Die Aufgaben des Bürgerrats

Direkte Demokratie: Fortschritte im Landtag

Mittwoch, 25. Juli 2018 | 11:53 Uhr

Bozen – Der Landtag hat heute die Artikeldebatte zum Landesgesetzentwurf Nr. 134/17: „Direkte Demokratie, Partizipation und politische Bildung“ (vorgelegt von den Abg. Amhof, Foppa und Noggler) wieder aufgenommen. Am Vortag war Art. 20 andiskutiert worden.

Art. 20 regelt den Bürgerratsprozess.
Paul Köllensperger forderte eine Amtsdauer von sechs Monaten, was abgelehnt wurde.
Alessandro Urzì kritisierte die Bezugnahme auf die Objektivität, was wenig glaubwürdig sei. Auch die Planung durch das Büro für politische Bildung habe einen schlechten Beigeschmack, es klinge nach DDR. Der Bürgerrat habe keinen Sinn und nur Kosten. Brigitte Foppa wehrte sich gegen diese Darstellung des Bürgerrats als Politbüro, Urzì habe etwas gänzlich Neues mit alten Bildern beschrieben. Die vorgesehene Moderation müsse objektiv sein, sie kenne vielfach nicht den Inhalt, sondern biete methodische Unterstützung. Der Artikel wurde mit 19 Ja, zwei Nein und sieben Enthaltungen genehmigt.

Art. 21 regelt den Prozessablauf des Bürgerrats.
Paul Köllensperger forderte, dass der Antrag auf Einsetzung des Bürgerrats von 200 (statt) Bürgern oder auch von einem Verein oder Unternehmen gestellt werden kann. Diese Anträge wurden abgelehnt.
Alessandro Urzì warnte vor dem Bürgerrat, er könne gleich von außen beeinflusst werden wie der Konvent. Er kritisierte, dass keine Bestimmung zur Zweisprachigkeit vorgesehen sei; wie beim Konvent könnten dann manche der Diskussion nicht folgen. Es sei überdies nicht einsehbar, dass dem Landtag, der genau definierte Aufgaben habe, ein zweites Organ zur Seite gestellt werde wie eine “Badante”. Brigitte Foppa verwies auf die positive Erfahrung in Vorarlberg und Baden-Württemberg. Der Südtiroler Bürgerrat werde nach einem geschichteten Zufallsprinzip und nach Sprachgruppe, Geschlecht und Alter zusammengesetzt. Im Gesetz stehe nicht, dass es keine Übersetzung geben werde.

Oswald Schiefer beantragte die Streichung der Initiative durch Landtagsabgeordnete und Landesregierung. Myriam Atz Tammerle berichtete ebenfalls von den Erfahrungen in Vorarlberg und Baden-Württemberg. Der Bürgerrat sei eine weitere Möglichkeit der Mitbestimmung durch die Bürger. Sie kritisierte die beantragte Streichung der Abgeordneteninitiative.
Der Artikel wurde in mehreren Teilabstimmungen mehrheitlich genehmigt. Die Initiative (auf Einsetzung des Bürgerrats) durch Abgeordnete oder Landesregierung wurde gestrichen.

Art. 22 betrifft die Abhaltung des Bürgerrats.
Paul Köllensperger forderte einen 20-köpfigen Bürgerrat (statt zwölf), dessen Mitglieder zehn Tage tagen und mit 200 Euro pro Tag vergütet werden sollten. Myriam Atz Tammerle forderte, dass die Mitglieder per Losziehung und nicht geschichtet nach Sprachgruppe, Geschlecht und Alter ausgewählt werden. Alessandro Urzì wandte sich gegen den Antrag Köllenspergers sowie gegen die Bestimmung, dass das Ergebnis einstimmig beschlossen werden soll. Es zeichne sich dasselbe ab, was beim Konvent passiert sei: viel Lärm um nichts und ein Ergebnis, mit dem niemand zufrieden sei. Ein einstimmiges Ergebnis sei unrealistisch, falls nicht die Moderatoren für Gleichschaltung sorgten. Es gebe außerdem keine Garantie für die Zweisprachigkeit, was dazu führen werde, dass manche die Gruppe frühzeitig verlassen würden.

