An eine AK-47 wollte der terrorverdächtige St. Pöltner kommen

Geplanter Waffenkauf eines Terrorverdächtigen blieb straflos

Mittwoch, 21. Juni 2023 | 17:07 Uhr

Als der Leiter der Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN), Omar Haijawi-Pirchner, am vergangenen Sonntag im Zusammenhang mit einem mutmaßlich geplanten Anschlag auf die Wiener Regenbogenparade die Festnahme von drei Tatverdächtigen verkündete, verwies er darauf, einer der Burschen sei bereits im Fokus des Verfassungsschutzes gestanden. Mittlerweile ist klar, weshalb: der 17-Jährige dürfte schon 2022 versucht haben, über WhatsApp eine Kalaschnikow zu kaufen.

Im November 2022 erging über die Staatsanwaltschaft St. Pölten unter anderem zu dem versuchten Ankauf einer AK-47 eine Ermittlungsanordnung gegen den in St. Pölten wohnhaften Jugendlichen wegen des Verdachts auf terroristische Vereinigung, kriminelle Organisation und gefährliche Drohung. Das niederösterreichische Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) führte umfangreiche Erhebungen und Befragungen durch, bei seiner Beschuldigteneinvernahme stellte der 17-Jährige in Abrede, er habe ein Sturmgewehr kaufen wollen. Es habe sich dabei um einen “Scherz” gehandelt. Tatsächlich wurde das Verfahren gegen den mutmaßlichen Islamisten von der Staatsanwaltschaft St. Pölten am 17. Februar 2023 eingestellt.

Leopold Bien, Sprecher der Anklagebehörde in der niederösterreichischen Landeshauptstadt, bestätigte das am Mittwoch auf APA-Anfrage. Die dem Verfahren zugrunde liegende Verdachtslage habe sich nicht erhärtet. Aus Chats habe sich keine strafrechtliche Relevanz ergeben.

Exakt zehn Tage danach warnte allerdings ein ausländischer Partnerdienst die DSN erstmals vor einem in Österreich aufhältigen Unterstützer der radikalislamistischen Terrormiliz “Islamischer Staat” (IS) mit dem Spitznamen “Abdullah”, der in Kontakt mit Islamisten in Belgien und der Ukraine stünde. “Eine andere Verdachtslage”, sagte dazu Bien am Mittwoch. Die in Belgien aufhältige Kontaktperson war Mitte Februar von den belgischen Behörden festgenommen worden, weil dieser Mann einen Terror-Anschlag auf eine Kathedrale in Brüssel geplant haben soll.

In weiterer Folge soll “Abdullah” mit der ukrainischen Kontaktperson für das Frühjahr 2023 ein Terror-Attentat geplant haben, wobei “Abdullah” als Anschlagsziel die Regenbogen-Parade in Wien, die sich für die Rechte der LGBTI+-Community stark macht, ins Treffen führte – entsprechende Informationen lieferte jedenfalls der ausländische Partnerdienst am 7. März den heimischen Behörden, offenbar unter Auswertung von über Messenger-Dienste übertragene Daten. Der ausländische Nachrichtendienst verwies außerdem darauf, dass “Abdullah” den Ankauf einer AK-47 sowie einer Machete in Tschechien plane. Just eine nachgebaute AK-47 sowie eine Machete hatte bekanntlich der Wien-Attentäter vom 2. November 2020 verwendet, der in der Innenstadt vier Menschen tötete, ehe er von der Polizei erschossen worden.

Den nunmehr vorliegenden Erhebungsergebnissen zufolge soll es sich nach Ansicht der Ermittlungsbehörden bei “Abdullah”zweifelsfrei um den 17-jährigen St. Pöltner handeln, an dessen Adresse am vergangenen Wochenende auch eine Hausdurchsuchung durchgeführt wurde. Dabei wurden neben Datenträgern auch verbotene Waffen sichergestellt. Für den Burschen gilt die Unschuldsvermutung – ebenso wie für seinen auf freiem Fuß befindlichen 20 Jahre alten Bruder sowie einen 14-Jährigen HTL-Schüler aus Wien. Über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft St. Pölten gegen die Haftentlassung des 20-Jährigen muss das Oberlandesgericht (OLG) Wien entscheiden.

