Hamid Rasaee (mitte) führt List der "Treuhänder" an

Erzkonservative siegten bei Iran-Wahl – Beteiligung niedrig

Sonntag, 03. März 2024 | 16:39 Uhr

Bei der Wahl im Iran haben die Konservativen Teilergebnissen zufolge ihre Kontrolle über das Parlament ausbauen können. Die Zählung der Stimmen dauerte am Sonntag noch an. Klar ist bereits, dass die Wahl vom Freitag mit 41 Prozent die geringste Wahlbeteiligung seit Gründung der Islamischen Republik im Jahr 1979 verzeichnete. In der Hauptstadt Teheran lag sie Medienberichten zufolge sogar bei nur 25 Prozent oder sogar darunter. Dies galt auch als Zeichen der Unzufriedenheit.

Es handelte sich um die Abstimmung seit den Demonstrationen, die nach dem Tod der 22-jährigen Kurdin Mahsa Amini im Polizeigewahrsam im September 2022 ausgebrochen waren.

Die Wahl der 290 Abgeordneten und der 88 Mitglieder des Expertenrats mobilisierte somit nur rund 25 Millionen der 61 Millionen Wahlberechtigten in dem Land mit 85 Millionen Einwohnern. Die Zahlen zeigen einen anhaltenden Abwärtstrend: Bei den Wahlen 2020 lag die Wahlbeteiligung bei 42,57 Prozent, was damals ebenfalls ein Negativrekord war.

In Teheran führte am Sonntag wie erwartet ein Bündnis erzkonservativer Kandidaten. Auch in anderen Landesteilen zeichnete sich ein Sieg der Fundamentalisten ab. Ersten Ergebnissen zufolge laut Staatsmedien vom Sonntag konnte die Liste der “Treuhänder” des schiitischen Gelehrten Hamid Rasaee in Teheran 18 von 30 Sitzen gewinnen. Laut der staatlichen Nachrichtenagentur IRNA gewannen Anhänger der Erzkonservativen anderswo mindestens 156 der 290 Mandate.

Der amtierende Parlamentspräsident Mohammad Baqer Qalibaf, der für die konservative Liste der einflussreichen “Stabilitätsfront” angetreten war, sicherte sich in der Hauptstadt seinen Einzug ins Parlament. Reformpolitiker kamen in anderen Landesteilen demnach auf 35 Mandate. Innerhalb der Lager gibt es unterschiedliche politische Strömungen, erste Machtkämpfe deuten sich bereits an. In einigen Wahlkreisen und auch in Teheran wird es Stichwahlen geben, da mehrere Kandidaten nicht die erforderliche Mindestzahl an Stimmen gewinnen konnten.

Rund 61 Millionen Menschen waren am Freitag dazu aufgerufen, ein neues Parlament und den sogenannten Expertenrat zu wählen, der sich im Todesfall des obersten, religiösen Führers mit dessen Nachfolge befasst. In der Hauptstadt Teheran war zuletzt wenig Wahlstimmung zu erkennen. Viele Menschen sind nach gescheiterten Reformversuchen der vergangenen Jahrzehnte desillusioniert und blieben aus Protest den Abstimmungen fern. Somit wurde die Wahl auch als Stimmungstest interpretiert.

Auch in der schiitischen Pilgerstadt Qom, dem religiösen Machtzentrum des Iran, lag die Wahlbeteiligung bei nur etwa 50 Prozent. Unabhängig überprüfen lassen sich die Zahlen nicht.

Beobachter äußerten bereits Zweifel an der Wahlbeteiligung, die ungefähr auf dem Niveau der letzten Wahl von 2020 liegt. Die Massenproteste im Herbst 2022 hätten den enormen Unmut in der Gesellschaft widergespiegelt, sagte Iran-Expertin Azadeh Zamirirad von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). “Die tatsächliche Zahl der Menschen, die in Wahlen überhaupt noch einen Kanal für politischen Wandel sehen, dürfte daher deutlich niedriger liegen.”

Medien attestierten selbst moderat-konservativen Gruppen eine Niederlage. Die Onlinezeitung “Entekhab” betitelte einen Leitartikel folglich mit der Überschrift: “Beginn einer Ära der Radikalisierung” und beschrieb darin einen Machtausbau der Hardliner. Spitzenkandidat Rasaee zum Beispiel wurde bei den letzten Wahlen disqualifiziert, “vielleicht wegen seiner unnachgiebigen, harten Äußerungen”, schrieben die Autoren. “In Abwesenheit der schweigenden Mehrheit nehmen meist die Minderheiten an den Wahlen teil”, hieß es in dem Leitartikel weiter.

Die iranische Währung stürzte unterdessen auf ein Rekordtief. In den Wechselstuben erreichte der inoffizielle Euro-Kurs am Samstag erstmals mehr als 640.000 Rial. In den vergangenen zehn Jahren hat die Landeswährung angesichts politischer Isolation, internationaler Sanktionen und einer ungewissen Zukunft inzwischen mehr als 93 Prozent an Wert verloren.

Das politische System der Islamischen Republik vereint seit der Revolution von 1979 theokratische und republikanische Elemente. Die 290 Sitze des Parlaments werden alle vier Jahre vom Volk gewählt. Kandidatinnen und Kandidaten gehen nicht mit Parteien ins Rennen, sondern organisieren sich über Listen. Die aktuelle Legislaturperiode endet am 26. Mai.

Der Wächterrat, ein erzkonservatives Kontrollgremium, entscheidet im Voraus über die ideologische Eignung der Politiker. In der Folge können die Bürger meist nur aus einem Kreis systemtreuer Kandidaten auswählen. Der Wächterrat schloss dieses Mal rund 5.000 Bewerber aus. Dennoch kandidierte eine Rekordzahl von 15.000 Iranerinnen und Iranern.

Neben dem Parlament wurde auch der Expertenrat gewählt. Dem auf acht Jahre gewählten Gremium gehören 88 schiitische Geistliche an, die im Todesfall die Nachfolge des Religionsführers bestimmen. Ayatollah Ali Khamenei gilt als mächtigster Mann im Iran, im April wird das Staatsoberhaupt bereits 85 Jahre alt. Nur 144 Kandidaten waren für den Rat zugelassen. Begründet wurde die geringe Zahl mit strengen theologischen Auflagen. Für Kritik sorgte vor den Wahlen die Disqualifikation des moderaten Ex-Präsidenten Hassan Rouhani, der bereits seit mehr als 20 Jahren Mitglied des Expertenrats ist.

Das Parlament ist offizielle gesetzgebende Institution des Iran. Die eigentliche Macht konzentriert sich aber auf die Staatsführung mit Religionsführer Khamenei an der Spitze. Auch der Präsident wird alle vier Jahre vom Volk als Regierungschef gewählt und ernennt die Minister. Daneben hat auch der Sicherheitsrat weitreichende Befugnisse. Die Elitestreitmacht des Iran, die Revolutionswächter (IRGC), haben in den vergangenen Jahrzehnten ihren Einfluss auf allen Ebenen ausgebaut und sind zu einem Wirtschaftsimperium aufgestiegen.

“Mittlerweile haben es selbst loyale Konservative wie der ehemalige Präsident Rouhani oder der bisherige Parlamentssprecher Qalibaf schwer, machtpolitisch Fuß zu fassen”, erklärte die Politikwissenschafterin Zamirirad. “Das deutet darauf hin, dass die Staatsspitze in dieser kritischen Übergangsphase nichts mehr dem Zufall überlassen will und die Räume zugunsten der Hardliner noch enger steckt als bisher.”

Von: APA/dpa/AFP