Von: apa
Zu zwei Jahren teilbedingter Haft ist am Montag am Wiener Landesgericht ein 15-jähriger anschlagsbereiter Anhänger der Terrormiliz “Islamischer Staat” (IS) verurteilt worden. Gegen den Burschen war unter strengen Sicherheitsvorkehrungen verhandelt worden. Er hatte ein Terror-Attentat in Wien geplant und dabei den Westbahnhof als primäres Anschlagsziel im Sinn. Einer IS-Kontaktperson sicherte er die Umsetzung für den Sommer 2025 zu.
Von den zwei Jahren wurden acht Monate unbedingt ausgesprochen. 16 Monate bekam der Jugendliche unter Setzung einer dreijährigen Probezeit auf Bewährung nachgesehen. Das bedeutet, dass der 15-Jährige zur Verbüßung des unbedingten Strafteils unter Anrechnung der U-Haft noch bis Anfang Oktober im Gefängnis bleiben muss, falls er nicht vorzeitig bedingt entlassen wird. Ob es dazu kommt, hat das Landesgericht von Amts wegen zu prüfen.
Per Weisung wurde der Jugendliche vom Schöffensenat auch dazu verpflichtet, nach seiner Enthaftung ein Beschäftigungsverhältnis nachzuweisen. “Wer müde ist vom Arbeiten, hat am Abend weniger Zeit für Blödsinn”, erläuterte dazu der vorsitzende Richter. Außerdem wurde Bewährungshilfe angeordnet.
Urteil nicht rechtskräftig
Das Urteil – der Schuldspruch umfasste die Vorbereitung einer terroristischen Straftat, die terroristische Vereinigung, die versuchte Ausbildung für terroristische Zwecke, die Anleitung zur Begehung einer terroristischen Straftat und das Verbrechen der kriminellen Organisation – ist nicht rechtskräftig. Während der 15-Jährige die Entscheidung nach Rücksprache mit seiner Rechtsvertreterin und den im Gerichtssaal anwesenden Eltern akzeptierte, gab der Staatsanwalt vorerst keine Erklärung ab.
Die FPÖ kritisierte das Urteil als zu mild. “Ein geplantes Massaker, das nur durch glückliche Umstände verhindert werden konnte, wird hier de facto mit einem Klaps auf die Finger beantwortet. So gibt sich ein Staat endgültig auf!”, wird Sicherheitssprecher Gernot Darmann in einer Aussendung zitiert. Er ortet eine bedenkliche Tendenz in Österreich und der EU; nicht zum ersten Mal würde ein gefährlicher islamistischer Extremist “mit milden Strafen oder fragwürdigen Entlassungen davonkommen.”
Der Angeklagte war in der Verhandlung zu den wider ihn erhobenen Terror-Vorwürfen umfassend geständig. “Ich stehe immer zu meinen Fehlern”, sagte der schmächtige 15-Jährige, der mit schulterlangen schwarzen Haaren und in einem hellblauen Hemd die Fragen des vorsitzenden Richters beantwortete. Er hatte im Beratungszimmer in Begleitung mehrerer schwerbewaffneter Kräfte der Justizwache Einsatzgruppe (JEG) auf den Beginn der Verhandlung gewartet, um so einem Großaufgebot an Medienschaffenden zu entgehen, die sich vor dem Saal versammelt hatten.
Staatsanwalt ortete “sehr, sehr hohe Gewaltbereitschaft”
Der Staatsanwalt bescheinigte dem 15-Jährigen eine “sehr, sehr hohe Gewaltbereitschaft.” Dieser habe “ein Blutbad” anrichten wollen. Der Angeklagte sei “sehr klein, sehr schmächtig, sehr jung. Aber der IS nützt genau solche Personen”. Die Terror-Organisation versuche, “gezielt junge Menschen in Europa dazu zu bewegen, Anschläge durchzuführen”.
“Mein Mandant ist kein Monster”, hielt dem Verteidigerin Anna Mair entgegen. Dieser sei “abgerutscht”, weil er sich unverstanden gefühlt habe, in der Schule aufgrund seines Glaubens gemobbt worden sei und keine Ansprechpersonen gehabt hätte. Von Vertretern des IS, auf die er im Internet gestoßen sei, habe er “Hilfe, Wissen, Unterstützung, Freundschaft” bekommen und sei “instrumentalisiert” worden: “Diese Fürsorge ist auf fruchtbaren Boden gefallen. Leider.”
