Von: APA/dpa/Agerpres
Rumäniens interimistischer Staatspräsident Ilie Bolojan hat am Dienstag den liberalen Innenminister Cătălin Predoiu zum kommissarischen Regierungschef ernannt, nachdem Premierminister Marcel Ciolacu am Vorabend nach dem Wahldebakel vom Sonntag zurückgetreten war. Predoiu wird das Amt bis nach der auf den 18. Mai angesetzten Stichwahl für das Präsidentenamt ausüben. Nach der Angelobung des neuen Staatsoberhauptes wird dieses sodann den Regierungsauftrag vergeben.
Rumänien sei und müsse eine widerstandsfähige Demokratie bleiben, ein Land, dessen Ziele in den euro-atlantischen Werten verankert seien, betonte Predoiu nach Amtsantritt. “Kontinuität und Regierungskohärenz sind wichtig für einen reibungslosen Ablauf der öffentlichen Angelegenheiten”, sagte er am Dienstag in einer Pressemitteilung. Vorhersehbarkeit und Ausgewogenheit seien im Interesse der Wirtschaft, Finanzmärkte, der Zivilgesellschaft und aller rumänischen Bürger.
Eingeschränkte Befugnisse
Predoiu regiert nun mit eingeschränkten Befugnissen bis zur Bildung einer vom Parlament gebilligten neuen Regierung. Der 56-jährige Jurist und frühere Justizminister ist seit 2023 Innenminister. In dieser Funktion setzte er sich unter anderem für den Vollbeitritt seines Landes zum Schengenraum ein. Österreich hatte die Schengenerweiterung um Rumänien und Bulgarien jahrelang blockiert. Am 1. Jänner wurden die Grenzen schließlich geöffnet. Predoiu war zuvor schon einmal Interimsregierungschef. Bolojan wiederum amtiert kommissarisch seit dem Rücktritt von Staatspräsident Klaus Johannis im Februar dieses Jahres.
Der Präsidentschaftskandidat der Regierungskoalition, Crin Antonescu, hatte am Sonntag den Einzug in die Stichwahl verpasst – trotz der Unterstützung durch drei Regierungsparteien. Der sozialdemokratische Regierungschef Ciolacu gab daraufhin am Montagabend seinen Rücktritt bekannt. Mit Ciolacus Rücktritt ist auch die Koalition zwischen dessen Partei PSD und der liberalen Partei PNL zerbrochen. Allerdings bleiben die PSD-Minister vorerst kommissarisch im Amt.
Simion kritisiert Predoiu
In der entscheidenden Stichwahl am 18. Mai tritt der extrem rechte Politiker George Simion gegen den liberalkonservativen, parteilosen Bukarester Bürgermeister Nicușor Dan an. Simion bezeichnete Predoiu als “den gewalttätigsten Minister”. Der Vorsitzende der Allianz für die Union Rumäniens (AUR) kritisierte in Anspielung auf die Gerichtsentscheidung zur Annullierung der Präsidentschaftswahl vom November, dass Predoiu den Wählerwillen “missachtet” und “am 6. Dezember am Staatsstreich gegen das rumänische Volk beteiligt war”.
Bei der Eröffnung einer rumänisch-amerikanischen Wirtschaftskonferenz im Parlament sagte Simion außerdem, der einzige Präsidentschaftskandidat mit Beziehungen zur Administration von US-Präsident Donald Trump zu sein. Er erklärte sich auch zu direkten Konfrontationen mit Dan sowie zu Interviews bereit.
Dan will keine Parteien-Unterstützung
Ciolacu und seine PSD wollen für die Stichwahl keinen Kandidaten offiziell unterstützen. PNL und die ebenfalls mitregierende Ungarn-Partei UDMR rufen zur Wahl von Dan auf, ebenso wie die liberalkonservative Oppositionspartei USR.
Dan wiederum erklärte, er werde mit keiner Partei ein Bündnis eingehen. Fortan wolle er im Wahlkampf nicht über Parteien, sondern nur über Programme und die Probleme der Bürger sprechen, sagte er. Eine offene Kooperation mit den bei vielen Rumänen unbeliebten klassischen, proeuropäischen Parteien könnte Dans Chancen in der Stichwahl eher verringern, meinten Beobachter in Bukarest.
Dans Aussichten gelten als äußerst schwach. In der ersten Wahlrunde am Sonntag kam Simion auf Platz eins mit 40,96 Prozent der Stimmen. Dan lag mit großem Abstand – 20,99 Prozent – auf Platz zwei.
Politische Krise
Rumäniens oberstes Gericht hatte die Wahl vom November wegen illegaler Einflussnahme Russlands annulliert, eine Wiederholung angeordnet und den rechtsextremen und pro-russischen Kandidaten Călin Georgescu, der mit einer Wahlkampagne vor allem auf der Onlineplattform TikTok als Sieger hervorgegangen war, ausgeschlossen.
Vor dem Hintergrund der sowohl bei der annullierten Präsidentenwahl im Spätherbst als auch am Sonntag gestiegenen Zahl der Protestwähler gegen die politischen Mainstream-Parteien und der erheblichen Wahlzugewinne der rumänischen Rechtspopulisten erlebt das Land zurzeit eine bisher nie da gewesene politische Krise: Mittlerweile sind alle hohen Verantwortungsträger im Land – Staatspräsident, Regierungschef, Kabinett und die Präsidenten der beiden Parlamentskammern – nur geschäftsführend im Amt.
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