Hamas muss laut Waffenruhe-Vereinbarung 28 Leichen übergeben

Streit über tote Geiseln – Israel lässt Hilfen für Gaza zu

Mittwoch, 15. Oktober 2025 | 19:19 Uhr

Von: APA/Reuters/AFP

Trotz eines Streits über die Rückgabe der Leichen von Geiseln, der das brüchige Abkommen einer Waffenruhe mit der Hamas zu gefährden droht, hat Israel am Mittwoch Hilfslieferungen in den Gazastreifen zugelassen. Zudem wurde eine Öffnung des wichtigen Grenzübergangs Rafah zwischen Ägypten und dem palästinensischen Küstengebiet in die Wege geleitet. Er soll am Donnerstag für den Personenverkehr öffnen, wie zwei Insider der Nachrichtenagentur Reuters sagten.

Eine Mission der Europäischen Union solle dort stationiert werden. Einem israelischen Sicherheitsbeamten zufolge sollten 600 Lastwagen mit Hilfsgütern in das Palästinensergebiet fahren.

Die Palästinensische Autonomiebehörde PA ist nach eigenen Angaben mittlerweile in der Lage, die Zuständigkeit für den für Hilfslieferungen wichtigen Grenzübergang Rafah zu übernehmen. “Wir sind jetzt wieder bereit, uns zu engagieren, und haben alle Parteien darüber informiert, dass wir bereit sind, den Grenzübergang Rafah zu betreiben”, sagte Mohammad Shtayyeh, Sondergesandter von Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas. Die PA hat ihren Sitz in Ramallah im Westjordanland. Im Gazastreifen hatte sie indes bisher nicht das Sagen.

Die israelische Regierung hatte damit gedroht, den Grenzübergang Rafah geschlossen zu halten und die Hilfslieferungen zu reduzieren. Sie warf der Hamas vor, die Leichen von Geiseln zu langsam zurückzugeben. Am Montag hatte die Hamas vier Särge übergeben, in der Nacht auf Mittwoch folgten vier weitere. Nach israelischen Angaben handelte es sich bei einem der zuletzt übergebenen Leichname jedoch nicht um eine Geisel. Gemäß des Waffenruhe-Plans soll die Hamas die Leichen aller 28 toten israelische Geiseln übergeben.

Auseinandersetzung um Leichen könnte Waffenruhe gefährden

Die Auseinandersetzung um die Leichen birgt weiterhin das Potenzial, die Waffenruhe zu gefährden. Auch andere zentrale Fragen sind noch ungelöst. Spätere Phasen des von den USA vermittelten Abkommens sehen vor, dass die Hamas die Macht im Gazastreifen abgibt und ihre Kämpfer entwaffnet, was die Organisation bisher jedoch ablehnt. Stattdessen demonstrierte sie ihre Macht im Gazastreifen durch öffentliche Hinrichtungen und Auseinandersetzungen mit lokalen Clans.

Insgesamt müssten sich noch 21 Geiselleichen im Gazastreifen befinden, einige könnten jedoch aufgrund der Zerstörungen während des Konflikts nur schwer zu bergen sein. Das Abkommen verpflichtet Israel zudem zur Rückgabe der Leichen von 360 im Krieg getöteten palästinensischen Kämpfern. Eine erste Gruppe von 45 Leichen war am Dienstag übergeben worden.

Der Krieg hat im Gazastreifen eine humanitäre Katastrophe ausgelöst. Nahezu alle Einwohner wurden aus ihren Häusern vertrieben. Reuters-Videoaufnahmen zeigten, wie am Mittwochmorgen erste Lastwagen, darunter Tankwagen mit Treibstoff, von Ägypten aus zum Grenzübergang Rafah fuhren. Die Hilfslieferungen sollen Lebensmittel, medizinische Güter, Treibstoff, Kochgas und Ausrüstung zur Reparatur wichtiger Infrastruktur umfassen. Die Lieferungen erfolgen auch über andere Übergänge wie Kerem Shalom.

