Nehammer pocht auf Neutralität

EU-Gipfel gibt Ukraine nur vage Sicherheitszusagen

Donnerstag, 29. Juni 2023 | 20:45 Uhr

Die EU-Staats- und Regierungschefs wollen der Ukraine nur vage Sicherheitszusagen für die langfristige Zukunft geben. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) erteilte den Forderungen zahlreicher Staat- und Regierungschefs nach verbindlicheren “Sicherheitsgarantien für die Ukraine” beim EU-Gipfel in Brüssel eine klare Absage. “Für uns als neutrale Staaten ist es klar, dass es die so nicht geben kann”, sagte er vor Beginn des Treffens am Donnerstag.

Neben Österreich hätten auch Irland, Malta und Zypern Bedenken angemeldet. Die Modalitäten der Sicherheitszusagen müssen laut der Gipfelerklärung erst geklärt werden. Die Verpflichtungen müssen die Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten voll respektieren, heißt es in Hinblick auf die Neutralen. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sagte, diese Sicherheitszusagen zielten auf eine langfristige militärische Unterstützung der EU für die Ukraine.

Borrell sieht den russischen Präsidenten Wladimir Putin durch den Aufstand der Wagner-Gruppe geschwächt, “aber ein schwacher Putin ist eine noch größere Gefahr”.

Die EU-Staaten stellen sich auf eine langfristige Unterstützung der Ukraine ein. Man brauche eine Strategie, die Ukraine bei ihrem Kampf für Unabhängigkeit und Stabilität zu unterstützen, sagte der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz bei seinem Eintreffen. “Wir müssen uns darauf einstellen, dass es lange dauern kann.”

Dabei sei die Lage in Russland nach den jüngsten Ereignissen um die Wagner-Truppe klar vom Krieg in der Ukraine zu trennen. “Unser Ziel ist kein Regierungswechsel in Russland, sondern eine unabhängige Ukraine”, sagte Scholz. Bei den innerrussischen Ereignissen sei man nur in einer Beobachterrolle, die man aber sehr genau wahrnehme. Gleichzeitig halte er es aber auch für wichtig, dass man im Vorfeld des NATO-Gipfels mit Generalsekretär Jens Stoltenberg diskutieren könne.

Stoltenberg betonte, die Tür für den NATO-Beitritt steht offen. “Wir sind uns auch einig, dass Ukraine ein Mitglied des Militärbündnis wird”, sagte Stoltenberg vor dem Gipfel. Im Moment sei es aber wichtig und dringend, die Ukraine zu unterstützen, “um sicher zu stellen, dass die Ukraine ein unabhängiger, souveräner Staat in Europa bleibt. Wenn wir das nicht schaffen, können wir auch über keine NATO-Mitgliedschaft reden”, so Stoltenberg.

Der NATO-Generalsekretär sieht zudem nach der Revolte der Söldnertruppe Wagner “Risse” im russischen System. Es sei aber noch nicht klar, was genau mit den Wagner-Söldnern passiere, sagte Stoltenberg. Nehammer traf am Rande des Gipfels auch mit dem NATO-Chef zusammen, um über die NATO-geführte Schutztruppe KFOR im Kosovo zu reden.

Der lettische Ministerpräsident Krisjanis Karins sagte, die beste Sicherheitsgarantie für die Ukraine wäre es, das Land in die NATO aufzunehmen, sobald der Krieg vorbei ist. Dies sollte beim NATO-Gipfel in Vilnius beschlossen werden. Karins forderte auch weitere Schritte zur EU-Erweiterung um die Ukraine, um Russland zu zeigen, dass es “keine Grauzone” gebe.

Ähnlich äußerte sich auf die estnische Regierungschefin Kaja Kallas. “Die einzige und billigste Sicherheitsgarantie ist die NATO”, sagte Kalllas in Bezug auf die Ukraine. Allerdings sei das kein europäisches Thema, sondern eines der NATO.

Der litauische Präsident Gitanas Nauseda zeigte sich extrem besorgt über die jüngsten Ereignisse in Russland und betonte gleichzeitig, dass sich die Ukraine positive Signale bezüglich ihrer Aufnahmebestrebungen verdient hätten. “Ich denke, Dezember wäre ein guter Zeitpunkt für den Beginn offizieller Aufnahmegespräche”, sagte Nauseda vor dem EU-Gipfel.

Der ukrainische Präsident Wolodymir Selenskyj forderte die EU-Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfel auf, in den nächsten sechs Monaten Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine aufzunehmen. Laut seiner vom Präsidialamt veröffentlichten Rede vom Donnerstag sagte Selenskyj, dass das kommende Halbjahr wichtig für Europa werde. Spaniens Ministerpräsident Pedro Sanchez, dessen Land ab Juli die EU-Ratspräsidentschaft innehat, werde zum Auftakt die Ukraine besuchen.

Der ukrainische Präsident war per Video in Brüssel zugeschaltet. “Dies ist eine historische Zeit, um Verhandlungen über die Mitgliedschaft der Ukraine in der EU zu starten”, sagte Selenskyj. “Wir sind bereit, Beitrittsverhandlungen zu beginnen. Unser Fortschritt bei der Umsetzung der Empfehlungen der Europäischen Kommission muss festgeschrieben werden.” Die Ukraine sei “entschlossen, so bald wie möglich vollständig auf die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen vorbereitet zu sein, und das werden wir auch tun”.

Seit 2022 hat die Ukraine offiziellen EU-Beitrittskandidatenstatus. Über die Aufnahme müssen die 27 EU-Staaten einstimmig entscheiden. Als richtungsweisend gilt ein Fortschrittsbericht, den die EU-Kommission am 11. Oktober vorlegen will. Eine Entscheidung könnte dann beim EU-Gipfel im Dezember fallen.

Von: apa