Wucherei nimmt in Italien besorgniserregende Ausmaße an – VIDEO

Zum Weinen: Die Krise und faules Geld fressen die Ehrlichen auf

Donnerstag, 21. Mai 2020 | 07:03 Uhr

Rom – Der zur Eindämmung der Coronaepidemie verhängte Lockdown hat dazu geführt, dass die Kriminalität stark abnahm. Zu den wenigen Sparten der kriminellen Schattenwirtschaft, die von der Krise profitieren können, gehört hingegen die Wucherei. Infolge der Krise, die neben einfachen Bürgern besonders auch viele Kleinbetriebe hart trifft, herrscht bei vielen Italienern Ebbe auf dem Bankkonto. Da sie von der Bank keinen Kredit mehr erhalten, wenden sich viele Betroffene in ihrer Verzweiflung an Wucherer.

Die Pandemie und die Unfähigkeit der Politik, ihr mit geeigneten Maßnahmen zu begegnen, setzen den ganzen Wirtschaftskreislauf aufs Spiel, was zur Folge hat, dass viele Menschen in Armut versinken und Betriebe in Konkurs gehen. Bei diesen persönlichen und kollektiven Tragödien spielt immer das Geld, das nicht oder nur in sehr unzureichender Menge fließt, eine tragende Rolle. Da die Banken Menschen mit geringem oder unregelmäßigem Einkommen oder „sterbenden“ Kleinbetrieben kaum Geld leihen, wenden sich einfache Bürger und Inhaber von Läden und kleinen Handwerksbetrieben in ihrer Verzweiflung immer öfter an Wucherer. Wenn Freunde und Verwandte auch nicht mehr aushelfen können und wenn der Verkauf des Autos, der Einrichtung und anderer persönlicher Gegenstände auch nicht mehr dabei helfen, einen Liquiditätsengpass zu überwinden, bleibt den Verzweifelten auch kaum mehr eine andere Wahl.

Der Wucherer hingegen verweigert dem Kreditnehmer nie das Geld und ist im Gegensatz zu den Banken dazu imstande, ohne Sicherheiten und ohne Wartezeiten innerhalb kürzester Zeit die gewünschte Summe zu besorgen. Der Wucherer tut das, weil die Sicherheiten nicht das Geld oder die Besitztümer, sondern die Leben der Opfer selbst sind. Die Wucherer wissen, dass das Geld zusammen mit den Zinsen immer zurückgezahlt wird, weil den Kreditnehmern ansonsten die Beine gebrochen werden, deren Hunde umgebracht werden oder deren Ehefrauen und Töchtern mit Vergewaltigung gedroht wird. Die Wucherer wissen genauso wie die Opfer, dass die Rache der nicht zurückgezahlten Schulden so furchtbar sein wird, sodass die Kreditnehmer um jeden Preis das Geld zur Zurückzahlung auftreiben werden.

ANSA/ GUARDIA DI FINANZA

Die ersten Zahlen sind besorgniserregend. Das italienische Innenministerium gab für das erste Quartal gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahrs einen Anstieg von 9,6 Prozent bekannt. In Neapel hingegen wurden fünfmal so viele Fälle von Wucherei wie im gleichen Zeitraum des Vorjahrs gezählt. Allein im Jahr 2019 wurden vom nationalen Fond gegen das Organisierte Verbrechen rund 18 Millionen Euro an Opfer der Wucherei ausgezahlt. Die ersten Zahlen, die den Lockdown betreffen, zeigten, dass allein in diesen zwei Monaten fünf Millionen Euro – 1,9 Millionen allein in Neapel – dafür aufgewendet wurden, Menschen vor der Wucherei zu bewahren. Heute sind sich die Experten darin einig, dass die kriminelle Sparte der Wucherei in Italien jährlich rund 30 Milliarden Euro „erwirtschaftet“.

Dabei ist es gerade das Organisierte Verbrechen, das sich die Coronapandemie zunutze zu machen weiß. Während die „alte“ Mafia die Wucherei gleich wie die Prostitution oftmals als „unehrenhaft“ ablehnte und sich meist nur darauf beschränkte, den Wucherern, die selbst nie zur Mafia gehörten, einen Teil ihrer Erlöse als Schutzgeld abzupressen, steigt heute das Organisierte Verbrechen selbst in das große Geschäft ein. Im Gegensatz zur klassischen Wucherei verlangen die Verbrechensorganisationen, die über ungeheuerliche Geldmittel verfügen, keine oder nur kaum Zinsen, sondern ziehen es vor, geduldig auf ihre Stunde zu warten. Da die Geldschwierigkeiten der Opfer fast immer bestehen bleiben, zwingen die Kriminellen sie dazu, ihnen zu von ihnen selbst festgesetzen Preisen Wohnungen, Häuser oder ganze Betriebe zu überschreiben. Praktisch benutzt das Organisierte Verbrechen die Schulden dazu, die Betriebe ihrer Opfer von innen her „aufzufressen“ und sozusagen deren ganzes Leben zu „kaufen“.

Um zu verhindern, dass das Organisierte Verbrechen seine Tentakeln immer weiter in das Wirtschafts- und Sozialleben Italiens ausstreckt, muss der Staat sofort eingreifen. Der Staat muss so schnell wie möglich dafür sorgen, dass wieder ein legaler Geldumlauf in Schwung kommt. Dazu werden Kredite mit geringen Zinssätzen und in schweren Fällen auch direkte Zuschüsse nötig sein.

Ansonsten wird es so weit kommen, dass das „faule und schmutzige“ Geld der Wucherer und des Organisierten Verbrechens über das saubere Geld des legalen Geld- und Kreditverkehrs triumphieren wird. Heute bestehe die große Gefahr – so das traurige Fazit eines Experten – dass „die Krise und das faule Geld die Ehrlichen auffressen“. Es liegt an uns, an Italien und an Europa, ob diese Gefahr gebannt werden kann.

Von: ka