Florian Zerzer liefert Landtag Fakten

Notaufnahmen noch immer von nicht dringenden Fällen belastet

Dienstag, 04. Juni 2019 | 18:03 Uhr

Bozen – Im Südtiroler Landtag wurde heute der Generaldirektor des Sanitätsbetriebes angehört. Florian Zerzer lieferte Eckdaten zum Betrieb, wies auf Probleme und Fortschritte hin und darauf dass die chronischen Krankheiten die größte Herausforderung sind. Die Abgeordneten konnten Fragen und Stellungnahmen abgeben.

Zu Beginn der Sitzung erinnerte Vizepräsidentin Rita Mattei an den kürzlich verstorbenen Giancarlo Bolognini, Mitglied des Landtags von 1983 bis 1993, Landesrat, Landeshauptmannstellvertreter und Vizepräsident des Landtags, langjähriger Vertreter des Landtags in der Sechser- und der Zwölferkommission, deren Präsident er von 1995 bis 2001 war.

Anschließend hörte der Landtag, wie vom Landesgesetz zur Organisationsstruktur des Gesundheitsdienstes vorgesehen, den Bericht des Generaldirektors des Sanitätsbetriebes Florian Zerzer. Mit ihm gekommen waren Pflegedirektorin Marianne Siller, Sanitätsdirektor Thomas Lanthaler und Verwaltungsdirektor Umberto Tait, die sich den Abgeordneten kurz vorstellten.

Generaldirektor Zerzer erinnerte daran, dass er seit 15. Oktober dieses Amt innehat, und ging kurz auf seine vorherige Laufbahn ein. Seit 2007 gebe es einen einheitlichen Sanitätsbetrieb, aber aufgebaut nach dem Subsidiaritätsbetrieb. Ein Budget von 1.025 Mio. Euro, rund 10.000 Mitarbeiter, 681 Fälle pro Tag in der Notaufnahme, 24.000 Fälle in den Ambulatorien, 17.041 ausgegebene Medikamente. Bei Vergleichen mit Österreich und Deutschland werde unser System, das allen Bürgern das verfassungsgemäße Recht auf Gesundheitsversorgung garantiere, beneidet, auch wenn nicht alle überall geboten werden könne. Südtirol werde oft kritisiert, dass man mehr für die Sanität ausgebe als andere Regionen Italiens, aber das sei als Mehrwert für die Bürger zu sehen. Bei der Zufriedenheitsbefragung schneide der Betrieb gut ab, mehr bei denen mit direkter Erfahrung, weniger bei jenen, die den Betrieb nur vom Hörensagen kennen. Negativ bewertet würden die Wartezeiten, Lob gebe es für das Personal. In der italienweiten “Bersaglio-Studie” schneide der Betrieb im Vergleich mit anderen Krankenhäusern ebenfalls gut ab.

Das Zusammenwachsen zu einem Betrieb sei nicht leicht. Mit dem neuen Organigramm würden die Dienste landesweit aufgestellt, wobei die Bezirke in der Organisation durchaus ihren Platz hätten. Heuer werde man auch eine klinische Betriebsordnung definiert, die festlegt, wo was angeboten wird. Die aufschiebbaren Leistungen wurden von 60 auf 30 Tage begrenzt, was eine große Herausforderung sei. Man habe sich diesbezüglich anderswo umgesehen. Schweden und die Schweiz hätten Online-Konsultationen eingeführt. Südtirol bilde selbst keine Ärzte aus und müsse verstärkt um sie werben. Nun habe man erreicht, dass man Ärzte bereits in Ausbildung einstellen könne, was ein Anreiz sei. Bei den Wartezeiten gebe es auch positive Beispiele, etwa bei onkologischen Eingriffen. Die Wartezeiten bei der Vormerkung hätten zu Jahresbeginn wegen Personalengpässen Spitzenwerte erreicht, seien nun aber deutlich abgebaut worden. Ziel wäre, dass bereits der Hausarzt bei Verschreibung der Facharztvisite den Termin nennen kann. Die Notaufnahme werde wie überall am stärksten beansprucht. Man habe die Situation lange analysiert und ein neues Triagesystem eingeführt. Die Situation habe sich etwas gebessert, aber es gebe immer noch zu viele Fälle, die nicht dorthin gehörten.

Ein großes Thema sei jenes der chronisch Kranken, das noch besser anzugehen sei. Diese beanspruchten rund 70 Prozent der Ressourcen. Je mehr Betreuung außerhalb des Krankenhauses stattfinde, desto besser gehe es auch den Patienten. Bei Diabetespatienten sei hier ein wesentlicher Fortschritt gelungen. Seiner Meinung nach konzentriere sich die öffentliche Debatte zu sehr auf die Akutfälle, während die chronischen Krankheiten den Hauptteil des Aufwands ausmachten.

Er beneide Zerzer nicht um seine Aufgabe, meinte Sven Knoll (Süd-Tiroler Freiheit), aber laut Bürgerbeschwerden stehe das Sanitätswesen kurz vor der Palliativstation. Man habe in den letzten Jahren eine Verschlechterung bemerkt. Auch die Unmöglichkeit, in der eigenen Sprache betreut zu werden, sei eine qualitative Verminderung. Die grenzüberschreitende Versorgung funktioniere nicht, viele Südtiroler Jungärzte würden nicht nach Südtirol zurückkehren, weil die Situation hier nicht attraktiv sei.

