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“Sachliche Diskussion über Doppelpass fördert friedliches Zusammenleben”

Montag, 04. November 2019 | 10:58 Uhr

Bozen – Der Landtagsabgeordnete der Süd-Tiroler Freiheit, Sven Knoll, zeigt sich überzeugt, dass eine sachliche Diskussion über die doppelte Staatsbürgerschaft für die Südtiroler möglich ist und dass diese sogar zur Förderung des friedlichen Zusammenlebens in Südtirol beitragen wird, wenn die Identität jeder Volksgruppe gleichermaßen rechtliche Anerkennung erfahre. “Es ist eine Tatsache, dass sich sehr viele Menschen in Südtirol den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft wünschen. Das kann man nicht einfach ignorieren und darf man auch nicht schlechtreden. Wir brauchen in Südtirol keine Angst vor einer kontroversen Diskussion über die doppelte Staatsbürgerschaft zu haben, solange diese sachlich geführt wird. Dazu ist es aber notwendig, nationalistische Ansätze aus der Diskussion herauszunehmen, falsche Behauptungen zu widerlegen und seriös die Fakten zu beleuchten”, so Knoll.

 

Doppelte Staatsbürgerschaft schafft Ausgleich zwischen Volksgruppen

Das friedliche Zusammenleben funktioniert nur dann, wenn jede Volksgruppe die andere akzeptiert und jeder Bürger in Südtirol seine ethnische Identität in vollem Umfang gewahrt sieht. In Südtirol besitzt derzeit nur die italienische Volksgruppe die Staatsbürgerschaft ihres Vaterlandes Italien. Durch das damit verbundene Wahlrecht dürfen die Italiener an allen politischen Entscheidungsprozessen in Italien teilnehmen, auf der ganzen Welt können sie sich in ihrer Muttersprache an die italienischen Auslandsvertretungen wenden und genießen zudem alle sozialen, kulturellen und ökonomischen Vorteile, die die Zugehörigkeit zum eigenen Staatsvolk mit sich bringt. Die Angehörigen der deutschen und ladinischen Volksgruppe in Südtirol haben hingegen nicht die Staatsbürgerschaft ihres Vaterlandes Österreich. Sie dürfen daher auch nicht an den Wahlen in Österreich teilnehmen, obwohl sie von vielen Entscheidungen direkt betroffen sind (Schutzmacht, Autonomie, Universitäts-, Migrations-, Verkehrspolititik usw.), sie können sich im Ausland nicht in ihrer Muttersprache an die österreichischen Vertretungen wenden, der Zugang zu einigen Berufen in Österreich bleibt den Südtirolern verwehrt und auch sonst sind sie in sehr vielen Bereichen ihrem eigenen österreichischen Staatsvolk gegenüber nicht gleichgestellt.

Durch die doppelte Staatsbürgerschaft würde in Südtirol diese Ungleichbehandlung zwischen den Volksgruppen beseitigt. Es würde ein Ausgleich geschaffen, weil jeder, egal welcher Volksgruppe er angehört, dem anderen auf Augenhöhe begegnen könnte. Jeder würde als das wahrgenommen, wie er sich fühlt. Zudem würde, aus Gesamt-Tiroler Sicht, die Spaltung der Tiroler Gesellschaft nördlich und südlich des Brenners weitestgehend überwunden.

Gleiche Rechte und Pflichten

Südtiroler Doppelstaatsbürger wären weder „Rosinenpicker“ noch „Schönwetter-Österreicher“, sondern hätten dieselben Rechte und Pflichten wie alle anderen „Auslandsösterreicher“, ganz egal, ob diese in Tokio, New York oder eben in Südtirol leben. Steuern bezahlt man dort, wo man lebt und arbeitet, bei Parlaments-, Bundespräsidenten- und EU-Wahlen haben alle Auslandsösterreicher über die Briefwahl das Wahlrecht, und zum Bundesheer werden nur jene Österreicher eingezogen, die ihren Hauptwohnsitz im Bundesgebiet der Republik Österreich haben, nicht aber jene, die im Ausland leben. Sollte in Italien ─ wie derzeit diskutiert ─ die Wehrpflicht wieder eingeführt werden, hätten die Südtiroler Doppelstaatsbürger aber die freie Wahl, ob sie den Militärdienst lieber für Italien oder für Österreich ableisten wollen.

Wer ist antragsberechtigt?

Eine automatische Vergabe der österreichischen Staatsbürgerschaft „en masse“ an alle in Südtirol lebenden Bürger wäre völkerrechtlich nicht zulässig. Es braucht einen konkreten Bezug der Antragsberechtigten zu Österreich. Die Südtiroler deutscher und ladinischer Muttersprache sind als österreichische Minderheit im italienischen Staatsgebiet international anerkannt. Auch die Autonomie dient dem Schutz der deutschen und ladinischen Volksgruppe. In der österreichischen Gesetzgebung (z.B. „Südtiroler Gleichstellungsgesetz“) ist als Südtiroler definiert, wer der deutschen und ladinischen Volksgruppe angehört. In den letzten Monaten wurde von einer Expertengruppe der österreichischen Regierung ein Gesetzentwurf ausgearbeitet, welcher im Wesentlichen vorsieht, dass alle Südtiroler deutscher und ladinischer Muttersprache antragsberechtigt wären. Es ist dies das Modell, das auch Italien für die Vergabe der italienischen Staatsbürgerschaft an die italienischen Minderheiten in Slowenien und Kroatien anwendet. Dort sind auch nicht alle slowenischen kroatischen Staatsbürger dieser Gebiete antragsberechtigt, sondern nur die Angehörigen der italienischen Bevölkerung.

