Von: APA/AFP/dpa
Russland bereitet nach Ansicht der Ukraine neue Offensiven an drei Frontabschnitten vor. Stoßrichtung solle unter anderem Saporischschja sein, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Dienstag vor Journalisten. Er schloss zugleich aus, eigene Truppen aus der Region Donbass zurückzuziehen. Angesichts russischer Gebietsgewinne in der Ostukraine meldetet die ukrainische Armee “schwierige” Kämpfe.
Man könne und werde den Donbass nicht aufgeben, betonte Selenskyj im Gespräch mit Journalisten. “Der Donbass wäre für die Russen ein Sprungbrett für einen neuen, zukünftigen Angriff”, sagte er kurz vor dem Alaska-Gipfel von US-Präsident Donald Trump mit dem russischen Präsidenten Putin, bei dem am Freitag ohne Beteiligung Kiews über Wege zu einem möglichen Frieden in der Ukraine gesprochen werden soll.
Schon die von Russland 2014 besetzte Halbinsel Krim sei “zu 100 Prozent” ein Sprungbrett für den Angriff auf die Südukraine gewesen. Zudem habe Russland in dem von Separatisten kontrollierten Donbass keine eigenen Kräfte eingesetzt, sondern Abtrünnige zur russischen Armee gemacht.
Jeder Rückzug ukrainischer Einheiten aus ihren Positionen im Donbass würde Moskau Vorbereitungen für einen neuen Angriff ermöglichen. Putin hätte dann in einigen Jahren den Weg frei in die Regionen Charkiw, Saporischschja und Dnipropetrowsk, so Selenskyj.
Ukrainische Armee spricht von “schwieriger Situation”
“Die Situation ist schwierig und dynamisch”, erklärte die ukrainische Armee am Dienstag. Das Militär hatte zuvor Gefechte in der Nähe des Dorfes Kutscheriw Jar in der ostukrainischen Region Donezk gemeldet. In dem der Armee nahestehenden Online-Portal “DeepState” hieß es, russische Soldaten seien innerhalb eines Tages um etwa zehn Kilometer weiter nach Norden vorgerückt.
Eine von “DeepState” veröffentlichte Karte von der Front zeigt einen Korridor, der nun unter russischer Kontrolle ist und somit die Garnisonsstadt Dobropillja angreifbar macht. Auch die umkämpfte und zerstörte Industriestadt Kostjantiniwka ist durch das russische Vorrücken bedroht. Die Stadt ist eines der letzten großen städtischen Gebiete in der Region Donezk, das noch unter der Kontrolle der Ukraine steht. Die US-Denkfabrik Institute for the Study of War erklärte, russische “Sabotage- und Aufklärungstrupps” seien in Gebiete in der Nähe von Dobropillja eingedrungen. Es sei jedoch noch zu früh, um die Tragweite des russischen Durchbruchs einzuschätzen.
Kiew verlegt weitere Truppen nach Pokrowsk
Nach Berichten über durchgesickerte russische Truppen bei Pokrowsk verlegte die ukrainische Armee weitere Truppen in die Region in der Ostukraine. “Der Feind nutzt seinen zahlenmäßigen Vorteil und versucht, trotz erheblicher Verluste an Personal, in kleinen Gruppen durch die erste Linie unserer Stellungen vorzudringen”, sagte Generalstabssprecher Andrij Kowalew den ukrainischen Medien. Daher seien zusätzliche Truppen freigestellt worden, um gegnerische Sabotagetrupps hinter den eigenen Linien aufzuspüren und zu vernichten.
Im Verlauf des Tages habe die russische Armee 35 Versuche zum Durchbrechen der ukrainischen Verteidigungslinien bei Pokrowsk unternommen. Schon zuvor hatte die ukrainische Armee Berichte zu einem russischen Frontdurchbruch im Abschnitt bei den Städten Pokrowsk und Dobropillja im Gebiet Donezk zurückgewiesen. Das Durchsickern russischer Gruppen mit wenigen Soldaten bedeute noch nicht, dass sie diese Gebiete unter Kontrolle bringen würden, teilte die für den Frontabschnitt zuständige Armeegruppe “Dnipro” bei Telegram mit. Die Situation bleibe schwierig, und die Kämpfe in dieser Region seien die intensivsten im Vergleich zu anderen Frontabschnitten.
Vorher hatten ukrainische Militärbeobachter von einem russischen Vorrücken um mehr als zehn Kilometer nordöstlich der von einer Einschließung bedrohten Stadt Pokrowsk berichtet. Mehrfach war in Berichten von Militärs bereits vom Vordringen von Kleingruppen russischer Soldaten nach Pokrowsk selbst die Rede. Die Agglomeration der Städte Pokrowsk und Myrnohrad ist von drei Seiten durch russische Truppen eingeschlossen. Für den Nachschub ist nur noch ein etwa 15 Kilometer breiter Korridor verblieben. Die russische Armee versucht bereits seit Monaten, den Verkehrsknotenpunkt Pokrowsk zu erobern. Im Verlauf der Kämpfe ist die Stadt bereits weitgehend zerstört worden.
Gipfel von Trump und Putin am Freitag
Das Vorrücken der russischen Armee erfolgt kurz vor dem Treffen von US-Präsident Donald Trump und Kreml-Chef Wladimir Putin im US-Bundesstaat Alaska am Freitag zu Beratungen über den Ukraine-Krieg. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist nicht eingeladen. Gespräche über eine Waffenruhe in dem seit dreieinhalb Jahren andauernden russischen Angriffskrieg waren bisher gescheitert.
Moskau verlangt von Kiew, die vier von Russland teilweise besetzten ostukrainischen Regionen Saporischschja, Donezk, Luhansk und Cherson sowie die von Russland annektierte Halbinsel Krim vollständig abzutreten und zudem auf westliche Militärhilfe und einen NATO-Beitritt zu verzichten. Die Ukraine weist diese Forderungen als unannehmbar zurück.
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