NATO-Chef Stoltenberg sieht Fortschritte bei Ukraines Gegenoffensive

Ukraine meldet kleinere Geländegewinne

Mittwoch, 14. Juni 2023 | 20:18 Uhr

Die Ukraine hat am Mittwoch kleinere Geländegewinne im Rahmen ihrer Gegenoffensive gemeldet. Die Kämpfe seien “extrem heftig”, erklärte Vize-Verteidigungsministerin Hanna Maliar auf Telegram. Die ukrainische Soldaten hätten im Laufe des Tages bis zu 500 Meter in den Gebieten nahe der zerstörten Stadt Bachmut im Osten zurückerobert. Im Süden in Richtung der Stadt Saporischschja seien es um die 300 Meter. Sie beklagte jedoch eine Luftüberlegenheit der russischen Truppen.

Die Angaben konnten von unabhängiger Seite nicht überprüft werden, eine russische Stellungnahme lag nicht vor. Maliar beschrieb später im ukrainischen Fernsehen die Verluste ihrer Truppen als deutlich niedriger als die der russischen Seite. Dies sei allgemein im Kriegsverlauf der Fall. In den vergangenen Wochen seien im östlichen Frontabschnitt “Chortyzia” 8,7 Mal so viele russische Soldaten gestorben wie ukrainische. Im südlichen Abschnitt “Tawria” betrage der Faktor 5,3. Auch diese Angaben konnten nicht überprüft werden.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hatte zuvor erklärt, man sehe, dass die Ukrainer Fortschritte machten und mehr Land befreiten. Der Ausgang der aktuellen ukrainischen Offensive gegen die russischen Invasionstruppen sei aber noch völlig offen. “Es ist noch früh und wir wissen nicht, ob das ein Wendepunkt im Krieg sein wird”, sagte der Norweger am Mittwoch in Brüssel.

Russlands Präsident Wladimir Putin hatte am Dienstag erklärt, seit dem Beginn der Gegenoffensive hätten die Ukrainer zehn Mal so hohe Verluste bei Soldaten erlitten wie seine Truppen.

Bei erneuten russischen Luftangriffen auf zivile Ziele in der Ukraine wurden laut Kiew mindestens sechs Menschen getötet und viele verletzt worden. An den Fronten im Süden und Osten des Landes kam es nach ukrainischen Angaben zu schweren Gefechten mit den russischen Besatzern. Ex-Kremlchef Dmitri Medwedew drohte indes am Mittwoch mit der Zerstörung eines Unterseekabels zwischen Europa und den USA als Vergeltung für die Sprengungen an den Nord-Stream-Pipelines.

In der südukrainischen Hafenstadt Odessa seien mindestens drei Zivilisten getötet worden, als ein russischer Kalibr-Marschflugkörper in ein Lagerhaus einschlug, hieß es. In der stark umkämpften Region Donezk im Osten starben in den Städten Kramatorsk und Kostjantyniwka sowie in der Umgebung drei weitere Menschen durch russische Raketen, wie der Leiter der lokalen Militärverwaltung, Pawlo Kyrylenko, auf Facebook mitteilte. Weitere sechs Menschen seien verletzt worden.

Zudem teilte Kiew mit, am Vortag seien in der nordöstlichen Grenzregion Sumy sechs Menschen durch russischen Artilleriebeschuss getötet worden, darunter vier Forstarbeiter. Die Zahl der Todesopfer eines russischen Angriffs am Vortag auf die Großstadt Krywyj Rih stieg unterdessen auf zwölf.

Russland hat vor mehr als 15 Monaten einen Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen und beschießt das Nachbarland derzeit täglich mit Drohnen, Raketen und Marschflugkörpern. Zwar behauptet Moskau stets, nur militärische Ziele zu beschießen. Tatsächlich aber treffen die Geschosse oder Trümmer der am Himmel von der Flugabwehr zerstörten Flugobjekte immer wieder zivile Infrastruktur und töten Anrainer.

Die ukrainischen Streitkräfte setzten unterdessen nach Angaben des Verteidigungsministeriums ihre Offensiven im Süden und Osten des Landes fort. Vize-Verteidigungsministerin Hanna Maljar berichtete auf Telegram über heftige Gefechte bei gleichzeitiger Luft- und Artillerieüberlegenheit des Gegners. Das Dorf Makariwka, südwestlich von Donezk, soll besonders schwer umkämpft sein. Am Mittwoch rückte die Armee nach Angaben Maljars um weitere 200 bis 500 Meter vor.

Auch das russische Verteidigungsministerium meldete Angriffe der Ukraine in den Regionen um Saporischschja im Süden und Donezk im Osten des Landes. Die Angaben der Kriegsparteien ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen. Allerdings haben internationale Experten der Ukraine bereits lokale Erfolge bei ihrer Offensive bescheinigt.

Wegen der Kämpfe verzögerte sich auch der für Mittwoch geplante Besuch des Chefs der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Grossi, in dem von Russland besetzten Atomkraftwerk Saporischschja. Die russische Seite habe der IAEA-Delegation keine Erlaubnis erteilt, die Kampflinie zu überqueren, sagte der ukrainische Chefinspektor für die Atomaufsicht, Oleh Korikow, der Deutschen Presse-Agentur. Eine offizielle Mitteilung der IAEA in Wien dazu gab es zunächst nicht.

Am Vortag hatte Grossi in Kiew vor einem steigenden Risiko für das größte Atomkraftwerk Europas gewarnt. “Ich bin sehr besorgt. Ziemlich in der Nähe des Kraftwerks finden Kampfhandlungen statt”, sagte er vor Journalisten. Dadurch erhöhe sich die Wahrscheinlichkeit, dass die ukrainische Anlage getroffen werden könnte. Grossi und sein Team wollten in Saporischschja unter anderem Klarheit über die Wasserversorgung des Kühlsystems in dem AKW gewinnen, nachdem durch die Zerstörung des Staudamms am Dnipro-Fluss der Pegelstand des aufgestauten Reservoirs gesunken ist.

Von: APA/dpa/Reuters