Während seitens des Justizministeriums bzw. von Justizministerin Alma Zadic (Grüne) eine Bitte der APA um Stellungnahme zum staatsanwaltschaftlichen Vorgehen gegen den 17-Jährigen vorerst unbeantwortet blieb, reagierte die NEOS-Sprecherin für Inneres, Stephanie Krisper. “Schon aus anderen Fällen ist klar, dass im Bereich des Terrorismus nicht nur auf Seiten des schwarzen Innen-, sondern auch auf Seiten des grünen Justizministeriums eklatante Fehler passieren”, meinte Krisper gegenüber der APA. Sie appellierte an Zadic, “in den heutigen Geheimdienstausschuss zu kommen” und dort “dem Parlament zu den Ermittlungen Rede und Antwort zu stehen”. Falls die Justizministerin – ein Mal mehr – nicht erscheine, “verhindert sie damit die parlamentarische Kontrolle bei laufenden oder politisch heiklen Verfahren. Aber genau bei diesen braucht es diese Kontrolle besonders”, sagte Krisper.

Diesem Ansinnen kann der Sicherheitssprecher der Grünen, Georg Bürstmayr, nichts abgewinnen: “Dieser Ausschuss ist – und das weiß Kollegin Krisper gut – zu etwas anderem da. Er soll die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst kontrollieren – also unseren Inlandsnachrichtendienst und unseren Verfassungsschutz”, so Bürstmayr in einer Aussendung.

Die SPÖ verlangt wiederum in einer parlamentarischen Anfrage an Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) “volle Transparenz und Aufklärung bezüglich möglicher Gefährdungen der Wiener Regenbogenparade 2023”. So will die SPÖ wissen, seit wann Überwachungsmaßnahmen gegen die drei Tatverdächtigen liefen, welche “Szenarien möglicher Angriffe” gegen die Parade bestanden und weshalb die Veranstalterinnen und Veranstalter vorab nicht über das Bedrohungsszenario informiert wurden.

Dass nun über die Akteneinsicht weitere Details zur Verdachtslage gegen die drei mutmaßlichen Islamisten bekannt werden und die Ermittlungen behindern könnten, sorgt in der DSN für Beunruhigung. So sei eine verdächtige Kontaktperson in der Ukraine nicht in Haft, berichtete das Ö1-“Mittagsjournal” am Mittwoch. “Es ist schwierig, wenn so wie in diesem Fall in einem Bericht alle Ergebnisse drinnen sind, die zweifellos für die weitere Bewertung durch die Justiz erforderlich sind, dann an die Öffentlichkeit gespielt werden”, sagte DNS-Direktor Haijawi-Pirchner gegenüber Ö1. Schließlich gehe es um die Zusammenarbeit mit ausländischen Partnerdiensten. Als Verfassungsschützer sehe er es als problematisch an, wie bei Gerichtsverfahren mit nachrichtendienstlichen Informationen umgegangen werde. In anderen Ländern sei es möglich, die Akteneinsicht zu beschränken, wenn nachrichtendienstliche Informationen enthalten sind. Wenn Informationen von ausländischen Partnerdiensten in Österreich öffentlich werden, könne das nicht nur die Zusammenarbeit behindern, sondern auch “die nationale Sicherheit gefährden”, warnte der DSN-Leiter.

Die drei Tatverdächtigen sollen einer radikalislamistischen, international zusammengesetzten Telegram-Gruppe mit rund zehn Teilnehmern angehört haben, die sich dem IS bzw. dem in Süd- und Zentralasien aktiven “Islamischen Staat in der Provinz Khorasan” (ISKP) verpflichtet fühlten. In der Chat-Gruppe sollen unter anderem Anschlagspläne erörtert worden sein, der 14-Jährige soll auf sein Smartphone eine Anleitung zum Bau einer Sprengvorrichtung heruntergeladen und Ausreisepläne verfolgt haben, um sich als Kämpfer dem IS anzuschließen.

Das bestreitet sein Verteidiger Andreas Schweitzer, der versichert, sein Mandant habe “sicher keinen Anschlag auf die Parade geplant” und die Schule abschließen wollen. Am Mittwoch kündigte Schweitzer im Gespräch mit der APA an, er werde beim Landesgericht St. Pölten einen Enthaftungsantrag für den 14-Jährigen einbringen. Schweitzer hatte zuvor gegenüber Journalistinnen und Journalisten eingeräumt, der 14-Jährige habe sich in einer Chat-Gruppe “über den IS informiert und Gräuelvideos geschaut”, aber keine terroristischen Absichten verfolgt. Der Anwalt des 17-Jährigen reagierte bisher nicht auf wiederholte Bitten der APA um eine Stellungnahme.