Sigmar Stocker kritisierte ebenfalls die geforderte Einstimmigkeit. Das sei bei einem Gremium unwahrscheinlich. Er wandte sich auch gegen eine Besetzung nach reinem Losverfahren, dann würden durch Zufall ganze Gesellschaftsschichten ausgeschlossen. Brigitte Foppa verteidigte die Einstimmigkeit, diese zwinge zur Suche nach Konsens, nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Das sei kein totalitärer Ansatz. Riccardo Dello Sbarba präzisierte, dass im Konvent der 33 die Zweisprachigkeit garantiert war, nicht aber im Forum der 100. In einem institutionellen Organ, und das wäre auch der Bürgerrat, müsse die Zweisprachigkeit gewährleistet werden. Beim Forum hätte Präsident Widmann das garantieren müssen, aber er habe nicht einmal an den Konvent geglaubt. Hätte es im Konvent der 33 eine Moderation gegeben, wäre man zur Einstimmigkeit gekommen. Dello Sbarba kritisierte, dass der Bürgerrat nicht mehr auf Initiative von Abgeordneten oder Landesregierung einberufen werden kann. Der Konvent sei auch ein Bürgerrat gewesen und sei vom Landtag eingesetzt worden. Es wäre nützlich, wenn Landtag und Landesregierung sich in dieser Form den Rat der Bürger zu bestimmten Vorhaben einholen könne. Der Bürgerrat bedeute keinen Volksentscheid, er sei eine Form der Bürgerbeteiligung. Bei Volksabstimmungen könne er verstehen, dass die Mehrheit der Opposition nicht die Initiative überlassen wolle, aber hier gehe es um anderes.
Die Änderungsanträge von Köllensperger, Oberhofer und Atz Tammerle wurden abgelehnt.
Der Artikel wurde mit 21 Ja, ein Nein und neun Enthaltungen genehmigt.

Die Art. 23, 24 und 25 wurden ohne Debatte genehmigt.

Art. 26 betrifft das Büro für politische Bildung und Bürgerbeteiligung.
Oswald Schiefer beantragte die Streichung der Unterstützung von Beteiligungsprozessen und der Beratung der Promotoren von Volksinitiativen aus der Liste der Aufgaben. Brigitte Foppa wandte sich gegen die Streichung. Diese Unterstützung mache den Verfahrensablauf rationeller. Alessandro Urzì kritisierte, dass das Landtagspräsidium, das von der Mehrheit kontrolliert werde, über die Unabhängigkeit des Büros wachen solle. Man stelle sich den Aufruhr vor, wenn die derzeitige italienische Regierung so ein “unabhängiges” Büro zur politischen Bildung der Bürger einrichten würde. Sigmar Stocker meinte, politische Bildung gehöre in die Schule, nicht in dieses Büro.

Brigitte Foppa meinte hingegen, politische Bildung sei auch Teil der Erwachsenenbildung und könne nicht auf die Schule beschränkt werden. Das Büro habe nicht die Aufgabe, zu indoktrinieren, sondern zu koordinieren und Menschen zu erreichen, die sich gemeinhin nicht für solche Themen interessieren. Magdalena Amhof bestätigte dies. Viele würden sich für Politik kaum interessieren, sie würden nicht einmal den Unterschied zwischen Landesregierung und Landtag kennen. Sie verwies auf die Online-Wahlkabine des Jugendrings als gelungenes Beispiel, bei dem es gelungen sei, Jugendliche für dieses Thema zu gewinnen. In der Schule erfolge politische Bildung, wenn sich einzelne Lehrer dafür engagierten. Das für Südtirol spezifische Unterrichtsmaterial fehle. Walter Blaas zeigte sich skeptisch, besonders, wenn man den Jugendring als Beispiel anführe, eine Vorfeldorganisation der Jugendorganisationen der Mehrheit, die auch der Geldgeber dieser Organisationen sei. Auch der Bischof klinke sich in die politische Bildung ein und wende sich gegen den Doppelpass. Er sei immer skeptische, wenn Organisationen “bildungsfernen Schichten” die Welt erklären sollen.