Der damals 14-Jährige, dessen Eltern keine streng gläubigen Muslime sind, hatte sich im vergangenen Sommer über TikTok radikalisiert. Der Staatsanwalt sprach in diesem Zusammenhang von einem “traurigen Beispiel für Online-Radikalisierung, wie sie im Buche steht”. Der Schüler hörte sich Predigten bekannter IS-Vertreter – darunter der deutsche Salafist Pierre Vogel – an und konsumierte in kürzester Zeit reichlich Propagandamaterial der Terror-Miliz, das er auch weiterleitete.
Nach Mobbing-Erfahrungen Schusswaffe bestellt
Nachdem er sich dem IS zugewandt und im Internet eine Anleitung zum Bombenbauen gefunden und dazu handschriftliche Notizen angefertigt hatte, bestellte sich der Bursch im November 2024 über eine deutsche Online-Börse eine Schusswaffe. Vorangegangen waren den Anschlagsplänen der Darstellung des 15-Jährigen zufolge Mobbing-Erfahrungen an der Schule. Er soll demnach als Klassenkleinster gehänselt und ins Klo gesperrt worden sein. Als er in der Schule betete, wurde er von Klassenkameraden fotografiert und angeblich belächelt. Ein Lehrer habe den Propheten Mohammed ihm gegenüber als “Analphabeten” bezeichnet, schilderte der Angeklagte. Daraufhin wollte er eine Glock 17 oder eine Glock 19 besitzen, entsprechende Angebote fand er online. Er schickte eine Bestellung ab. “Die ist Gott sei Dank nicht geliefert worden”, führte der Staatsanwalt in diesem Kontext aus.
Daraufhin hätte der Angeklagte im Jänner seinen ursprünglichen Plan geändert. Nun kam ihm in den Sinn, einem Polizisten die Dienstwaffe zu entreißen und den Beamten mit einem Messer niederzustechen. Der Schüler hatte laut Anklage zu Hause mehrere Kampfmesser liegen, die zu besorgen offenbar kein schwieriges Unterfangen war. Konkret besaß er eine Machete mit einer Klingenlänge von 23 Zentimetern, zwei Jagdmesser, ein Klappmesser und ein Taschenmesser.
“Plan A” sah Niederstechen eines Polizisten vor
Mit der Waffe des getöteten Polizisten wollte der Bursch laut Anklage Passanten bzw. Ungläubige töten. Der 15-Jährige bestätigte das in seiner Beschuldigteneinvernahme. Das sei “Plan A” gewesen: “Ich wollte einen Polizisten niederstechen und seine Waffe nehmen. Ich habe gezeichnet, wo das sein kann.” Er habe die Absicht gehabt, “das in meiner Wohnumgebung zu machen”. In diesem Zusammenhang nannte der Angeklagte eine konkrete Polizeiinspektion, die “bei mir ums Eck” liege.
Davon rückte der Schüler ab, nachdem er in der zweiten Jänner-Hälfte über einen einschlägigen Chat in Kontakt mit einem zwar namentlich bekannten IS-Kontaktmann gekommen war, dessen Identität jedoch noch nicht ermittelt werden konnte. Von diesem Zeitpunkt an sei der Westbahnhof als “primäres Anschlagsziel” in den Fokus gerückt, stellte der Staatsanwalt fest. Laut Anklage sicherte der 15-Jährige der Kontaktperson zwischen 5. und 7. Februar zu, einen Schwur auf den IS abzulegen und im Sommer 2025 einen Anschlag mit Sprengstoff, Schuss- oder Stichwaffen in Wien zu begehen.
Belegt wurden die Absichten des IS-Anhängers durch Sicherstellungen in seinem Kinderzimmer, die im Rahmen einer gerichtlich bewilligten Hausdurchsuchung vorgenommen wurden. Entdeckt wurden von ihm eigenhändig angefertigte Zeichnungen der U6-Station am Westbahnhof. Abgebildet waren Züge, Geleise und Strichmännchen, wobei eine der Figuren mit einem Messer bzw. einer Machete auf andere einsticht. Die Opfer sind mit dem Wort “Kuffar” (“Ungläubige”) bezeichnet, einem im Islam gebräuchlichen Ausdruck für Menschen, die Angehörige anderer Religionen sind oder nicht dem Islam angehören.
