Kroatiens Außenminister und die "Freunde des Westbalkan"

Kroatischer Außenminister: EU-Beitritte vor 2030 möglich

Samstag, 24. Juni 2023 | 06:00 Uhr

Kroatiens Außenminister Gordan Grlić Radman hält die nächsten EU-Beitritte vor 2030 für möglich. Im Interview mit der APA am Rande des Europaforums Wachau betonte Grlić Radman aber: “Es liegt an den (Beitritts-)Ländern selbst, ob sie bereit sind oder nicht. Es kann sogar vor 2030 sein.” Es könne auch “keine Abkürzungen für niemanden” geben.

Die EU müsse sich fragen, warum 20 Jahre nach Gewährung der EU-Beitrittsperspektive für die Westbalkanstaaten so geringe Fortschritte verzeichnet wurden. “Das Schlüsselwort lautet Vertrauen”, sagte der kroatische Chefdiplomat. “Die Europäische Union muss das Vertrauen in die Erweiterungspolitik wiederbeleben, aber natürlich müssen die Westbalkanstaaten dasselbe tun.” Grlić Radman erinnerte daran, dass beim Westbalkangipfel im Dezember 2022 in Tirana erstmals nicht “der Euphemismus ‘Europäische Perspektive’, sondern die Perspektive einer Mitgliedschaft in der EU” versprochen wurde.

Auf die Frage, ob aus geopolitischen Gründen bereits heuer EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine starten sollten, habe er heute noch keine Antwort, so der kroatische Außenminister. “Die gute Nachricht ist, dass die Ukraine Kandidatenstatus hat. Das war vor zwei Jahren noch unvorstellbar.” Kroatien werde im Oktober eine hochrangige Konferenz zur Entminung der Ukraine abhalten, kündigte der Chefdiplomat an. Sein Land habe Kiew bisher mit einem Hilfspaket im Umfang 230 Millionen Euro sowie politisch, diplomatisch und militärisch unterstützt.

Für Kroatien sei vor allem eine bessere Integration Bosnien-Herzegowinas in die EU wichtig, machte Grlić Radman klar. “Es ist wegen der geopolitischen Lage in unserem Interesse. Wir brauchen eine stabile Nachbarschaft. Bosnien-Herzegowina ist das Land, zu dem wir die längste Grenze haben. Natürlich brauchen wir auch Partner im Kampf gegen die illegale Migration.” Bosnien müsse aber auch bezüglich Infrastruktur – Verkehr und Energie – besser angebunden werden. Grlić Radman verwies auf den kroatischen LNG-Terminal auf der Adria-Insel Krk, der seit dem Krieg in der Ukraine und Bemühungen der EU um Energieunabhängigkeit von Russland eine wichtige Rolle spiele.

Der Schengen-Beitritt Kroatiens mit Jahresbeginn habe in puncto Schutz der EU-Außengrenze für sein Land nichts geändert, sagte der Außenminister. An der Grenze zu Bosnien-Herzegowina seien 6.500 kroatische Polizisten im Einsatz. Zu Vorwürfen illegaler Pushbacks gegen Migranten sagte Grlić Radman: “Es gab wahrscheinlich ein paar Fälle. Kroatien habe aber die zuständigen EU-Gremien informiert und habe letztlich “seine Aufgabe beim Schutz der nationalen und europäischen Grenze korrekt gemacht”. Andernfalls wäre sein Land heute nicht in der Schengenzone. Es sei nicht möglich, illegal und ohne Dokumente einzureisen, betonte er.

Kroatien bedauere sehr, dass Rumänien und Bulgarien – nach einem Veto Österreichs und der Niederlande Ende vergangenen Jahres – nicht der Schengenzone beitreten konnten. “Schon aus Solidarität in der Europäischen Union hoffen wir, dass wir alle drei Länder Schengen beitreten.” Die Entscheidung, den Beitritt zu blockieren, sei nicht jene Kroatiens gewesen.

Zu dem vor fast genau zehn Jahren erfolgten EU-Beitritt seines Landes zog Grlić Radman eine positive Bilanz. “Zunächst hat es bewusst gemacht, dass es Kroatien verdient, im Club der Länder zu sein, die dieselben Werte teilen: Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte, Demokratie.” Kroatien sei eines von 15 Ländern, die sowohl NATO- als auch EU-Mitglied und im Schengenraum seien und den Euro eingeführt hätten.

“Als wir vor zehn Jahren nach Österreich und Deutschland kamen, waren wir Ausländer. Heute sind wir nicht mehr Ausländer, wir sind zuhause. Die Europäische Union ist unser Zuhause, das ist die größte Errungenschaft.” Außerdem habe Kroatien 25 Milliarden Euro an EU-Geldern für Kohäsionspolitik, Landwirtschaft sowie Innovation, Klimaschutz und Digitalisierung bekommen.

Die Personenfreizügigkeit habe Vor- und Nachteile, verwies Grlić Radman auf die große Abwanderung der kroatischen Bevölkerung. Ost- und Westeuropa sollten sich wirtschaftlich stärker angleichen. “Natürlich liegt es an uns, mehr in unsere Wirtschaft zu investieren. Der Tourismus macht 20 Prozent unserer Wirtschaftsleistung aus. Wir würden es gerne auf zehn Prozent reduzieren, und dafür andere Wirtschaftszweige stärken.”

(Das Gespräch führte Thomas Schmidt/APA)

Von: apa