Claudio Campiti war Mitglied beim Schießstand – VIDEO

Trotz verweigertem Waffenpass: Der leichte Weg zur Pistole

Mittwoch, 14. Dezember 2022 | 08:10 Uhr

Rom – Nach dem dreifachen Mord bei einer Kondominiumssitzung in Rom müssen die Italiener mit Schrecken feststellen, wie leicht es selbst einem psychisch zutiefst gestörten und mit vielen Anzeigen wegen Bedrohung belasteten Mann fällt, fast vollkommen legal zu einer Waffe zu gelangen.

Obwohl die Carabinieri ihm die Ausstellung eines Waffenpasses verweigerten, konnte sich Claudio Campiti dennoch erfolgreich um die Mitgliedschaft in einem Schießstand – jenem in Tor di Quinto in Rom – bewerben. Da es offenbar keine Pflicht der Strafverfolgungsbehörden geben soll, die Schießstände über die Verweigerung eines Waffenscheines eines ihrer Mitglieder zu informieren, gelang es dem 57-Jährigen, jahrelang den Umgang mit einer Waffe zu üben. Die mutmaßliche Tatsache, dass Claudio Campiti ohne aufzufallen, 200 Patronen kaufen und mit der Tatwaffe – eine Pistole des Typs Glock – ohne Kontrolle seelenruhig aus dem Schießstand spazieren konnte, wird von der italienischen Öffentlichkeit mit tiefem Entsetzen wahrgenommen.

ANSA/ANGELO CARCONI

Nach der schrecklichen Bluttat, bei der drei Frauen ermordet wurden, beschlagnahmten die Ermittler sowohl das gesamte von den internen Überwachungskameras aufgezeichnete Videomaterial als auch alle Anwesenheitslisten und Ausweispapiere. Die Staatsanwaltschaft und die Carabinieri erhoffen sich von dieser Maßnahme die Klärung der Frage, wie Claudio Campiti die Anlage mit der angemieteten Waffe – eine Pistole des Typs Glock vom Kaliber 45 – samt der dazu passenden Munition verlassen konnte, um seinen blutigen Rachefeldzug in die Tat umzusetzen. Da die Ermittler davon ausgehen, dass das Personal des Schießstands möglicherweise nicht wachsam genug gewesen sei oder dass es zumindest schwerwiegende Mängel im Überwachungssystem gegeben habe, wurde der Schießstand beschlagnahmt und geschlossen.

Strage di Fidene, morta anche la quarta donna

Strage di Fidene, morta anche la quarta donnaÈ morta anche Fabiana De Angelis, la quarta donna colpita da Claudio Campiti domenica scorsa a Roma. Le indagini sulla strage si concentrano sul poligono da dove è stata sottratta la pistola. Spunta un precedente del 2012.Jacopo Cecconi per il Tg3 delle 19 del 13 dicembre 2022

Posted by Tg3 on Tuesday, December 13, 2022

Der nachgezeichnete Weg, der Campiti Zugang zu einer Waffe verschaffte, begann aber bereits vor vier Jahren. Da er unter anderem mehrmals wegen Bedrohung angezeigt worden war, verweigerten die Carabinieri Claudio Campiti die Ausstellung eines Waffenpasses. Der 57-Jährige fand aber dennoch einen Weg, „in Besitz“ einer Waffe zu gelangen. Am 31. Mai 2018 schrieb sich Campiti beim Schießstand in Tor di Quinto in Rom als Mitglied ein. Dies ermöglichte es ihm, im Schießstand verschiedene Waffen anzumieten und mit ihnen zu üben. Trotz der Vielzahl der gegen ihn vorliegenden Anzeigen erhielt Claudio Campiti jährlich die erforderlichen Unterlagen, die ihm die psychologische Eignung für diesen Sport bescheinigten.