Sven Knoll sah es positiv, wenn Menschen jeden Alters in der politischen Bildung begleitet werden. Skeptisch werde er, wenn das Büro über “Brennpunktthemen” informieren solle, das seien aktuelle, aber umstrittene Themen wie doppelte Staatsbürgerschaft oder Ortsnamen – hier sei Objektivität schwierig. Dieser Punkt sollte aus dem Artikel gestrichen werden, man brauche kein Propagandaministerium. Florian Mussner verteidigte den Bildungsauftrag – Bürgerkunde sei früher Pflichtfach gewesen – und auch das Recht des Bischofs zu Aussagen über politische Themen. Kritisch sah er den Bezug auf “politik- und bildungsferne Milieus”. Maria Hochgruber Kuenzer wies auf die zahlreichen Publikationen und Initiativen des Landtags zur politischen Bildung hin, für die Jugendlichen, aber auch für die Erwachsenen. Die Abgeordneten hätten die Pflicht, auch in diesem Bereich aktiv zu werden. Die Leute draußen hätten übrigens auch andere Sorgen, nicht nur die direkte Demokratie. Man spreche heute eben über direkte Demokratie und nicht über leistbares Wohnen und Jugendarbeitslosigkeit, erwiderte Brigitte Foppa. Sie teilte Mussners Meinung, dass Interesse für Politik nicht unbedingt mit dem Bildungsgrad zu tun habe. Hans Heiss meinte, das Überangebot an politischer Information verhindere eine Orientierung und führe zu Desinteresse und Aggressivität. Vor dem Verfassungsreferendum, aber auch zu Doppelpass und ähnlichen Themen wäre sachliche Aufklärungsarbeit hilfreich, gerade wenn Medien oft auch agitierend in die Debatte eingreifen würden. In Deutschland würden die Zentralen für politische Bildung wertvolle Arbeit leisten. Andreas Pöder sah bei der sog. sachlichen Aufklärung die Gefahr, dass Meinungen flachgebügelt werden. Niemand sei hundertprozentig objektiv, daher stelle sich die Frage nach der Orientierung des Büros. Linke Parteien seien der Meinung, dass rechte Wähler nicht informiert seien, daher redeten sie von bildungsfernen Milieus. Politik bestehe aus Meinungsbildungsprozessen, und jeder werde sich in seinem Umfeld die Meinung bilden. Eine Information darüber, wie demokratische Organe funktionieren, wäre nützlich, die Aufgaben des Parlaments und der Regierung usw. Nützlich wäre auch eine Erziehung zum Umgang mit Medien und Fake News, nicht aber das Flachbügeln von kontroversen Themen. Zu gewissen Themen sei eine ideologische Debatte sinnvoll, ansonsten würden sich die Positionen angleichen, und die Bürger könnten nicht mehr unterscheiden. Sven Knoll sprach sich für den Vorschlag Foppas aus, “bildungsfern” durch “bildungsungewohnt” zu ersetzen, es gehe schließlich nicht um den Schulabschluss. Magdalena Amhof schlug eine entsprechende Korrektur für den italienischen Text vor. Walter Blaas plädierte für die ersatzlose Streichung von “politik- und bildungsfern”, es sollte bei der Vermittlung von Bürgerkunde für alle bleiben. Pöder sprach sich gegen die Änderungsvorschläge von Foppa und Amhof aus.

Der Artikel wurde mit 17 Ja, sieben Nein und sechs Enthaltungen genehmigt, wobei der Verweis auf bildungs- und politikferne Milieus, die Unterstützung bei Volksinitiativen und die Beratung der Promotoren gestrichen wurde.

Art. 27 betrifft die Information über den Gegenstand der Volksabstimmungen.
Myriam Atz Tammerle forderte die Streichung der “zielgruppenorientierten” Information, was nicht mehr neutral sei. Paul Köllensperger forderte einen Verweis auf das Verwaltungsverfahren zur Gleichbehandlung und die Finanzierung von Schriften und Veranstaltungen nur, wenn beide Seiten gleich zu Wort kämen. Andreas Pöder wandte sich ebenfalls gegen die Zielgruppenorientierung, gegen die Überwachungsfunktion des Büros für politische Bildung. Es werde auch nicht angegeben, wer die Informationsveranstaltungen organisiere. Die Änderungsanträge wurden abgelehnt.

Alessandro Urzì plädierte dafür, dass das Landtagspräsidium und nicht die Landesregierung oder das Büro über die Neutralität wachen solle.
Der Artikel wurde mit 19 Ja, drei Nein und sieben Enthaltungen genehmigt.

Art. 28 betrifft die schriftliche Information für alle Haushalte.
Paul Köllensperger forderte die Versendung der Schrift 15 (statt 10) Tage vor den Wahlen, die Ernennung des Redaktionsteams durch das Büro und die Streichung der Möglichkeit für die Parteien, in der Schrift ihre Positionen unterzubringen. Myriam Atz Tammerle beantragte, von “Positionen” statt von “Seiten” zu sprechen. Der Antrag Atz Tammerles wurde angenommen, jene Köllenspergers abgelehnt.

Riccardo Dello Sbarba meinte, dass die sprachliche Korrektur im italienischen Text nicht mehr passe. Der Text wurde von Amts wegen in “posizioni” geändert. Tamara Oberhofer sprach sich gegen die Bestellung des Redaktionsteams durch das Büro für politische Bildung aus.
Der Artikel wurde mit 18 Ja und einem Nein genehmigt.

Die Art. 29, 30, 31 wurden ohne Debatte genehmigt.

Art. 32 betrifft die Spesenrückvergütung.
Paul Köllensperger forderte, dass die Zuständigkeit des Landes für die Abstimmungsfrage bereits im Vorfeld festgestellt werden müsse. Tamara Oberhofer forderte eine Reduzierung der Rückvergütung auf 0,50 € (statt 1 €) pro Unterschrift. Die Änderungen wurden abgelehnt.

Art. 33 enthält die Finanzbestimmungen.
Magdalena Amhof legte einen Änderungsantrag vor, mit dem die Ausgaben auf 1,5 Mio. Euro veranschlagt werden. Diese seien für die Volksabstimmungen gedacht, nicht für das Büro. Letzteres dürfte 100.000 Euro kosten, was auch LH Kompatscher bestätigte.
Der Artikel wurde mehrheitlich genehmigt.

Die Abstimmung über den Gesetzentwurf findet am Nachmittag statt.

Von: luk

Bezirk: Bozen