Von: apa
Am Höhepunkt der Flüchtlingswelle 2015 sind über Nickelsdorf täglich 5.000 bis 20.000 Migranten nach Österreich gekommen. Am 27. August 2015 besuchte der damalige Landespolizeidirektor Hans Peter Doskozil (SPÖ) gemeinsam mit der früheren Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) dort eine kleine Flüchtlingsversorgungsstelle – als nur rund 25 Kilometer entfernt auf der Ostautobahn ein Lkw entdeckt wurde mit 71 toten Flüchtlingen auf der Ladefläche.
Die Zahl der illegal eingereisten Migranten stieg bereits im Frühjahr 2015 “massiv”, im Burgenland wurden daher Flüchtlingsversorgungsstellen eingerichtet und einer ebensolchen statteten der heutige Landeshauptmann Doskozil und seine nunmehrige Amtskollegin aus Niederösterreich am 27. August einen Besuch ab. Als sie danach weiterfuhren ins Kontaktbüro, kam die Meldung über einen auf der A4 bei Parndorf aufgefundenen Kühllaster mit Toten an Bord.
“Wir haben die Dimension erahnt, aber die Größenordnung noch nicht gewusst”, so Doskozil. Die Vorstellung, dass 71 Menschen dort auf engstem Raum zusammengepfercht waren, lässt ihn erschaudern: “Das Gefühl muss Wahnsinn gewesen sein.” Dennoch, in dieser Situation, musste er in seiner Funktion als Landespolizeidirektor “einen Schalter umlegen” und kurzfristig eine Pressekonferenz in Eisenstadt organisieren, um die Öffentlichkeit zu informieren.
Tausende Migranten kamen täglich über Nickelsdorf nach Österreich
In der Pannenbucht in Parndorf, wo der von den Schleppern abgestellte Laster gefunden wurde, war Doskozil nicht selbst. Auch die Einrichtung in Nickelsdorf, wo die Leichen schließlich geborgen wurden, besuchte er bewusst erst, als die Arbeit dort erledigt war, da er dort neben den Ermittlern und Gerichtsmedizinern keinen Auftrag hatte. Auf dem Gelände war der “Geruch des Todes” noch präsent: “Allein der Geruch war einschneidend.”
In den nächsten Tagen musste die Polizei dafür sorgen, dass der große Flüchtlingsandrang in geordneten Bahnen verläuft. Anfang September 2015 kamen täglich 5.000 bis 20.000 Migranten über Nickelsdorf nach Österreich. “Das hat niemand kontrollieren oder zurückweisen können”, es sei lediglich um den Weitertransport nach Deutschland gegangen, denn dort wollte der Großteil der Flüchtlinge hin.
Andernfalls hätte sich die Menge selbstständig auf den Weg gemacht, so Doskozil. Nach rund sieben Wochen Einsatz an der Grenze war “alles leer”, “das fühlte sich komisch an”. Zu tun hatte dies aber weniger mit der “geschlossenen Balkan-Route”, sondern mit den dortigen geleerten Lagerplätzen.
Politisch sei seither “nichts passiert. Das System ist das gleiche, es hat sich nichts geändert”, kritisiert Doskozil. Migration erfolge in einer “Wellenbewegung” und werde es so auch in Zukunft geben, denn die Politik sei auf EU-Ebene nicht in der Lage, gesetzliche Regelungen zu schaffen.
Kunstinstallation für tote Flüchtlinge bei Burg Schlaining
Auch die österreichische Bundespolitik schaffe es nicht, Abschiebungen durchzuführen. Bei einem negativen Asylbescheid erhalten Flüchtlinge nach fünf Jahren in Österreich humanitären Aufenthalt. “Das ist verrückt”, stellte der Landeshauptmann fest und sprach von einer “gesetzlichen Bankrotterklärung”.
Dass Österreich verurteilte Straftäter nun auch nach Syrien abschiebt, befürwortet Doskozil, denn wer die Regeln der Gesellschaft missachtet, verwirke das Recht auf Asyl. Selbiges gelte auch für Abschiebungen nach Afghanistan. Eine “symbolische Abschiebung” reiche allerdings nicht: “Die Bundesregierung ist da bisher viel zu lasch gewesen.”
Kritisch sieht der Landeshauptmann auch, dass kein Arbeitszuzug erfolge, sondern “jeder reingelassen wird, der rein will”. Er plädiert daher dafür, eine generelle Diskussion über die Entwicklung der Gesellschaft zu führen: “Keiner hat den Mut, die Diskussion zu beginnen: Was bedeutet der Zuzug für unsere Werte und unsere Traditionen?” Dies sei “natürlich eine schwierige Frage: Menschen auf der Flucht zu unterstützen und gleichzeitig christliche Werte zu bewahren”.
Sinnvoll wären aus Doskozils Sicht Asylverfahrenszentren außerhalb der EU – bei der Schengenerweiterung um Rumänien und Bulgarien hätte man ein solches in der Türkei einrichten können. “Das ist die einzige Variante, Schleppungen in den Griff zu bekommen, weil sie dann keinen Sinn mehr haben. Jetzt gilt: Einmal in Mitteleuropa angekommen, bleiben sie dort.”
Doskozils niederösterreichische Amtskollegin Mikl-Leitner bezeichnet die Flüchtlingskrise 2015 rückblickend als “eine der größten Herausforderungen für die Republik”. Der “Merkel-Faymann-Deal” habe ganz Europa verändert und überfordert. Im Blick zurück müsse man sagen, “Merkel hat es nicht geschafft”, so die damalige Innenministerin im APA-Interview in Anspielung auf das berühmte Zitat der damaligen deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Für die 71 geschleppten Flüchtlinge, die am Weg nach Mitteleuropa gestorben sind, wird rund um den 10. Jahrestag die von Michael Kos gestaltete Kunstinstallation “Memory Box 71” im Burggarten der Friedensburg Schlaining aufgestellt. Dort, wo Besucher in die Geschichte des Burgenlandes eintauchen können, erhält das Kunstwerk nun seinen fixen Standort und erinnert an die Männer, Frauen und Kinder, die im Kühllaster erstickt sind.
Aktuell sind 1 Kommentare vorhanden
Kommentare anzeigen