Weg zu Verteilzentren mit Gefahren verbunden

Laut UNO mehr als tausend Tote nahe Gaza-Hilfszentren

Dienstag, 22. Juli 2025 | 18:56 Uhr

Von: APA/AFP/dpa/Reuters

Die UNO hat Israels Armee vorgeworfen, seit Ende Mai im Gazastreifen mehr als tausend nach Nahrungshilfe suchende Menschen getötet zu haben. Allein 766 Menschen seien in der Nähe von Verteilzentren der von den USA unterstützten Stiftung Gaza Humanitarian Foundation (GHF) getötet worden, sagte Thameen al-Kheetan, ein Sprecher des UNO-Hochkommissariats für Menschenrechte. Weitere 288 Menschen seien in der Nähe von UNO-Hilfskonvois oder weiterer Organisationen getötet worden.

Die Opfer seien “vom israelischen Militär getötet” worden, erklärte al-Kheetan am Dienstag. Laut Mohammed Abu Salmija, Leiter des ehemals größten Krankenhauses im Gazastreifen, starben in mehreren Kliniken in dem Palästinensergebiet zudem allein in den vergangenen drei Tagen 21 Kinder an Unterernährung und Hunger. Diese Todesfälle seien innerhalb von 72 Stunden in drei Kliniken festgestellt worden, sagte Abu Salmija. Er rechne “jederzeit” mit weiteren Hungertoten.

Die Angaben des Klinikchefs ließen sich nicht unabhängig überprüfen. Alle Behörden im Gazastreifen werden von der radikalislamischen Hamas kontrolliert, die den Krieg im Gazastreifen mit ihrem Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 ausgelöst hatte.

Israel bestätigt Festnahmen

Israels Armee äußerte sich unterdessen zu Vorwürfen der Weltgesundheitsorganisation WHO, sie habe in der Stadt Deir al-Balah im Zentrum des Gazastreifens ihre Einrichtungen gestürmt und Mitarbeiter festgenommen. In der Gegend seien am Montag Schüsse auf israelische Soldaten gefeuert worden, teilte das Militär mit. Die Soldaten hätten darauf mit Beschuss in die Richtung reagiert, aus der die Schüsse gekommen seien. Die Armee sagte aber nicht explizit, ob die Schüsse aus Einrichtungen der WHO abgegeben wurden.

Die WHO hatte zuvor mitgeteilt, dass am Montag eine Mitarbeiterunterkunft angegriffen worden sei. Bereits am Sonntag wurde den Angaben nach zudem ein zentrales Warenlager der Organisation bei einem Angriff beschädigt.

Die israelische Nachrichtenseite “ynet” meldete unter Berufung auf einen Militärsprecher, der Armee seien Berichte bekannt, dass eine Wohnanlage von WHO-Mitarbeitern getroffen worden sei. Nach Erkenntnissen des israelischen Militärs habe es keine Opfer unter den Beschäftigten gegeben, hieß es in dem Bericht weiter.

Israels Armee teilte mit, Soldaten hätten in Deir al-Balah mehrere Personen festgenommen, “die der Beteiligung am Terrorismus verdächtigt wurden”. Ob es sich dabei um Beschäftigte der WHO oder deren Angehörige handelte, wie die Organisation gesagt hatte, ließ die Armee offen. Die meisten der Betroffenen wurden Armeeangaben zufolge nach Vernehmungen vor Ort wieder freigelassen. Zu einer laut WHO weiterhin festgenommenen Person äußerte sich Israels Militär nicht explizit.

WHO-Chef kritisiert Israel

WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus hatte am Montag in einer Mitteilung auch gesagt, dass männliche WHO-Mitarbeiter und männliche Angehörige in Handschellen gelegt, ausgezogen, vor Ort verhört und mit vorgehaltener Waffe durchsucht worden seien. Das israelische Militär sagte dazu nun: “Bei Vernehmungen vor Ort ist es für Personen, die terroristischer Aktivitäten verdächtigt werden, zeitweise erforderlich, Teile ihrer Kleidung abzulegen, um sicherzustellen, dass sie keine Sprengstoffgürtel oder andere Waffen verbergen.” Verdächtige würden im Einklang mit dem Völkerrecht behandelt, erklärte Israels Armee.

