Zehnjähriger Bub wacht einen ganzen Tag lang bei seiner toten Mutter

Trauriges Ende: „Die Mama hat das Gesicht ganz schwarz“

Donnerstag, 21. Februar 2019 | 07:04 Uhr

Mailand – Eine völlig heruntergekommene Wohnung in der Nähe von Mailand war Anfang dieser Woche Schauplatz einer ganz besonders traurigen Geschichte. Ein zehnjähriger Bub wachte einen ganzen Tag lang bei seiner toten Mutter. Erst am Abend fand er den Mut, die völlig verdreckte Wohnung zu verlassen und bei der Tür der Nachbarin anzuklopfen. „Die Mama hat das Gesicht ganz schwarz“, sagte der Bub weinend zur Frau.

Die schwierige Lebenssituation der Mutter und ihres Sohnes war den Sozialdiensten bereits seit dem Jahr 2017 bekannt. Bereits in diesem Jahr erreichte ein Hinweis die Jugendstaatsanwaltschaft. In der Folge wurden aufgrund der schwierigen familiären Verhältnisse – der Vater war vollkommen abwesend, während die Mutter an schweren Depressionen litt und sich daher kaum um die Erziehung des Buben kümmern konnte – vonseiten der Gerichtsbehörden drastische Maßnahmen, wie der Entzug des Sorgerechts erwogen.

„Der Bub, der in der Umgebung von Mailand wohnhaft ist, weist große schulische Defizite auf. Er bedarf einer neuropsychiatrischen Visite. Die Mutter ist nachlässig und oberflächlich. Die Frau, die schwer krank ist, verfügt nur über geringe finanzielle Mittel und lehnt die wenigen Arbeitsangebote ab. Der Vater hat sich nie um den Minderjährigen gekümmert und ist in Wirklichkeit abwesend. Zudem gibt es keine weiteren Verwandten“, so die Jugendstaatsanwaltschaft in seiner Begründung für den Entzug des Sorgerechts.

apa

Aber trotz der schwerwiegenden Gründe geschah die ganze Zeit hindurch nichts. Die Jugendstaatsanwaltschaft kann in der Tat beim Jugendgericht „nur“ um die Ausstellung einer Durchführungsmaßnahme ansuchen. Das Jugendgericht, das das Verfahren leitet, richtet sich nach den Sozialdiensten. Die italienischen Sozialdienste sind oftmals mit Arbeit überhäuft, was in der Praxis dazu führt, dass die Verfahren sehr viel Zeit in Anspruch nehmen und – wie im Fall des kleinen Buben – zu langsam sind. In der Zwischenzeit ist ein Kind dazu gezwungen, in einer familiären Umgebung aufzuwachsen, die von Vernachlässigung gekennzeichnet ist.

Indes verlangte die Jugendstaatsanwaltschaft mit Nachdruck, das Sorgerecht der Gemeinde zu übertragen. Im Raum stand der Plan, das Sorgerecht für den Buben einer Familie zu geben und mit ihr und dem Jungen ein Erziehungsprojekt in die Wege zu leiten.

Aber nichts dergleichen geschah. Nachdem die depressive und alleingelassene Frau einem Herzkreislaufstillstand erlegen war, wich der kleine Junge einen ganzen Tag lang nicht von ihrer Seite. Erst als es Nacht wurde und dunkle Leichenflecken auf dem Gesicht seiner toten Mama erschienen, verließ der Bub die Wohnung und klopfte bei der Tür der Nachbarin an. „Die Mama hat das Gesicht ganz schwarz“, erzählte der verzweifelte, weinende Bub der Frau.

Als die Polizeibeamten in die Wohnung eindrangen, wurde das ganze Ausmaß des kollektiven Versagens offenbar. In der vollkommen zugemüllten und verdreckten Küche waren nur einige verdorbene Essensreste zu finden. Auch das Bad war vollkommen verdreckt und in einem unglaublich schlechten hygienischen Zustand. In der ganzen, fürchterlich stinkenden Wohnung waren auf dem Boden Müll und weggeworfene Medikamente verstreut. Das einzige Zimmer, das sich in einem einigermaßen akzeptablen Zustand befand, war das Kinderzimmer des kleinen Buben. Wahrscheinlich war es der Zehnjährige selbst, der in der vollkommen verdreckten und zugemüllten Wohnung wenigstens sein Zimmer in Ordnung halten wollte. Bei dieser Aufgabe war er völlig alleine.

Die Geschichte des Buben und seiner toten Mutter löste in Italien eine heftige Debatte um Kinder- und Jugendschutz aus. Dabei geriet natürlich die Langsamkeit der Sorgerechtsverfahren ins Visier der öffentlichen Meinung. Aber das ist nur eine Seite der Medaille. Die traurige Geschichte weist auch auf die Gleichgültigkeit hin, in der sich unsere heutige Gesellschaft befindet. Wie war es möglich, dass weder Behörden oder der Schule, noch Nachbarn oder Freunden die schreckliche Lebenslage des Kindes und seiner Mutter aufgefallen war?

Von: ka