Die Zustimmung Italiens ist nicht erforderlich

Die Republik Österreich entscheidet rechtlich völlig eigenständig und souverän, ob sie den Südtirolern die Staatsbürgerschaft anbietet. Es bedarf hiefür nicht der Zustimmung Italiens! Auch die Republik Italien hat niemanden gefragt hat, als sie den italienischen Minderheiten in Slowenien und Kroatien die italienische Staatsbürgerschaft gegeben hat. Es ist aber richtig, dass Italien ─ in gut nachbarschaftlicher Beziehung ─ über alle Schritte informiert wird.

Autonomie kann von Italien nicht wegen Doppelpass beschnitten werden.

Eine einseitige Vergabe der österreichischen Staatsbürgerschaft an die Südtiroler ─ auch ohne die Zustimmung Italiens ─ hat keine negativen Auswirkungen auf die Autonomie, da Italien von der einseitigen Vergabe der österreichischen Staatsbürgerschaft an die Südtiroler keine rechtliche Befugnis zu einer einseitigen Beschneidung der Autonomie ableiten kann. Bei der Vergabe der österreichischen Staatsbürgerschaft an die Südtiroler handelt es sich um ein individuelles Recht, das nur auf Antrag zur Anwendung kommt. Es spielt daher auch keine Rolle, wie viele Südtiroler letztlich die österreichische Staatsbürgerschaft beantragen werden. Völkerrechtlich wäre es nicht zulässig, wenn Italien aufgrund der Vergabe der österreichischen Staatsbürgerschaft an die Südtiroler die gesamte Bevölkerung durch eine Beschneidung der Autonomie „bestrafen“ würde, denn die Autonomie ist ein kollektives Recht, das der gesamten schutzbedürftigen Volksgruppe zukommt.

Doppelstaatsbürgerschaft ist im europäischen Geist

Doppelte Staatsbürgerschaften sind in der ganzen EU längst Realität. 26 der (noch) 28 EU-Staaten ermöglichen Doppelstaatsbürgerschaften. Insbesondere in Minderheitengebieten haben sich doppelte Staatsbürgerschaften als Mittel des Minderheitenschutzes bewährt, zum besseren gegenseitigen Verständnis und zum Abbau von Grenzen beigetragen. Der Brenner könnte nie mehr als Abgrenzung dienen, da die Interessen des Staatsvolkes nicht mehr an der Staatsgrenze enden würden. Durch die doppelte Staatsbürgerschaft würde Südtirol zudem zu einer europäischen Vorzeigeregion, indem die Südtiroler beispielsweise bei EU-Wahlen grenzüberschreitend wählen könnten.

Europäisches Übereinkommen kein Hindernis für Doppelpass

In den 1960-er Jahren wurde das „Europäische Übereinkommen zur Verminderung von Mehrfachstaatsbürgerschaften“ abgeschlossen. Dieses Übereinkommen stellt heute kein Hindernis mehr für die Doppelstaatsbürgerschaft der Südtiroler dar, da es zwischenzeitlich von fast allen Vertragsstaaten gekündigt wurde. Auch Italien hat es 2009 gekündigt, sodass zwischen Italien und Österreich keine Vertragsverpflichtungen mehr bestehen. Neben Österreich sind nur noch die Niederlande und Norwegen (nur noch bis Dezember 2019) Vertragspartner. Österreich könnte das Gesetz zur Doppelstaatsbürgerschaft für Südtiroler somit sofort in Kraft treten lassen, da Österreich nur mehr gegenüber niederländischen Staatsbürgern eine einjährige Kündigungsfrist des Übereinkommens einhalten müsste.

Der Doppelpass spaltet Familien nicht, sondern verbindet gespaltene Familien

Die Sorge, dass die doppelte Staatsbürgerschaft „gemischtsprachige“ Familien spalten könnte ist nicht begründet, da das österreichische Staatsbürgerschaftsgesetz bereits heute die Möglichkeit vorsieht, durch die Ehe auch die österreichische Staatsbürgerschaft des Partners zu erhalten. Kinder von österreichischen Staatsbürgern (auch nur ein Elternteil) haben ebenso Anrecht auf die österreichische Staatsbürgerschaft, dies gilt auch, wenn das andere Elternteil z.B. Italiener ist. Viele Südtiroler haben aber Familienangehörige in Nord- und Osttirol. Diese Familien sind nicht nur durch eine Staatsgrenze, sondern auch durch unterschiedliche Staatsbürgerschaften gespalten, da die Familienmitglieder gegenüber den eigenen Angehörigen praktisch und rechtlich Ausländer sind. Mit der doppelten Staatsbürgerschaft würde diese Spaltung vieler Familien überwunden.

Doppelstaatsbürgerschaft ist ein individuelles Recht

Die doppelte Staatsbürgerschaft ist ein individuelles Recht und liegt somit in der freien Entscheidung jedes Einzelnen. Niemand ist aufgrund der Wahl seiner Staatsbürgerschaft ein besserer oder ein schlechterer Südtiroler. Wer kein Interesse an der österreichischen Staatsbürgerschaft hat, sucht einfach nicht an. Diejenigen, die aber die österreichische Staatsbürgerschaft wünschen, müssen das Recht haben, diese auch zu bekommen und dürfen nicht von jenen daran gehindert werden, die kein Interesse an der österreichischen Staatsbürgerschaft haben.

Von: luk

Bezirk: Bozen