Rede Putins vor Sicherheitskräften auf dem Kremlgelände

Putin: Wagner-Gruppe war komplett vom Staat finanziert

Dienstag, 27. Juni 2023 | 20:52 Uhr

Nach dem bewaffneten Aufstand der Söldnerarmee Wagner hat Kremlchef Wladimir Putin am Dienstag in einer weiteren Rede den Sicherheitskräften für ihren Einsatz zum Schutz Russlands gedankt. Soldaten und Mitarbeiter der Geheimdienste hätten sich dem Versuch einer Revolte am 24. Juni entgegengestellt und so einen “Bürgerkrieg” verhindert. Putin räumte dabei auch ein, dass die Wagner-Armee des Geschäftsmanns Jewgeni Prigoschin vollkommen vom russischen Staat finanziert wurde.

“Wir haben diese Gruppe komplett finanziert”, sagte Putin am Dienstag der russischen Nachrichtenagentur Interfax zufolge bei der Rede vor Uniformierten auf dem Kremlgelände. Putin hatte die Wagner-Leute am Samstag angesichts ihres inzwischen beendeten Aufstands als “Verräter” bezeichnet. Nach Darstellung Putins erhielt die Gruppe von Mai 2022 bis Mai 2023 insgesamt 86,26 Milliarden Rubel (rund 930 Millionen Euro) aus dem Budget. Offiziell nennt sich die Wagner-Armee ein privates Militärunternehmen.

Zugleich kündigte Putin eine Untersuchung der Geldströme bei der Muttergesellschaft der Wagner-Armee, der Concord-Holding, an. Denn während die Wagner-Truppe vollständig vom Staat finanziert worden sei, habe Concord zugleich 80 Milliarden Rubel verdient. “Ich hoffe, dass niemand etwas gestohlen hat oder, sagen wir, ein bisschen gestohlen hat”, sagte der Kremlchef.

Putin äußerte sich auch zu den Folgen, die ein erfolgreicher Aufstand der Wagner-Armee für den Fortgang des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine hätte haben können. Vieles Erreichte wäre bei der “militärischen Spezialoperation” nach Worten des Kremlchefs in dem Fall “verloren gegangen”.

Die Wagner-Einheiten waren eine der schlagkräftigsten und brutalsten Truppen im seit 16 Monaten andauernden russischen Angriffskrieg. Neben vielen Ex-Häftlingen sind in der Privatarmee hochprofessionelle Söldner mit langer Kampferfahrung im Einsatz.

Putin kündigte “in nächster Zukunft” Veränderungen in der Führungsetage der russischen Streitkräfte an. Das “Rückgrat” der Streitkräfte-Führung werde künftig aus Personen zusammengesetzt sein, die sich im Kampfeinsatz bewährt hätten. Dazu gehöre auch der Bereich der Luftwaffe. Der Kremlchef äußerte sich nicht dazu, ob er an seinem Verteidigungsminister Sergej Schoigu festhält. Dieser war seit Monaten massiv von Prigoschin kritisiert worden.

Der Kreml-Chef lobte, dass sich Soldaten und Mitarbeiter der Geheimdienste dem Versuch einer Revolte am 24. Juni entgegengestellt und so einen “Bürgerkrieg” verhindert hätten. “Sie haben die verfassungsmäßige Ordnung, das Leben, die Sicherheit und die Freiheit unserer Bürger verteidigt, unsere Heimat vor Erschütterungen bewahrt, faktisch einen Bürgerkrieg verhindert”, sagte Putin bei der Rede, die im Staatsfernsehen gezeigt wurde. “Wir wussten, dass wir gewinnen, die Aufständischen hätten Moskau nicht eingenommen”, betonte er.

In seiner Rede im Freien vor den Hundertschaften verschiedener Sicherheitsdienste erinnerte Putin auch an die Piloten, die am Samstag bei ihren Angriffen auf die Wagner-Kolonne getötet wurden. Die Angehörigen des Verteidigungsministeriums, der Nationalgarde, des Inlandsgeheimdienstes FSB, des Innenministeriums und des Sicherheitsdienstes des Präsidenten gedachten mit Putin in einer Schweigeminute der Toten. Die Wagner-Truppen hatten mehrere Hubschrauber und ein Flugzeug am Samstag abgeschossen.

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sieht das Machtgefüge in Russland nach dem Aufstand der Wagner-Söldnereinheiten nicht erschüttert. Es gebe jetzt eine Menge “ultra-emotionaler Hysterie” unter Experten und “Pseudo-Experten”, sagte er am Dienstag nach Angaben russischer Nachrichtenagenturen. Das habe “nichts mit der Realität zu tun”. “Diese Ereignisse haben gezeigt, wie konsolidiert die Gesellschaft um den Präsidenten herum ist”, behauptete Peskow.

Nach dem bewaffneten Aufstand des Söldnerchefs Jewgeni Prigoschin und dessen Wagner-Armee war das Strafverfahren gegen ihn wie vom Kreml angekündigt eingestellt worden. Peskow rechtfertigte die Straffreiheit, nachdem Präsident Putin noch am Samstag angekündigt hatte, die Drahtzieher des Aufstandes würden ihrer “unausweichlichen Bestrafung” zugeführt. Putin habe “das Schlimmste verhindern” wollen, sagte Peskow. Es habe eine “klare Vereinbarung” gegeben, das schlimmste Szenario zu vermeiden. Dafür habe es “bestimmte Versprechen” und “Garantien” Putins gegeben, die nun umgesetzt würden.

Unterdessen meldete sich auch der inhaftierte Oppositionsführer Alexej Nawalny zu Wort, dem derzeit wegen seiner als extremistisch eingestuften Anti-Korruptions-Stiftung (ACF) ein weiterer Strafprozess gemacht wird. Auf Twitter berichtete er am Dienstag, wie er während einer Gerichtsverhandlung von den Vorkommnissen des Wochenendes erfahren habe. “Während ich hörte, dass die ACF extremistisch und gefährlich für das Land ist, las ich, dass russische Truppen Positionen am Fluss Oka eingenommen haben, ‘um sich gegen eine andere Gruppe russischer Truppen zu verteidigen’.” Die Vorgänge hätten gezeigt, “dass es keine größere Bedrohung für Russland gibt als das Putin-Regime”. “Es war weder der Westen noch die Opposition, die die russischen Hubschrauber über Russland abgeschossen haben. Es war nicht die ACF, die Russland an den Rand des Bürgerkriegs gebracht hat. Putin persönlich hat das getan, und er begnadigte all diese Straftäter, die sich aufgemacht hatten, (Verteidigungsminister Sergej) Schoigu und wen auch immer zu töten”, kritisierte Nawalny.

“Putins Regime ist so gefährlich für das Land, dass selbst seinem unausweichlichen Zusammenbruch die Gefahr eines Bürgerkriegs innewohnt”, warnte Nawalny. Er wies darauf hin, dass während des Vormarschs der Wagner-Kämpfer “sich niemand erhoben hat, um Putin zu verteidigen”. Die Nation habe sich nicht um Kreml-Chef geschart, und es sei wahrscheinlich, dass er innerhalb der Armee noch unpopulärer sei. “Es ist offensichtlich, muss aber immer aufs Neue wiederholt werden: Nicht Demokratie, Menschenrechte und Parlamentarismus machen ein Regime schwach und führen zu Tumulten. Es sind Diktatoren und die Aneignung von Macht, die zu schwachen Regierungen und Chaos führen.”

Von: APA/dpa