Nehammer beim Doorstep beim EU-Gipfel

EU-Gipfel findet keine gemeinsame Sprache zu Migration

Freitag, 30. Juni 2023 | 22:28 Uhr

Die 27 EU-Staats- und Regierungschefs, darunter Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), haben bei ihrem zweitägigen Treffen in Brüssel keine gemeinsame Sprache zur Migration gefunden. Wie bereits am Donnerstag konnte auch am Freitag keine Einigung auf eine Gipfelerklärung dazu beschlossen werden. Ungarn und Polen verhinderten den gemeinsamen Text, nachdem sie kürzlich beim Innenminister-Beschluss zur Reform des europäischen Asylsystems überstimmt worden waren.

“Wir haben nicht die Absicht, diese Beschlüsse umzusetzen. Das sagen wir ganz offen”, sagte der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán am Rande des EU-Gipfels. Er sprach zudem vom “Migrationskrieg” im Sitzungssaal. Die Haltung Ungarns und Polens sei ein “Freiheitskampf” und kein “Aufstand”, so Orbán.

Neben Ungarn hat auch Polen angekündigt, weder Schutzsuchende aufnehmen, noch Kompensationszahlungen leisten zu wollen – wie es die Reform vorsieht. Regierungschef Mateusz Morawiecki drängte auf einer Klarstellung durch den EU-Gipfel, “dass das Verfahren (der Umverteilung der Flüchtlinge) freiwillig bleibt”.

Italiens Premierministerin Giorgia Meloni sagte, sie sei nicht enttäuscht von Polen und Ungarn. “Ich bin nie enttäuscht von denen, die ihre nationalen Interessen verteidigen”, sagte Meloni nach dem Gipfel. “Polen und Ungarn sind wahrscheinlich die beiden Länder, die sich am meisten um die ukrainischen Flüchtlinge kümmern, und sie tun dies mit EU-Mitteln, die nicht ausreichen”, erklärte Meloni. Sie berichtete, dass sie am kommenden Mittwoch in Warschau sein werde, um Gespräche mit der polnischen Regierung zu führen. Meloni traf sich am Freitag mit Morawiecki und Orbán am Rande des Gipfeltreffens des Europäischen Rates. Die Gespräche scheiterten an den Einwänden, die die beiden Politiker am Donnerstag erhoben hatten.

Nehammer hatte auf möglichst konkrete Gipfelbeschlüsse zum Außengrenzschutz und zu Beziehungen mit Drittstaaten gedrängt. “Wir nehmen zur Kenntnis, dass Polen und Ungarn ihren Protest kundgetan haben”, erklärte Nehammer nach dem Gipfel in einer Mitteilung. Es brauche “generell ein Verständnis für die “jeweiligen Bedürfnisse und Positionen aller Mitgliedsstaaten”. Auch für Österreich sei es wichtig, “dass auch unsere Interessen auf EU-Ebene berücksichtigt werden”, so Nehammer weiter. Gemeinsam mit verbündeten Staaten werde er “weiter darauf pochen, dass den Worten rasch auch Taten folgen”.

“Die Realität ist, dass 25 von 27 Mitgliedsstaaten der Gipfelerklärung zustimmen wollten”, betonte EU-Ratspräsident Charles Michel in der Abschluss-Pressekonferenz der EU-Institutionen. Es gebe nur zwei Länder, die erstens mit dem Inhalt und zweitens mit dem Prozess der Entscheidungsfindung nicht einverstanden seien. “Aber 25 andere wollen an der externen Dimension der Migration weiterarbeiten.” Dies sei so in der ursprünglichen Erklärung gestanden, und sei jetzt in den Schlussfolgerungen des Ratspräsidenten enthalten.

Der schwedische Ministerpräsident und scheidende Ratsvorsitzende Ulf Kristersson ergänzte, dass die “überwältigende Mehrheit für die Ratsentscheidung eine sehr gute Basis für die weiteren Arbeiten” an dem Dossier sei. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hielt fest, dass die Migration eine gemeinsame Herausforderung sei, die gemeinsamer Lösungen bedürfe. Nun seien das EU-Parlament und die spanische Ratspräsidentschaft am Zug, das Thema rasch zu einem Abschluss zu bringen.

Die Blockade Ungarns und Polens ist mehr ein symbolischer Akt, Auswirkungen auf den laufenden Prozess für eine europäische Asylreform hat sie keine. Dafür gilt der Beschluss der EU-Innenminister vor drei Wochen. Die EU-Staaten müssen sich auch noch mit dem EU-Parlament auf den endgültigen Gesetzestext einigen, das soll noch vor den EU-Wahlen im Juni 2024 geschehen.

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz nannte die Einigung der EU-Innenminister bei den zentralen Fragen zum Asyl- und Migrationspakt einen “großen Durchbruch”. Es sei notwendig, das ganze Paket abzuschließen. Er glaube auch an eine Verständigung mit dem Europaparlament. Von dem Patt beim Gipfel gab sich Scholz unbeeindruckt. “Dass das nicht alle Mitgliedstaaten so sehen wie die große Mehrheit der Innenminister ist klar, das gehört dazu”, so der deutsche Kanzler.

Die Konsequenz bisheriger Migrationsströme – Scholz erwähnte auch die Zuwanderung über die Balkanroute nach Österreich und Deutschland – sei, dass die Herausforderungen solidarisch getragen werden müssten, “dann geht es auch einfacher, uns besser”. Deutschland wolle sich aber nicht damit hervortun, andere Länder in Europa zu kritisieren.

Der belgische Regierungschef Alexander De Croo bedauerte laut der französischen Nachrichtenagentur AFP das Scheitern einer gemeinsamen Erklärung und nannte das Vorgehen “außergewöhnlich”. Er verwies aber auf einen ähnlichen Fall 2017, als sich die Mitgliedsländer ebenfalls nicht hätten einigen können.

Beschlossen wurden vom Gipfel dagegen vage Sicherheitszusagen für die Ukraine für die langfristige Zukunft. Nehammer hatte den Forderungen zahlreicher Staat- und Regierungschefs nach verbindlicheren “Sicherheitsgarantien für die Ukraine” beim EU-Gipfel in Brüssel eine klare Absage erteilt. “Für uns als neutrale Staaten ist es klar, dass es die so nicht geben kann”, sagte er am gestrigen Donnerstag.

Die deutsche FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann übte daraufhin auf Twitter heftige Kritik an Bundeskanzler Nehammer: “Ein erbärmliches Vorgehen des österreichischen Bundeskanzlers @karlnehammer, der doch unlängst mit Krokodilstränen in Kiew selbst die brutalen Kriegsverbrechen Russlands kritisierte und der Ukraine unbedingte Unterstützung versprach. Ein moralischer Bankrott”, so die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Deutschen Bundestag am Freitag.

Von: apa