Rechtsextremer israelischer Minister kritisiert Hilfslieferungen

Der rechtsextreme israelische Minister für Nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, ein Gegner der Waffenruhe, bezeichnete die Hilfslieferungen auf der Online-Plattform X als “Schande”. “Nazi-Terrorismus versteht nur Gewalt, und der einzige Weg, Probleme mit ihm zu lösen, ist, ihn von der Erde zu tilgen”, fügte er hinzu. In der israelischen Regierung hält sich die Sorge, dass die Hilfslieferungen von der Hamas abgefangen werden könnten.

Trump zeigt Verständnis für mutmaßliche Hamas-Hinrichtungen

US-Präsident Donald Trump hat Berichte über Tötungen von Menschen im Gazastreifen durch die islamistische Terrororganisation Hamas mit einem gewissen Verständnis kommentiert. Die Hamas habe gegen “sehr, sehr schlimme Banden” durchgegriffen, sagte Trump am Dienstag (Ortszeit). “Das hat mich nicht groß gestört, um ehrlich zu sein. Das ist ok.” Trump behauptete auch, dass Länder wie Venezuela Banden in die USA schicken würden.

Das für den Nahen Osten zuständige US-Zentralkommando Centcom forderte indes ein Ende derartiger Erschießungen. “Wir fordern die Hamas nachdrücklich auf, die Gewalt und die Schüsse auf unschuldige palästinensische Zivilisten im Gazastreifen umgehen einzustellen”, sagte Centcom-Kommandant Brad Cooper laut einer Erklärung am Mittwoch. Dies müsse sowohl für die von der Hamas kontrollierten Teile des Gazastreifens als auch für die von israelischen Soldaten gesicherten Gebiete hinter der sogenannten gelben Linie gelten, betonte Cooper. Er rief die radikalislamische Palästinenserorganisation auf, die “historische Chance für einen Frieden” zu ergreifen, indem sie sich komplett zurückzieht, den 20-Punkte-Plan von US-Präsident rump einhält und die von ihr geforderte Entwaffnung unverzüglich umsetzt.

Mehrere andere palästinensische Fraktionen unterstützen das Vorgehen der Hamas gegen lokale Clans, die während des Konflikts versucht hatten, die Kontrolle über Teile des Gazastreifens zu übernehmen. Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas verurteilte jedoch die öffentlichen Hinrichtungen, nachdem ein von Reuters authentifiziertes Video zeigte, wie maskierte Bewaffnete sieben gefesselte, kniende Männer auf einer Straße im Gazastreifen erschossen. Das Büro von Abbas nannte die Tötungen ein Verbrechen und einen “eklatanten Verstoß gegen die Menschenrechte”.

Die israelischen Streitkräfte haben sich auf eine im Waffenruheabkommen festgelegte “gelbe Linie” außerhalb der großen Städte des Gazastreifens zurückgezogen. Verteidigungsminister Israel Katz erklärte, man werde jeden Verstoß gegen diese Linie sofort ahnden. Am Dienstag hatten israelische Soldaten deswegen das Feuer eröffnet. Nach palästinensischen Angaben wurden dabei mehrere Menschen getötet.

Israel übergibt 45 tote Palästinenser

Nach der Übergabe weiterer toter Hamas-Geiseln hat Israel gemäß dem Friedensplan von US-Präsident Donald Trump im Gegenzug 45 tote Palästinenser an die Hamas-Behörden im Gazastreifen übergeben. Dies teilte das von der Hamas kontrollierte Gesundheitsministerium am Mittwoch mit. Damit seien bislang die sterblichen Überreste von insgesamt 90 verstorbenen Palästinensern übergeben worden, erklärte das Ministerium. In der Stadt Khan Younis im Süden des Gazastreifens sahen AFP-Journalisten Mitarbeiter einer Leichenhalle, wie sie neben Fahrzeugen des Roten Kreuzes geparkte Kühlfahrzeuge entluden. In Israel wurde unterdessen unter großer öffentlicher Anteilnahme der vom Nova-Festival als Geisel in den Gazastreifen verschleppte und dort gestorbene Guy Illuz in Israel beigesetzt.

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