Ein ganz subjektiver Blick auf den Faschismus heute

Alle Jahre wieder: Der Mussolini Kalender 2019 ist da!

Samstag, 01. Dezember 2018 | 08:21 Uhr

Bozen – Alle Jahre wieder kommt das Christkind. Alle Jahre wieder erscheint auch der Mussolini-Kalender. So auch heuer. Von einem entrüsteten Beobachter wurde ich darauf aufmerksam gemacht, dass der Mussolini-Kalender 2019 auch in Bozen vertrieben wird. Ein Kiosk unter freiem Himmel, gegenüber vom Siegesdenkmal, hat ihn im Sortiment – und tut so, als ob nichts wäre.

Am Dienstag, dem 13. November 2018 flanierte ein Bürger durch die Stadt Bozen. Er ging am Kiosk vorbei, der sich gegenüber vom Siegesdenkmal befindet und sah plötzlich den Mussolini-Kalender 2019! Der Bozner traute seinen Augen kaum. Er fotografierte sogleich den ausgestellten Kalender, der den einstigen “Duce” verherrlicht, und kontaktierte mich.

Es ist mehr als bedenklich, dass der faschistische Diktator Benito Mussolini noch heute glorifiziert wird und das an einem so sensiblen Ort wie dem Siegesplatz. Der Mussolini-Kalender 2019 arbeitet keinesfalls die Geschichte Italiens auf, sondern huldigt die “Leistungen” des “Duce” in verschiedenen Bereichen wie Bildung, Landwirtschaft und vieles mehr. Von Kriegsverbrechen ist keine Rede.

Ist denn in Vergessenheit geraten, dass am 21. Oktober 1939 alle Einwohner und Einwohnerinnen Südtirols offiziell vor die Wahl gestellt wurden, in Italien zu bleiben oder die Nationalität zu wechseln und ins Deutsche Reich auszuwandern? Die Diktatoren Mussolini und Hitler hatten sich darauf geeinigt, das „Südtirol-Problem“ auf diese Art und Weise zu lösen. Beide Seiten kämpften mit schmutzigen Tricks. Die „Option“ ist eines der dunkelsten Kapitel in der Geschichte Südtirols: Die Südtiroler und Südtirolerinnen wurden zwangsitalianisiert.

Vergessen scheinen auch die Gräueltaten von Mussolinis Truppen in Abessinien, in die ebenso Südtiroler involviert waren: Am 3. Oktober 1935 schlugen sie im heutigen Äthiopien, mit modernem Vernichtungsarsenal und bis dahin ungekannter Brutalität, zu. Im Nachkriegsitalien mochte man an diese Gräueltaten nicht mehr erinnert werden. Hatten Partisanen doch immerhin den faschistischen Diktator an einer Tankstelle aufgeknüpft und konnte man sich auf einen aktiven Widerstand berufen, der mutig und unter großen Opfern sich der Achse Berlin-Rom in den Weg zu stellen versucht hatte.

Sich der eigenen Geschichte zu stellen, findet auch heute in Italien nicht genug Gehör. Den Mussolini-Kalender im Kiosk auszustellen, scheint nicht weiter bedenklich zu sein: Abnehmer und Abnehmerinnen gibt es genug und der Verkauf ist nicht illegal.

Auch andernorts erhalten Kioskbesitzer und Kioskbesitzerinnen alljährlich automatisch den Kalender von Vertreibern zugeschickt. Sie bestellen ihn nicht. Sie können ihn dann ausstellen oder irgendwo im Kiosk verstecken und für Käufer und Käuferinnen bereithalten, bis sie von den Vertreibern dazu aufgefordert werden, die Restbestände zurückzuschicken. Das Gewissen entscheidet da mit. Mussolini-Freunde wissen, dass sie nur nach dem Kalender fragen müssen, um ihn zu bekommen. Sie kaufen den Kalender meist dann, wenn keine anderen Leute am Kiosk stehen.

Der Markt für faschistisches Material floriert. Im Umlauf sind drei Mussolini-Kalender von verschiedenen Verlagen. Online kann man problemlos Kalender, T-Shirts und Fahnen mit Bezug zu Mussolini kaufen.

Auf dem Mussolini-Kalender 2019, ist der Duce abgebildet. Seine schwarzen Augen schauen den Betrachter oder die Betrachterin mit einem fesselnden Blick von oben herab an. Daneben befindet sich im Schriftzug des “Duce”: “Camminare, costruire e, se necessario, combattere e vincere! Benito Mussolini.”

Es scheint, dass wir unter Amnesie leiden. Ein Verbrecher wird zur Ikone. In Madrid wäre es undenkbar, einen Franco-Kalender zu kaufen, in Berlin unmöglich, einen Hitler-Kalender zu erwerben. Dass ein Kalender, der einen Verbrecher, Antisemiten und Rassisten idealisiert, ohne jegliche moralische Bedenken in Bozen ausgestellt werden kann und wird, sagt auch etwas über die Südtiroler Gesellschaft aus. Ein zunehmender Teil der Bevölkerung sehnt sich nach strenger Führung, hartem Vorgehen, Ausmerzung von einigen Menschengruppen. Vergessen scheint die nationalsozialistische und faschistische Geschichte, die Zerstörung der Demokratie und das horrende Kapitel der Konzentrationslager.

Wehret den Anfängen und sprecht mit denen, die die harten, brutalen Zeiten am eigenen Leib erlebt haben!

Von: bba

Bezirk: Bozen