Ghebreyesus hatte weiterhin kritisiert, dass Frauen und Kinder der WHO-Mitarbeiter dazu gezwungen worden seien, zu Fuß inmitten von Kampfhandlungen zu fliehen. Die israelische Armee betonte, sie habe vor ihrem Einsatz in dem Gebiet die Zivilbevölkerung dazu aufgerufen, die Gegend zu verlassen. Sie sei auch “in Kontakt mit den dort tätigen internationalen Organisationen” gewesen, auch um “die sichere Evakuierung” des Personals zu ermöglichen.

Das israelische Militär war jüngst in den Südwesten von Deir al-Balah eingerückt, um dort eigenen Angaben nach die Hamas und andere Terrororganisationen zu bekämpfen. Die WHO sagte unterdessen, ihre Arbeit im Gazastreifen sei inzwischen stark eingeschränkt.

Bilder “unerträglich”

Wie Ärzte ohne Grenzen der APA mitteilte, müssen Teams der Hilfsorganisation eine Klinik im Gazastreifen wegen der israelischen Evakuierungsanordnungen für Deir al-Balah verlassen. Konkret geht es um 36 palästinensische Kollegen und Kolleginnen von der stark frequentierten Gesundheitseinrichtung in Al-Mawasi.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nannte die Bilder von getöteten Zivilisten “unerträglich”. Die EU erneuere ihre Forderung nach einem freien, sicheren und schnellen Fluss humanitärer Hilfe und der uneingeschränkten Achtung des Völkerrechts, schrieb von der Leyen auf X. Israel müsse seine Zusagen einhalten.

Für EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas ist die Tötung von Zivilisten, die in Gaza Hilfe suchen, nicht zu rechtfertigen. Sie habe erneut mit Israels Außenminister Gideon Saar gesprochen, um “unsere Vereinbarung über die Hilfslieferungen in Erinnerung zu rufen und klarzustellen, dass die IDF die Tötung von Menschen an den Verteilungsstellen einstellen muss”, wie sie auf X schrieb. Alle Optionen blieben offen, sollte Israel seine Zusagen nicht einhalten, so Kallas.

Guterres “entsetzt”

UNO-Generalsekretär António Guterres zeigte sich angesichts der Berichte betrübt und verlangte Schutz vor Gewalt. “Ich bin entsetzt über die Angriffe auf UN-Einrichtungen, darunter Einrichtungen des UN-Büros für Projektdienste und der Weltgesundheitsorganisation (WHO), einschließlich des Hauptlagers der WHO”, sagte Guterres vor dem UNO-Sicherheitsrat in New York. Das mächtigste UNO-Gremium tagt regelmäßig zum Krieg im Gazastreifen. Guterres sagte weiter, alle Kriegsparteien seien über die Standorte dieser UNO-Gebäude informiert gewesen.

UNO-Menschenrechtskommissar Volker Türk warnte angesichts israelischer Evakuierungsanordnungen und Angriffe auf Deir el-Balah vor weiteren zivilen Todesopfern. Angesichts der hohen Konzentration von Zivilisten in dem Gebiet sei das Risiko unrechtmäßiger Tötungen und anderer schwerer Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht extrem hoch, erklärte Türk in Genf.

Wie Vizekanzler Andreas Babler auf X postete, ist es “Österreichs internationale Verantwortung, klare Worte zur katastrophalen humanitären Situation in Gaza zu finden”. Die palästinensische Zivilbevölkerung dürfe nicht länger den Preis für die Taten der Hamas zahlen und müsse endlich ausreichend humanitäre Hilfe erhalten, schrieb Babler weiter.

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