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Da es offenbar keine Pflicht der Strafverfolgungsbehörden geben soll, die Schießstände über die Verweigerung eines Waffenscheines eines ihrer Mitglieder zu informieren, gelang es dem 57-Jährigen, jahrelang den Umgang mit einer Waffe zu üben. Aus Claudio Campiti, der den Ausbildern zufolge den Schießstand monatlich vier bis fünf Mal besuchte, wurde ein sehr guter Schütze. Am 9. November 2019 traf er mit 30 abgegebenen Schüssen alle 30 Ziele. Jedes Jahr – zuletzt am 3. Februar 2022 – erneuerte Campiti seine Platinum-Mitgliedschaft, die es ihm gegen eine Jahresgebühr von 310 Euro erlaubte, eine Waffe für den Gebrauch innerhalb des Schießstands zu mieten. Seinen Ausbildern zufolge galt Campiti als „sehr zuverlässig“.

Laut einer Rekonstruktion des Tathergangs durch die Carabinieri suchte Claudio Campiti am Sonntagmorgen den Schießstand in Tor di Quinto auf. Wie immer ließ er am Portal seinen Personalausweis zurück und ließ sich eine Waffe aushändigen. „Er hat ausdrücklich nach einer Glock des Kalibers 45 gefragt. Er hatte diese Pistole bereits einmal benutzt“, so ein Angestellter des Schießstands. Zugleich erwarb Campiti die höchstmögliche Anzahl von Patronen – vier Schachteln zu je 50 Stück.

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Aus der Rekonstruktion der Ermittler geht eindeutig hervor, dass es auf dem Schießplatz an Kontrollen mangelte. Campiti wurde mit der Glock allein gelassen. Keiner der Ausbilder begleitete ihn von der Waffenkammer bis zur Schießlinie. Da am Ausgang des Schießstands keine Metalldetektoren installiert sind und da die Angestellten des Schießstands keine Beamten sind, die Personen durchsuchen dürfen, konnte der 57-Jährige die gemietete Waffe ohne jegliche Kontrolle mitnehmen. Wie Aufnahmen der Überwachungskameras bestätigen sollen, trat am Sonntagmorgen kurz vor 9.00 Uhr Campiti in den Schießstand ein und verließ ihn wenig später wieder.

Es folgte die schreckliche Bluttat. Mit der aus dem Schießstand in Tor di Quinto entwendeten Schusswaffe und der entsprechenden Munition im Gepäck begab sich Claudio Campiti zur Kondominiumsversammlung. „Er kam herein, machte die Tür zu, schrie ‚Ich töte euch alle!‘ und begann zu feuern”, so ein Augenzeuge.

Sabina Sperandio, Elisabetta Silenzi und Nicoletta Golisano waren auf der Stelle tot. Dank eines 67-jährigen Mannes, der den Täter während eines Handgemenges entwaffnete, konnten weitere Opfer verhindert werde. Der 67-Jährige, der durch eine Schussverletzung an der Wange selbst verletzt wurde, hielt den Täter zusammen mit anderen Männern bis zum Eintreffen der Carabinieri fest.

ANSA/FACEBOOK CLAUIO CAMPITI

Laut Mutmaßungen der Ermittler hätte Claudio Campiti ein wahres Blutbad geplant. Campiti, der des dreifachen, vorsätzlich verübten Mordes, der schweren Körperverletzung, des illegalen Tragens von Waffen und der Unterschlagung einer Schusswaffe beschuldigt wird, sitzt in Untersuchungshaft.

Facebook/Roberto Gualtieri

Drei Tage nach der schrecklichen Bluttat steht Italien noch immer unter Schock. Am Dienstag erlag eine weitere Frau ihrer schweren Schussverletzung. Zugleich muss die italienische Öffentlichkeit mit Schrecken feststellen, wie leicht es selbst einem psychisch zutiefst gestörten und mit vielen Anzeigen wegen Bedrohung belasteten Täter fällt, Zugang zu einer Waffe zu bekommen. Viele Italiener fordern die Politik dazu auf, strengere Waffengesetze zu verabschieden und Schießstände, die ohne jeglicher Kontrolle Mitgliedern eine Pistole in die Hand drücken, zu schließen.

Von: ka