G20-Abschlusserklärung stößt auf Widerspruch Kiews

Ukraine kritisiert G20-Abschlusserklärung

Sonntag, 10. September 2023 | 13:56 Uhr

Die Ukraine hat die Abschlusserklärung des G20-Gipfels der führenden und aufstrebenden Wirtschaftsmächte kritisiert und Russlands Außenminister Sergej Lawrow Kriegspropaganda vorgeworfen. Da Kreml-Chef Wladimir Putin nicht zum Treffen in Indien gereist sei, rechtfertige Lawrow dort die Invasion, hieß es aus Kiew. Der russische Angriffskrieg wurde in der Gipfelerklärung nicht mehr ausdrücklich verurteilt. Moskau und Washington zeigten sich mit dem Wortlaut zufrieden.

Im Vorjahr war der Angriff noch explizit verurteilt worden. Diesmal wurde nur noch auf entsprechende Resolutionen der Vereinten Nationen verwiesen – und allgemein auf die territoriale Integrität von Staaten, also die Unverletzlichkeit von Grenzen. Diplomaten werteten die Kompromissformulierungen als kleinsten gemeinsamen Nenner – damit wurde aber ein Scheitern des Gipfels verhindert.

Russlands Außenminister Lawrow wertete den G20-Gipfel in Indien als diplomatischen “Erfolg”. Moskau habe “die Versuche des Westens, die Themensetzung des Gipfels zu ‘ukrainisieren'”, verhindern können, sagte er. Es sei mit Hilfe der Länder des globalen Südens gelungen, dass das Treffen nicht vom Ukraine-Krieg überlagert worden sei.

In der gemeinsamen Abschlusserklärung der Staats- und Regierungschefs der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer werde Russland “überhaupt nicht erwähnt”, betonte der Minister. “Lawrow ist ein Promoter des Krieges in der Ukraine”, beklagte indes Mychajlo Podoljak, Berater im ukrainischen Präsidentenbüro, im TV-Sender Freedom. Es brauche mehr internationale Haftbefehle wegen Kriegsverbrechen wie gegen Putin, um solche Auftritte von “Subjekten wie Lawrow” zu verhindern.

Die US-Regierung verteidigte die Abschlusserklärung. Sie sei “ein großer Schritt nach vorn” etwa mit Blick auf die Souveränität und territoriale Integrität von Staaten, sagte der stellvertretende nationale Sicherheitsberater der USA, Jon Finer, am Sonntag. Die Erklärung zeige, dass die großen Volkswirtschaften, “darunter übrigens auch Brasilien, Indien und Südafrika, sich einig sind, dass das Völkerrecht gewahrt werden muss und dass Russland das Völkerrecht respektieren muss”. Die Erklärung baue auf UNO-Resolutionen und der Abschlusserklärung aus dem vergangenen Jahr auf, um die Botschaft zu senden, dass Russland von der Anwendung von Gewalt zum Erwerb von Territorien absehen müsse.

Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz zog ebenfalls ein positives Fazit. Es habe ein “klares Bekenntnis” dazu gegeben, dass die territoriale Integrität von Staaten wie der Ukraine außer Frage stehe und Grenzen nicht mit Gewalt verschoben werden sollen. “Ich bin auch sehr froh darüber, dass erneut noch einmal sehr klare Bekenntnisse gegen den Einsatz von Nuklearwaffen hier zum Ausdruck gebracht worden ist”, sagte Scholz. “Und das, finde ich, sind gute Ergebnisse.”

Die Ukraine kritisierte die Abschlusserklärung scharf. “Die G20 hat nichts, worauf sie stolz sein kann”, teilte der Sprecher des Außenministeriums in Kiew, Oleh Nikolenko, am Samstag in dem sozialen Netzwerk X (vormals Twitter) mit.Er veröffentlichte rot markierte Korrekturen in dem Dokument, wie sie aus Sicht der Ukraine aussehen sollten. So sollte laut Nikolenko nicht von einem “Krieg in der Ukraine” die Rede sein, sondern klar von “Russlands Aggressionskrieg gegen die Ukraine”. Zudem hätten die G20-Staaten den Krieg einhellig verurteilen und Moskau aufrufen müssen, die Invasion umgehend zu beenden.

Die Ukraine war von Indien nicht eingeladen worden. Im vergangenen Jahr hatte Präsident Wolodymyr Selenskyj noch per Video von Kiew aus die Tagesordnung auf der Ferieninsel geprägt.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron trat der Kritik entgegen. Er sei nicht der Meinung, dass die Erklärung ein diplomatischer Sieg für Russland sei, sagte Macron. Vielmehr sei Russland isoliert aus dem Treffen herausgegangen. Allerdings sei das G20-Format nicht unbedingt der Ort, an dem man diplomatische Fortschritte im Ukraine-Krieg erwarten könne, denn es sei gegründet worden, um internationale Wirtschaftsfragen zu lösen.

Von: APA/dpa/Reuters/AFP