Putin bei einer Sitzung mit Wirtschaftsvertretern in Wladiwostok

Putin erst nach Ende von Gegenoffensive zu Gesprächen bereit

Dienstag, 12. September 2023 | 15:38 Uhr

Der russische Präsident Wladimir Putin gibt der Ukraine die Schuld daran, dass die Kämpfe zwischen den beiden Kriegsparteien anhalten. Wie könne Russland aufhören zu kämpfen, wenn die andere Seite eine Gegenoffensive anstrenge, fragte er am Dienstag rhetorisch auf einem Wirtschaftsforum in Wladiwostok. Er habe den Eindruck, dass die Ukraine erst dann zu Friedensgesprächen bereit sein könnte, wenn ihr die Ressourcen ausgingen.

Allerdings werde die Regierung in Kiew eine potenzielle Einstellung der Feindseligkeiten zur Aufrüstung nutzen, meinte der Chef der weltgrößten Atommacht. Die laufende Gegenoffensive Kiews qualifizierte er als “erfolglos”. Die Ukraine erleide schwere Verluste, so der russische Machthaber. So sprach Putin etwa von rund 18.000 gepanzerten Fahrzeugen der Ukrainer, die Russland vermeintlich seit Anfang Juni zerstört habe. Das Portal “Medusa” wies jedoch darauf hin, dass das mehr Fahrzeuge seien, als die Ukraine offiziellen Angaben zufolge jemals besaß – und sogar rund 7.000 mehr, als das russische Verteidigungsministerium seit Kriegsbeginn als vernichtet gelistet hat. Insbesondere die russische Seite fällt seit Kriegsbeginn immer wieder mit Falschbehauptungen auf.

Putin übte auch neuerlich scharfe Kritik an den westlichen Waffenlieferungen. Die Lieferung von Streumunition und Geschossen mit abgereichertem Uran sei ein “Verbrechen”, jene von F16-Kampfjets werde nichts ändern, sondern den Konflikt nur in die Länge ziehen. Zur Frage einer möglichen neuerlichen Mobilmachung in Russland sagte Putin, täglich würden 1.000 bis 1.500 Russen Verträge zum freiwilligen Eintritt ins Militär unterzeichnen. In den vergangenen sechs Monaten seien dies insgesamt 270.000 Freiwillige gewesen.

Bei einem Treffen mit dem chinesischen Vize-Premier Zhang Guoqing wurden insbesondere Handelsfragen besprochen. Das Handelsvolumen zwischen den beiden Ländern habe sich in den ersten acht Monaten dieses Jahres laut der russischen Nachrichtenagentur TASS um 32 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum auf 155,1 Milliarden US-Dollar (144,6 Milliarden Euro) erhöht. Dabei legten vor allem die chinesischen Exporte nach Russland massiv zu, was angesichts der Wirtschaftssanktionen der EU kaum verwundern dürfte. Chinas Warenexporte nach Russland betrugen im genannten Zeitraum 71,8 Mrd. US-Dollar, was einen Anstieg um 63,2 Prozent bedeutet, während die Lieferungen aus Russland nach China nur um 13,3 Prozent auf 83,3 Mrd. US-Dollar zulegten.

Die Ukraine hat nach russischen Angaben am Montag die Stadt Enerhodar in der Nähe des Atomkraftwerkes Saporischschja mit Drohnen angegriffen. Sechs Drohnen seien abgefeuert und alle von russischen Truppen zerstört worden, sagte der Chef des staatlichen russischen Atomenergiekonzerns Rosatom, Alexej Lichatschew, der Nachrichtenagentur RIA zufolge am Dienstag. Von der Ukraine gab es zunächst keine Stellungnahme. Putin erklärte hingegen in Wladiwostok, der russische Inlandsgeheimdienst FSB habe ukrainische Saboteure gefangen genommen, die Kernkraftanlagen beschädigen wollten. Die Saboteure seien von britischen Nachrichtendiensten instruiert worden. Dies sei besorgniserregend und könne ernste Konsequenzen haben.

Enerhodar und das AKW liegen in der südukrainischen Oblast Saporischschja, die zum Teil von russischen Truppen kontrolliert wird. Das Atomkraftwerk wurde bereits früh in dem seit Februar 2022 währenden Krieg von russischen Truppen besetzt. Immer wieder kommt es in der Nähe zu Kampfhandlungen, auch das Gelände des AKW wurde bereits mehrfach getroffen. Russland hat die Oblast Saporischschja wie auch Donezk, Luhansk und Cherson im September 2022 annektiert, obwohl seine Truppen nicht die vollständige Kontrolle über sie haben.

In der Nacht auf Dienstag wurde die Kertsch-Brücke, die die Krim mit dem russischen Festland verbindet, vorübergehend gesperrt. Die Sperre wurde nach etwa einer Stunde aufgehoben. Eine offizielle Begründung für die Sperre gab es nicht. Militärblogger vermuten, es könnte sich um eine routinemäßige Sperre für nächtliche Truppentransporte gehandelt haben.

Das britische Verteidigungsministerium berichtete in seinem täglichen Geheimdienstupdate, dass Russland zum Schutz gegen ukrainische Drohnen die Flugabwehr rund um Moskau neu eingestellt habe. “Seit Anfang September 2023 sind russische SA-22-Luftverteidigungssysteme rund um die Hauptstadt auf erhöhten Türmen und Rampen positioniert”, teilte das Verteidigungsministerium in London am Dienstag in seinem täglichen Geheimdienst-Update mit.

Ziel sei eine bessere Verteidigung gegen Drohnenattacken, “denen die Stadt derzeit an den meisten Tagen ausgesetzt ist”, hieß es aus London. Bereits seit Dezember 2022 und Angriffen auf die russischen Luftwaffenstützpunkte Engels und Rjasan hatte Russland das Flugabwehrsystem Panzir (NATO-Code: SA-22) auch auf den Dächern öffentlicher Gebäude in Moskau aufgestellt. Damit solle die Erkennung und Abwehr sogenannter Kamikazedrohnen ermöglicht werden. Vermutlich handle es sich aber um eine öffentlichkeitswirksame Maßnahme, um die Öffentlichkeit zu beruhigen und zu demonstrieren, dass die Behörden die Bedrohung unter Kontrolle haben, hieß es in London weiter.

Von: APA/Reuters/dpa