bei uns wird genügend unter den Tisch gekehrt.

info
info
Universalgelehrter
3 Monate 19 Tage

@Neumi
Es gibt aber eben doch einen Unterschied zwischen dem dich hier, in diesem relativ kleinen Kreis, in dem eine Aussage gefallen ist, zurechtzuweisen und dich einem gewaltigen Shitstorm auszusetzen.
Ich finde es sehr tragisch, wie diese Geschichte geendet ist und daher gut, dass man über einen verantwortungsvollen Umgang mit Medien und überhaupt miteinander diskutiert.

Neumi
Neumi
Kinig
3 Monate 19 Tage

@info Also ist Internet nicht gleich Internet und User nicht gleich User.

Was ist mit Enthüllungsjournalismus? Auch Zeitungen und Fernsehsender haben eine große Reichweite. Jeder, der darin genannt wird, läuft Gefahr, der öffentliche Wut ausgeliefert zu sein.

Ja, die Geschichte hat tragisch geendet, aber ich finde hier kein Fehlverhalten derjenigen, die den potentiellen Betrug offengelegt haben.
Diskutieren ist immer gut.

Nun ja
Nun ja
Grünschnabel
3 Monate 20 Tage

diese Unsitte, dass jeder im Internet ungefiltert seinen Senf absondern kann ohne Kenntnis oder Verständnis von irgendwas wirft haufenweise Probleme auf – damit hat diese Frau nicht ausreichend gerechnet und geglaubt, es sich zunutze machen zu können.
Umgekehrt habe ich einen Troll auf meinen Google-Profil, der falsche Anschuldigungen schreibt und jedesmal wenn ich antworte, seine Einlassung samt meiner Antwort löscht und – von wechselnden Accounts- von vorne anfängt.
Fünfmal habe ich geantwortet, es dann einfach aufgegeben.
Dieses ganze Zeug wird einfach von Grenzdebilen missbraucht.
Normale Menschen haben es nicht nötig, sich da zu produzieren..

N. G.
N. G.
Kinig
3 Monate 19 Tage

Schon mal was von sicheren Passwörtern gehört und das man Datrn nicht weiter gibt. Grins
Denen das passiert, ich kenne Einige hatten alle selbst Schuld!

primetime
primetime
Kinig
3 Monate 19 Tage

@N.G. Es gibt auch selten Fälle wo man trotzdem an ein Konto kommt da es im System einen Fehler gibt.
Man konnte über meinen Amazon Account der mit 2FA geschützt ist etwas einkaufen

Nun ja
Nun ja
Grünschnabel
3 Monate 19 Tage

@N. G.
bitte richtig lesen :
nicht mein Konto, sondern das öffentliche Google-Profil meines Betriebs, wo jeder Rezensionen schreiben kann, wenn er meint er müsste das.
Da ist das mit Passwörtern völliger Humbug.
Lesen, Kopf schräg halten, damit die Hirnmasse sich sammelt und dann vielleicht posten – oder besser nicht

krokodilstraene
krokodilstraene
Universalgelehrter
3 Monate 20 Tage

Ohne auf das “Tun” der Lokalbetreiberin eingehen zu wollen…

Diese Internet-Hater sind doch das LETZTE, springen auf jeden zug auf und wieder ab, gerade wie es ihnen passt und fühlen sich durch ihre Kommentare als die Größten…
In Wirklichkeit sind es nur ganz arme kleine Würstchen!!!

tucano2
tucano2
Tratscher
3 Monate 20 Tage

….des isch wenn man dem internet-leben mea acht gibt als dem wirklichen Leben 😥

magg
magg
Superredner
3 Monate 19 Tage

Jetzt über dieser Frau zu urteilen, ist fehl am Platz, da es ein trauriges Ende nahm. Jeder kann sich seine Meinung bilden und schweigend hinnehmen.
Den Betroffenen wünsche ich, dass sie diese Situation so gut es geht verkraften und ein aufrichtiges Beileid.

Hustinettenbaer
3 Monate 20 Tage

Aufreger-Schlagzeilen bin ich auch einige Male ins Netz gegangen.
Das Drama ist mir eine weitere Lehre, die (Kommentar-)Finger von solchen Stories zu lassen.

info
info
Universalgelehrter
3 Monate 20 Tage
Das Problem der A-sozialen Medien ist, meines Erachtens, dass theoretisch jede:r eine nahezu unbegrenzte Reichweite erreichen kann ohne, wie früher, zunächst mit den Grundwerten und -regeln des Journalismus vertraut geworden zu sein. Das,verbunden mit Geltungssucht und Profitgier (viele Klicks = viel Geld) führt dazu, dass Diskussionen möglichst polemisch geführt werden, um sie richtig aufkochen zu lassen und dabei lieber auf Personen losgegangen wird, als über die Sache zu sprechen. Die “neuen” Medien verlangen allen, Betreibern wie Lesern, ein hohes Maß an Medienkompetenz ab, das sicher auch in Schulen, aber für die anderen Altersgruppen auch auf anderen Wegen vermittelt werden muss.… Weiterlesen »
Paladin
Paladin
Universalgelehrter
3 Monate 19 Tage

@info: Leider hast du Recht. Jeder kann mal schnell eine “Bewertung” abgeben und damit auch viel Schaden anrichten. Leider ist das der Lauf der Zeit. Die schöne neue Welt hält eben auch böse Überraschungen bereit, oftmals mehr als gute.

Blasius
Blasius
Superredner
3 Monate 19 Tage

Ich möchte lieber nicht wissen, was im Netz Wahrheit und Lüge ist.
Sonst kann ich es gleich sein lassen und den Computer entsorgen. 😒

Paladin
Paladin
Universalgelehrter
3 Monate 19 Tage

Tja die Welt der sozialen Medien, da “dreht sich der Wind” ständig. morgens wird man gefeiert, Mittags verdammt und Abends ist man der Lump. Die “Aufdecker” haben sicher nicht falsch gehandelt. Sollte es sich um eine Fake-Rezension handelt, wie es offensichtlich der Fall ist, hat sich die Besitzerin zu unlauteren Geschäftspraktiken hinreißen lassen. Auch das ist eine Auswirkung der sozialen Medien. Hier die Schuld zu suchen hilft niemandem mehr, am Allerwenigsten der Betreiberin. Es handelt sich um einen tragischen Fall, der uns als Gesellschaft den Spiegel vorhält. 

Tata
Tata
Universalgelehrter
3 Monate 19 Tage

sperrn dei gonzn Rezensionen…90 % sein eh olm la folsch!! sein la dozui dou um letzis Bluit zi mochn fa Leit, de net wissn wie in Tog ummabreng!! glabm konsch eh koana Beurteilung! a Schondtot wos do passiert isch und die Unruhestifta kenn sich höffntlich worm unleign…🤦🏻‍♀️

Ex Queen
Ex Queen
Tratscher
3 Monate 19 Tage

Hasshetze im Internet kann auch tötlich enden. Hier muss endlich etwas gemacht werden. Das Netz soll kein rechtfreier Platz sein.

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