In seiner ersten Beschuldigtenvernehmung unmittelbar nach seiner Festnahme hatte sich der inhaftierte 14-Jährige als gläubiger Moslem bezeichnet, aber radikale Tendenzen und Sympathien für den IS bestritten. Er bete fünf Mal täglich, gehe “ab und zu zum Freitagsgebet” und besuche eine Moschee in Wien-Liesing. Sein Wissen über Religion habe er über Youtube und TikTok bezogen, gab der 14-Jährige zu Protokoll.

In dem radikalislamistischen Chat, der zu seiner Festnahme führte, hatte sich der Bursch “Abu Usama” genannt. Auf die Frage, weshalb er sich dort aufhielt, gab er an, er sei “sehr dumm” gewesen. “Möglicherweise” habe er auch IS-Propagandamaterial und eine Bombenbauanleitung heruntergeladen. Er sei “sehr neugierig” gewesen: “Ich wollte einfach wissen, was die so teilen.” Er habe auch Postings verfasst.

In der Chat-Gruppe dürften sich neben den drei jungen Österreichern, dem Mitte Februar in Belgien festgenommenen Islamisten und dem Ukrainer, der offenbar die Gruppe leitete, zwei in Frankreich lebende Männer sowie in der Türkei und in England aufhältige Extremisten versammelt und ein Länder übergreifendes Netzwerk gebildet haben. Der Ukrainer nannte sich “Abu Hurayrah”, den Angaben des 14-Jährigen zufolge soll dieser im Chat einen terroristisch motivierten Selbstmordanschlag angekündigt haben: “Abu Hurayrah hat gesagt, dass er sich hochjagen will. Ich denke, dass er sich in einem Auto in die Luft sprengen würde. Er hat auch einem Nutzer namens Ismail (…) gesagt, dass er sich auch in die Luft sprengen soll. Dann haben sie ausgemacht, dass sie in einem Privatchat weiterschreiben. Ich kann mich nicht erinnern, ob es auch um andere Arten von Anschlägen ging.”

Der 14-Jährige betonte in seiner Befragung, er habe sich demgegenüber “sicher nicht” in die Luft sprengen wollen, denke aber, dass “Abu Hurayrah” das von ihm gewollt habe. “Ich wollte definitiv keinen Anschlag begehen”, versicherte der Schüler den Beamten. Die Bombenbauanleitung auf seinem Handy habe er “durch einen Bot in einer Telegramgruppe heruntergeladen”, aber nicht weitergeschickt (“Das wäre blöd”). Auf die Frage, was er von der Regenbogen-Parade der LGBTIQ+-Community und den an dieser teilnehmenden Menschen halte, erwiderte der 14-Jährige: “Ich bin kein Fan davon, ich mag sie eigentlich nicht. Ich weiß aber nicht viel darüber und will da nicht ins Detail gehen.”

St. Pöltens Bürgermeister Matthias Stadler (SPÖ), der auch Vorsitzender des NÖ Städtebundes ist, hat indes am Mittwoch eine laufende Informationspflicht gegenüber den Städten zu aktuellen Gefährdungspotenzialen und der allgemeinen Sicherheitslage gefordert. “Derzeit passiert dies weder laufend noch im akuten Anlassfall. Wir können nicht mitwirken, wenn wir von den Informationen ausgeschlossen sind”, so Stadler. Er kritisierte zudem, dass die Kommunen keinerlei Weisungsbefugnis der Exekutive gegenüber hätten. “Wir haben als Statutarstadt die gleichen Pflichten wie Bezirkshauptmannschaften, daher sollten wir auch die gleichen Rechte haben”, betonte der Bürgermeister.

Die Aussagen Stadlers würden “die Notwendigkeit eines Sicherheits- und Integrationsgipfels in St. Pölten” zeigen, betonte der Klubobmann der ÖVP im Gemeinderat der Landeshauptstadt, LAbg. Florian Krumböck. Er kündigte an, einen entsprechenden Antrag einbringen zu wollen.

Von: apa