Maria Elisabeth Rieder (Team Köllensperger) zeigte sich enttäuscht über die Entwicklung. Zerzer sei einer der Väter der Reform, mit der vier funktionierende Sanitätsbetriebe zusammengepfercht wurden. Vom Ziel eines einzigen funktionierenden Betriebes sei man weit entfernt, die Entscheidung würden zu weit weg vom Einsatzort getroffen. In diesem Chaos blieben Patienten und Personal auf der Strecke. Der Personalmangel sei nicht genug als Ausrede. Die Mitarbeiter seien verunsichert, ständig wechsle die Führungsetage. Die Informatisierung sei noch ein großes Geheimnis. Es brauche Schritte in eine andere Richtung, eine Strategie und eine klare Führung. Die Bezirke bräuchten wieder mehr Eigenständigkeit und Entscheidungsbefugnis.

Franz Ploner (Team Köllensperger) wollte festhalten, dass der Betrieb trotz der vielen verständlichen Kritik dank der Mitarbeiter gut arbeite. Die Zusammenlegung habe nicht den erwarteten Erfolg erbracht. Ploner fragte, wie man dem Mangel an Ärzten und Pflegern entgegenwirken wolle. Auch um Jungärzte anzuwerben, sollten neue Arbeitsmodelle angedacht werden. Ebenso sei Bürokratie abzubauen. Ploner fragte, ob es ein Konzept zum Abbau der Wartezeiten gebe und wann man mit einer vollkommenen Vernetzung aller Stakeholder rechnen könne. Er fragte, ob sich ein so reiches Land eine solche Sanität leisten könne, die immer mehr Patienten zur Privatmedizin dränge.

Hanspeter Staffler (Grüne) sah die Leistungen des Betriebes besser als seinen Ruf, vieles davon gehe aber noch auf das alte Organisationsmodell zurück, wo jedes Krankenhaus seine Identität hatte. Dieser Betrieb sei wahrscheinlich zu groß, um effizient sein zu können. Es gebe zu viele Probleme, die nicht zentral gelöst werden könnten. Man könnte die peripheren Krankenhäuser stärken, wo z.B. die Primariate nur zur Hälfte besetzt seien. Staffler fragte, ob sich bei den vom Vormerkzentrum abgedeckten Diensten die Wartezeiten verringert hätten und wie weit man mit der Digitalisierung sei.

Diego Nicolini (5 Sterne Bewegung) lobte den Betrieb für die Versorgung der Bevölkerung mit grundlegenden Diensten. Es gebe aber auch Schwachstellen, die ihm auch von Mitarbeitern zugetragen würden, etwa das Fehlen des Leistungsprinzips, was viele zur Abwanderung bewege. Es sei natürlich schwierig, wenn manche den Schwerpunkt auf die Muttersprach statt auf die Versorgung legten. Zerzer sei politisch ernannt worden, er sei sechs Monate im Amt, und man könne bislang nur Rückschritte sehen. Das Trentino und die Lombardei hätten bei kleinerem Budget bessere Leistungen vorzuweisen. Beim Vergleich der Grundleistungen seien die Südtiroler Daten nicht in Rom eingelangt: Absicht oder Eingeständnis? Nicolini fragte nach eventuellen Verzögerungen beim Neubau in Bozen und nach dem Managerkurs, den Zerzer absolviert habe.

Sandro Repetto (Demokratische Partei) sah bei allgemein guten Leistungen auch Schwachstellen. Es fehlten auch die politischen Vorgaben. Er fragte, ob man von einer Abwanderungswelle reden könne, ob es auch bei der Pflege, speziell in den Heimen, einen Engpass gebe und wann die neue Notaufnahme in Betrieb gehe.

Alessandro Urzì (L’Alto Adige nel cuore) hätte eine Anhörung des Gesundheitslandesrates lieber gesehen. Zerzer setze politische Vorgaben um. Seine Darstellung und die Berichte der Bürger klafften auseinander. Das Personal gebe sein Bestes, aber es gebe Probleme, von der Notaufnahme bis zu den Wartezeiten. Jedenfalls sei es wichtig, gute Ärzte zu haben, unabhängig von ihrer Sprache. Dem Südtiroler Gesundheitswesen fehlten anerkannte Kompetenzzentren, die Claudianaabgänger würden abwandern, weil ihnen vielleicht nicht die richtige Rolle zuerkannt werde. Man habe den Betrieb vereinheitlicht, aber es seien vier Bezirke geblieben, die unnütz und teuer seien.

Brigitte Foppa (Grüne) fragte sich, ob die negative Wahrnehmung nicht auch auf die zunehmende Vertikalisierung des Betriebs zurückzuführen sei. Den Patienten stehe in einem Moment extremer Verletzlichkeit ein sehr großer Apparat gegenüber. Man rede viel über Wartezeiten, aber zu wenig von den Behandlungszeiten, die zu kurz seien.

