Von: APA/Reuters/dpa/AFP
Israels Regierungschef Benjamin Netanyahu bietet eine befristete Waffenruhe im Gazastreifen an, um die Rückkehr der dort festgehaltenen israelischen Geiseln zu ermöglichen. Zudem strebt er zur Versorgung Hunderttausender Palästinenser die Einrichtung einer “sterilen Zone” im Süden des Gazastreifens an. “In dieser Zone, die komplett frei von der Hamas sein wird, werden die Bewohner von Gaza umfassende humanitäre Hilfe erhalten”, sagte Netanyahu am Mittwoch vor Journalisten.
Von den noch immer von der Hamas in dem Palästinensergebiet festgehaltenen Geiseln seien 20 “sicher am Leben”, erklärte Netanyahu. Gleichzeitig hielt er an dem kürzlich verkündeten Ziel fest, die vollständige Kontrolle über den Gazastreifen zu übernehmen. Am Ende des jüngst ausgeweiteten Militäreinsatzes in dem Palästinensergebiet werde “der gesamte Gazastreifen unter Kontrolle der israelischen Armee sein”. Dabei müsse eine “humanitäre Krise” vermieden werden, damit Israel seine “volle Handlungsfreiheit” behalte, fügte der Regierungschef hinzu.
Netanyahu schilderte einen dreiteiligen Plan zur Wiederaufnahme der Hilfslieferungen für die notleidende Bevölkerung in dem abgeriegelten Küstengebiet. Israel werde grünes Licht dafür geben, dass “grundlegende Lebensmittel jetzt” nach Gaza gebracht würden. Dies geschehe, um eine humanitäre Krise abzuwenden. Der Politiker räumte ein, dass “unsere engsten Freunde”, darunter Abgeordnete des US-Senats, das nicht akzeptieren würden.
US-Sicherheitsfirmen statt humanitärer Helfer
In einem zweiten Schritt würden amerikanische Sicherheitsfirmen Verteilungszentren im Inneren des Küstengebiets einrichten und betreiben. Dies solle in den kommenden Tagen geschehen. Schließlich soll in einer dritten Phase für Hunderttausende Bewohner die “sterile Zone” im Süden des Gazastreifens entstehen.
Die Verteilungszentren sind Teil eines Plans, hinter dem die Regierung von US-Präsident Donald Trump steht. Israel will auf diese Weise Organisationen der Vereinten Nationen und anderer internationaler Helfer umgehen. Die UN und Hilfsorganisationen lehnen die Pläne für die Neuaufstellung der humanitären Hilfe ab. Eine Verteilung auf diesem Wege würde nicht die Mindestanforderungen für humanitäre Einsätze erfüllen, sagen ihre Vertreter.
Lebensrettende Hilfe steckt fest
Hunderttausende Notleidende in Gaza müssen unterdessen weiter auf lebensrettende Hilfe warten. Laut UN stecken rund 100 Hilfs-Lkw weiter bei einem Grenzübergang fest. Israel hatte seit Anfang März alle humanitären Lieferungen in das abgeriegelte Küstengebiet blockiert. Damit sollte der Druck auf die islamistische Hamas erhöht werden, mit der Israel seit dem Massaker vom 7. Oktober 2023 im Krieg steht. Nach israelischer Lesart stiehlt die Hamas Hilfsgüter und verkauft sie auf dem Schwarzmarkt, um den Krieg gegen Israel zu finanzieren. Die UN halten dagegen, dass Israel keine Beweise dafür vorgelegt habe.
Israel hatte sich zu Wochenbeginn bereit erklärt, wieder humanitäre Transporte zuzulassen. Mehrere Dutzend Lastwagen fuhren seitdem über die Grenze nach Gaza. Von der Gaza-Seite der Grenze konnten sie aber seitdem ihre Fahrt nicht ins Innere des Gebiets fortsetzen.
UN: Gaza-Hilfslieferungen noch immer nicht verteilt
“Bisher konnte keine der Lieferungen den Ladebereich von Kerem Shalom verlassen”, betonte der Sprecher von UN-Generalsekretär António Guterres, Stéphane Dujarric, am Mittwoch in New York. Etwa 100 Lastwagen mit Hilfsgütern befänden sich seit teils knapp drei Tagen innerhalb des Gazastreifens bei dem Grenzübergang. Das Problem sei die von Israel vorgeschlagene Route für den Weitertransport der Güter.
