Virologe blickt optimistisch in die Zukunft

„Varianten gleichen sich immer mehr”- Verlangsamt das Virus seine Evolution?

Montag, 10. Mai 2021 | 07:56 Uhr

Pavia – Während viele Experten immer wieder vor dem Auftauchen neuer SARS-CoV-2-Varianten warnen und befürchten, dass diese die Wirksamkeit der Impfstoffe herabsetzen könnten, gibt der angesehene Virologe Fausto Baldanti Entwarnung.

„Die Corona-Varianten gleichen sich immer mehr, was bedeuten könnte, dass das Virus seine Evolution verlangsamt. Das lässt uns vermuten, dass das Virus nicht dazu fähig ist, unendlich zu mutieren“, so der Leiter des Labors für molekulare Virologie an der Poliklinik „San Matteo“ von Pavia, der seit der ersten Stunde die Mutation des Coronavirus beobachtet, gegenüber dem Onlinemedium „HuffPost“. Fausto Baldanti, der an der Universität von Pavia Mikrobiologie und Virologie lehrt, weist darauf hin, dass infolge ihrer Ähnlichkeit untereinander neue Varianten kaum dazu imstande sein werden, die Wirksamkeit der Impfung zu schmälern.

APA/APA/National Institute of Allergy and Infectious Diseases/HANDOUT

„Das Problem der Corona-Varianten besteht seit dem ersten Tag. Unsere Kartierung des Genoms des Virus, die in Zusammenarbeit mit dem Krankenhaus ‘Niguarda’ von Mailand erstellt worden war, war bereits in den ersten Monaten der Epidemie angelaufen: Die Forschungsarbeit, die später in der Wissenschaftszeitschrift ‘Nature Communications’ veröffentlicht worden war, hatte die vollständige Sequenzierung von 346 Virusgenomen, die in der gesamten Lombardei zwischen Februar und April 2020 gesammelt worden waren, ermöglicht. Wir hatten bereits damals sieben Virusvarianten entdeckt und ihre unterschiedliche Zusammensetzung bei den berüchtigten Ausbrüchen von Bergamo und Lodi dokumentiert“, so der angesehene Virologe Fausto Baldanti.

APA/APA/National Institutes of Health/HANDOUT

Gegenüber dem Onlinemedium „HuffPost“ unterstrich Fausto Baldanti, dass mit der Rückkehr der Bewegungsfreiheit im Sommer letzten Jahres von seinem Forschungsteam weitere, mitunter auch aus dem Ausland stammende Varianten sequenziert worden waren. „Die ersten Fälle der englischen Variante hatten wir um Weihnachten herum identifiziert: Sie ist tatsächlich ansteckender, weil die Mutation in Position 501 des Spike-Proteins dafür sorgt, dass es sich leichter an die Zellen binden kann“, erläutert der Virologe. Später waren die südafrikanische, brasilianische und indische Variante hinzugekommen.

Universität von Pavia/Prof. Fausto Baldanti

Aber was bedeutet das für die heutige Lage? Unter den derzeit kursierenden Varianten gibt es mehrere Ähnlichkeiten. Das Spike-Protein, das es SARS-CoV-2 ermöglicht, an die menschliche Zelle anzudocken, ist aus Aminosäuren aufgebaut. Diese „Virusbausteine“ sind mit Nummern gekennzeichnet. Die indische Variante charakterisiert eine Mutation an Position 484, die auch die brasilianische und die südafrikanische Variante besitzen. Bei der indischen Variante kommt zur 484-Mutation eine weitere Mutation in Position 452 hinzu. Die südafrikanische Variante besitzt aufgrund der Mutation in Position 417 ebenfalls eine sogenannte Doppelmutation.

APA/APA (epa)/HANDOUT

„Die Tatsache, dass diese Veränderungen immer wieder an den gleichen Stellen auftreten, lässt uns vermuten, dass das Virus nicht unbegrenzt mutieren kann und dass es vielleicht seine Evolution verlangsamen könnte, indem es die Möglichkeiten der Mutation in der Protein-Andockzone ausschöpft. Die Anzahl der Spike-Standorte ist in der Tat begrenzt. Dieser Sachverhalt gibt uns eine Hoffnungsperspektive. SARS-CoV-2 könnte in Zukunft ein Virus mit geringer Intensität werden. Mit einem solchen Virus könnten wir leben, wie wir es derzeit mit vier anderen Coronaviren tun“, meint Fausto Baldanti.

APA/APA/AFP/HANDOUT

Der Virologe fügte hinzu, dass im Gegensatz zur 501-Mutation es bei den anderen Veränderungen wie etwa jener an Position 484 nicht scheine, dass von ihnen eine höhere Ansteckungsgefahr ausgehe. Er wies auch darauf hin, dass in der Lombardei neun von zehn sequenzierten Virusgenomen die englische Variante beträfen, während die brasilianische und südafrikanische Variante in der norditalienischen Region kaum und die indische überhaupt nicht vorkommen würden. Zudem sei seiner Ansicht nach der hohe Anstieg der Ansteckungen in Indien weniger auf die gleichnamige Variante, wo sie rund zehn Prozent der Fälle darstellt, sondern vielmehr auf religiöse Feierlichkeiten und die Verfassung des indischen Gesundheitswesens zurückzuführen.

ANSA/GIUSEPPE LAMI

Zuletzt warf der Virologe einen optimistischen Blick in die Zukunft. „Es gibt keinen Grund zur Annahme, dass die verfügbaren Impfstoffe ihre Wirksamkeit gegen die Varianten verlieren. Die Daten – auch die, die uns vorliegen – zeigen nur gegenüber der südafrikanischen Variante eine teilweise Verminderung der immunologischen Reaktion. Auch wenn es sich nur um einen teilweisen Verlust handelt, sollte dieser aber überwacht werden. Der Impfstoff sorgt für eine polyklonale Reaktion, die viele Antikörper gegen das gesamte Spike-Protein bildet. Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass im unwahrscheinlichen Fall eines Bedarfs die derzeitige Technologie eine einfache und schnelle Aktualisierung von Impfstoffen gegen Varianten ermöglichen würde. Die ständige Überwachung dient genau dazu, zu überprüfen, wie viele ‘Ausbruchsmöglichkeiten’ das Virus hat. Weil sie immer wieder die gleichen Positionen des Proteins betreffen, scheinen diese aber begrenzt zu sein“, folgert Fausto Baldanti.

Möge der angesehene Experte recht behalten.

Von: ka