Peter Faistnauer (Team Köllensperger) lenkte das Augenmerk vor allem auf die peripheren Krankenhäuser und wies darauf hin, dass die neue Trentiner Landesregierung diese erhalten wolle. In Sterzing habe man die Geburtenstation geschlossen, in Cavalese wiedereröffnet. Er fragte, wie das möglich sei, und auch, wie sich die Zahl der Kaiserschnitte in Brixen nach der Schließung von Sterzing entwickelt habe.

Carlo Vettori (Lega Alto Adige Südtirol) meinte, die Situation sei anderswo schlimmer, aber auch Südtirol dürfe sich nicht auf den Lorbeeren ausruhen. 30 Minuten Wartezeit für eine Vormerkung seien nicht akzeptabel. Man könnte eine Vormerkung bei den Apotheken andenken. Im Trentino funktioniere die Vernetzung, man könnte dieses Programm übernehmen.

Franz Locher (SVP) stellte fest, dass es leicht sei, jene 5 Prozent zu kritisieren, die nicht funktionierten. Man müsse auch berücksichtigen, wie sich die Altersstruktur der Bevölkerung entwickelt habe, ihr Anspruch und ihre Bedürfnisse. Die medizinische Entwicklung erfolge schnell, man könne aber die Krankenhäuser nicht so schnell umbauen. Viele Ärzte und Pfleger müssten auch sonntags Dienst leisten, weil die Freizeitunfälle zunähmen, von denen viele vermeidbar wären. Die Altersvorsorge spiele heute eine weit größere Rolle, ältere Leute würden heute in den Krankenhäusern und außerhalb viel besser versorgt.

Helmut Tauber (SVP) berief sich auf die Erfahrungen in seiner Verwandtschaft und Bekanntschaft und berichtete von allgemeiner Zufriedenheit mit dem System. Wenn Kleinkrankenhäuser bestimmte Leistungen nicht schafften, dann sei es richtig, Kompetenzzentren zu schaffen. Man müsse sich aber mit der Frage beschäftigen, wie man die Versorgung in der Peripherie erhalte und wie man Spezialisten wieder nach Südtirol bringe. Ganz Europa suche Ärzte, deshalb müsse man Anreize schaffen.

Gerhard Lanz (SVP) machte Zerzer und den Direktoren ein Kompliment für die Führung der Struktur. Südtirol wolle die derzeitigen Standorte erhalten, es sei aber Spielraum für Optimierungen. Lanz wies auf das Problem der Privatvisiten in den öffentlichen Krankenhäusern hin – für die normalen Visiten müsse man Wochen warten, zur privaten komme man gleich dran. Das Problem in der Notaufnahme gehe auch darauf zurück, dass viele Basisärzte, vor allem in Bozen, keinen Nachtdienst versehen würden.

Florian Zerzer wies darauf hin, dass es auch einen Pflegermangel gebe, nicht nur einen Ärztemangel. Bei letzterem habe man einen Paradigmenwechsel einleiten können, durch die Möglichkeit der Anstellung bereits in der Ausbildung. Und der Erfolg zeige sich bereits. Viele Pflegerinnen würden die Arbeitsbedingungen wegen der Mutterschaftsregelung schätzen, dies wäre nach außen besser zu kommunizieren. Man habe sich mit der Kritik der Jungärzte intensiv auseinandergesetzt, zu einem Treffen seien 200 gekommen. Einen Abgang der Claudianaabsolventen stellte Zerzer in Abrede. 2018 seien 340 neue Mitarbeiter angestellt worden, was einiges über die Attraktivität des Standorts sage. Engpässe gebe es bei bestimmten Spezialisierungen, etwa bei Pädiatern oder Anästhesisten. Zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen biete man Kinderbetreuung und eine Flexibilität, die italienweit ihresgleichen suche. Außerdem gebe es Aus- und Fortbildung zum Nulltarif. In der Notaufnahme Bozen gebe es im Schnitt einen Zulauf von täglich 200 Personen, mit Spitzenwerten von 300. In Bozen habe man die “Guardia medica” eingeführt, da der Vertrag mit den Hausärzten dort keinen Nachtdienst vorsehe. Die Wartezeit bei der Vormerkstelle betrage derzeit im Schnitt 51 Sekunden, das sei ein Fortschritt, aber immer noch zu lang. Bei den Zufriedenheitserhebungen schneide Innichen immer sehr gut ab, aber das hänge auch damit zusammen, dass viele Patienten von auswärts kämen. Die Wartezeiten hätten sich in einigen Bereichen verringert, etwa bei der Augenheilkunde von 336 auf 135 Tage. Man bemühe sich auch um eine Rundumbetreuung, darum, dass ein Patient, der Untersuchungen von verschiedenen Stellen braucht, nicht allein gelassen wird. Als er sein Amt übernommen habe, sei die Informatikabteilung ohne Führung gewesen. Nun habe man einen Abteilungsleiter, und er sei zuversichtlich, dass man bis 2022 den großen Part der Digitalisierung haben werde.

Anschließend wurde mit der aktuellen Fragestunde begonnen.

Von: luk

Bezirk: Bozen