Dujarric zufolge hatten die israelischen Streitkräfte sich verpflichtet, eine Straße von militärischen Aktivitäten auszunehmen, sodass die Lastwagen die Hilfe zu Verteilungszentren transportieren können. Das Risiko war den UN aber zu hoch: “Unsere Kollegen vor Ort waren der Meinung, dass die Straße zu überlastet und unsicher war, deshalb haben wir sie nicht genommen”. Die Weltorganisation sieht angesichts der großen Not in dem Gebiet die akute Gefahr von gewaltsamen Plünderungen.
“Situation im Fluss”
Der Sprecher betonte, dass die Situation sich noch am Mittwoch ändern könnte. “Die Situation ist offensichtlich im Fluss.” Die UN und Hilfsorganisationen warnen vor einer Hungersnot in dem Küstenstreifen. Während der Feuerpause Anfang des Jahres waren jeden Tag bis zu 600 Lastwagen mit Hilfsgütern über die Grenze in den Gazastreifen gefahren.
Palästinenser: Mehr als 60 Tote bei israelischen Angriffen
Nach Angriffen Israels im Gazastreifen ist die Zahl der Toten in dem umkämpften Küstengebiet palästinensischen Angaben zufolge weiter gestiegen. Seit der Nacht seien mindestens 62 Menschen getötet worden, teilte der von der Hamas kontrollierte Zivilschutz im Gazastreifen am Mittwoch mit. Laut palästinensischen Informationen wurden Dutzende Menschen bei den Angriffen verletzt. Die Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen. Die israelische Armee teilte indes mit, ihre “Operationen gegen die terroristischen Organisationen im Gazastreifen” fortzusetzen.
Dabei seien im Laufe des vergangenen Tages mehr als 115 Ziele angegriffen worden. Unter den Zielen waren nach Armeeangaben Abschussrampen, militärische Einrichtungen, Tunnel, Terrorzellen, Terroristen und terroristische Infrastruktureinrichtungen. Auch diese Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.
Täglich Dutzende Tote gemeldet
In den vergangenen Tagen waren aus dem Küstengebiet täglich Dutzende Tote gemeldet worden. Israels Militär hatte vor wenigen Tagen eine neue Großoffensive im Gazastreifen gestartet.
Bezüglich der Hilfsgüter hieß es von der für Palästinenser-Angelegenheiten zuständige israelische Behörde COGAT, die humanitäre Hilfe umfasse Mehl, Babynahrung, medizinische Ausrüstung und Medikamente.
Österreich gegen Aufkündigung von EU-Assoziierungsabkommen
Außenministerin Beate Meinl-Reisinger (NEOS) sprach sich unterdessen gegen ein Aussetzen des Assoziierungsabkommens der EU mit Israel aus. Sie erklärte, dass Österreich Verständnis für eine Überprüfung des Abkommens habe. “Ja, wir haben uns diesem Vorstoß im Ziel angeschlossen, weil die Situation in Gaza wirklich unerträglich ist”, sagte sie am Mittwoch in der Früh im Ö1-Morgenjournal. “Wogegen wir uns aber auch aussprechen, weil es da Vorstöße gab, ist, gänzlich dieses Abkommen zu suspendieren.” Gerade in schwierigen Phasen sei der Dialog wichtig.
Die außenpolitische Sprecherin der SPÖ, Petra Bayr, betonte, dass Israel zwar das Recht habe, seine Bevölkerung gegen Attacken wie jene der Hamas zu schützen, dieses Selbstverteidigungsrecht aber dort ende, “wo es die Grenzen des internationalen Rechts überschreitet.” SPÖ-Europasprecherin Pia Maria Wieninger ergänzte, dass “ein sofortiger Waffenstillstand, die bedingungslose Freilassung aller Geiseln sowie die sofortige Aufhebung der Blockade humanitärer Hilfe” zentrale Schritte seien, um den Weg zu einer politischen Lösung zu ebnen.
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