Auch Geiselnahme war angedacht
Auf der Flucht nach Durchführung des Anschlags hatte der 15-Jährige auch eine Geiselnahme angedacht. Zu diesem Zweck hatte er sich Handschellen besorgt. Im Kellerabteil der elterlichen Wohnung wurden von der Polizei Aluminiumrohre und Tischbeine beschlagnahmt, die zur Herstellung einer Rohrbombe gedacht waren.
“Es war ein sehr großer Fehler”, meinte der Angeklagte zu den Anschlagsplänen. Auf die Frage des Richters, ob er bereit gewesen wäre, für seine Pläne zu sterben, erwiderte der 15-Jährige: “Ich wäre nicht bereit. Ich hatte keinen Mut dazu. Ich bin froh, dass ich es nicht gemacht habe.”
Im Herbst sei ihm noch von einem Chat-Partner geraten worden, er müsse “es machen, wo viele Leute sind, Spital, Bahnhof, Konzerte, Nachtclubs”. Was die Tatwaffen anlangt, habe er an Stichwaffen gedacht und sich fünf Messer besorgt, habe sich aber auch für Schusswaffen interessiert, “seit ich klein bin”. Sein neuer Ansprechpartner habe ihm dann im Jänner erklärt, es sei “dumm, etwas Kleines zu machen”, weshalb ihm “der Westbahnhof mit Messer und Machete” in den Sinn gekommen sei, gab der Angeklagte zu Protokoll.
“Mein Ziel war es, ein besseres Leben zu machen”, erklärte der 15-Jährige, der dem Attentäter vom 2. November 2020 nacheiferte, der vor über viereinhalb Jahren in der Innenstadt vier Menschen erschossen hatte. Diesem habe er “gehuldigt”, hielt der Staatsanwalt fest. Der Angeklagte widersprach dem nicht. Er habe “das Paradies” erreichen wollen, nun habe ihm Gott “das Gefängnis gegeben, dass ich mich bessere”, bemerkte er.
Verteidigerin begrüßte Festnahme des Angeklagten
Der Schüler war nach länderübergreifenden Ermittlungen am 10. Februar in der elterlichen Wohnung in Währing festgenommen worden. Verteidigerin Mair begrüßte das. Damit sei ihr Mandant von seinem “Hass auf alles” und der “Spirale”, in der er sich befunden hätte, weggekommen. Umsetzen habe der Jugendliche seine terroristischen Absichten “nicht unmittelbar” wollen. “Erst im Sommer. Er war zu feig”, sagte Mair dazu.
Durchaus erhellend waren die jugendgerichtlichen Erhebungen zum Angeklagten, die in der Verhandlung erörtert wurden. Demnach hatte er bis zu seiner Festnahme vier bis fünf enge Freunde, die allesamt einen Bezug zum IS hatten. Einer von ihnen – ein 19-Jähriger – befindet sich mittlerweile wegen terroristischer Vereinigung in Haft. Zu seinen Hobbys zählte der 15-Jährige seinen E-Roller sowie die Lektüre islamischer Bücher. Religion sehe er “als Ressource”, zitierte der Richter aus den Erhebungen.
“Man muss seine Religion verteidigen”
“Man muss seine Religion verteidigen. Wenn man mit dem Mund nicht weiterkommt, macht man mit Herzen”, legte der 15-Jährige dar. Dann setzte er nach: “Wenn man mich niedermacht wegen meiner Religion, lasse ich mir das nicht gefallen.”
Aus diesem Grund hatte er Ende Mai einen Mithäftling in der Justizanstalt Josefstadt verprügelt, der ihn einen “Terroristen” genannt hätte: “Das geht mir so richtig auf die Nerven.” Auf die Frage, ob es Schwierigkeiten mit dem Lehrpersonal gegeben hätte, bemerkte der Bursch: “Nicht so richtig Streit.” Ein Lehrer habe sich einmal abschätzig über “den Propheten” geäußert: “Es macht mich wütend, wenn man den Propheten beleidigt. Aber der Dschihad ist auch der Kampf, dass man den Zorn besiegt.”
Die Schläge gegen den Mithäftling wurden vom Gericht als Körperverletzung mitverurteilt. Von einer inkriminierten Drohung gegen den Lehrer wurde der 15-Jährige demgegenüber im Zweifel freigesprochen.
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