Von: mk
Pfossental – Im Pfossental (Schnalstal) zwischen Gasthof Jägerrast und etwa 400 Meter vor der Jausenstation Mitterkaseralm steht ein Marterle für den Hirten Johann Spechtenhauser, der hier 72-Jährig feige von einem 18-jährigen faschistischen Grenzmilizer am 21. Juli 1942 erschossen wurde.
Das Marterle wurde aus einem geklobenen Baumstamm gemacht, in den beiden Innenseiten wird in deutscher und italienischer Sprache das tragische Ende des alten Hirten geschildert.
Dieses Jahr möchte der Südtiroler Heimatbund am Samstag, den 19. Juli um 11.00 Uhr bei seinem Marterle einen kleinen Kranz niederlegen und an den feigen Mord an diesem einfachen Hirten vor 83 Jahren erinnern. Er war einer von vielen, die dem faschistischen Terror zum Opfer fielen. In einer kurzen Gedenkrede wird Buchautor Günther Rauch an diese unselige Zeit erinnern.
Im Sterberegister der Pfarre Unser Frau in Schnals findet sich zum 21. Juli 1942 folgender Vermerk zum Tod eines Mannes namens Johann Spechtenhauser aus Unser Frau:
Er wurde von einem 18jährigen Grenzmilizler ohne Grund erschossen.
Aber die Zahl derer, die von diesem Ereignis Im Pfossental bei Mitterkas noch wissen, wird immer kleiner. Die Suche nach dokumentarischen Nachweisen des Vorfalls hat eigentlich gar nie begonnen und jedenfalls bis heute kaum Erfolg gehabt. Trotzdem, die Geschichte, die sich vor genau 83 Jahren zugetragen hat, verdient es, dem Dunkel des Vergessens entrissen zu werden, denn es handelt sich offensichtlich um die Geschichte eines Unrechts. Eines Unrechts, das sich in der Einsamkeit eines Gebirgstales zugetragen hat. Ist der Verdacht begründet, dass es aus der Anmaßung, aus der Willkür menschenverachtender Gewaltausübung geschehen ist, zu der das faschistische Italien seine Exekutive ermächtigt hat?
Es ist der 21. Juli 1942, als der 72-jährige Johann Spechtenhauser, im Tal Jochenweber Hans genannt, von der Alm Mitterkas im Pfossental aufbricht, um die im Almgebiet weidenden Schafe zu „salzen“. Irgendwo oberhalb von Mitterkas auf etwa 2300 m Höhe zerreißt ein Schuss das trügerische Bild des Friedens mit den blühenden Almböden und den darauf weidenden Schafen. Ein Schuss, der nicht aus einem Jagdgewehr stammt.
Ob Johann Spechtenhauser jemals eine Bekanntschaft mit den politischen Ereignissen in der Welt gemacht hatte? Ja, vielleicht, drei Jahre zuvor, 1939, als man sich entscheiden musste zu bleiben oder zu gehen, wie es das Aussiedlungsabkommen für die Südtiroler Bevölkerung wollte, das Hitler und Mussolini vereinbart haben. Als ihn die Schüsse treffen, macht der Hirte, ohne es zu begreifen, die Bekanntschaft mit dem Faschismus, mit dem in der Welt tobenden Krieg, mit der Vernichtung des Respekts vor dem Leben, mit entmenschlichten Milizen, denen das politische System den Freibrief zum Töten gibt, mit der aus dem Wahn nationalistischer Anmaßung erwachsenen Lust an der Zerstörung all dessen, was nicht italienisch ist.
Was sich genau zugetragen hat, ist nicht durch Zeugenaussagen belegt. Der Jagdaufseher Alois Kofler († 1958) soll, als er den Schuss gehört hat, nach dem Rechten gesehen haben und dem Sterbenden zu Hilfe geeilt sein. Johann Spechtenhauser war Hirte und besaß keine Waffe.Hat er Anlass gegeben, dass der Grenzmilizler (sie waren laut üblicher Dienstvorschrift sicher mindestens zu zweit) auf ihn geschossen hat? Hat er vielleicht auf den Zuruf in italienischer Sprache, die er sicher nicht beherrschte, nicht geachtet? Oder hat er ihn, schwerhörig, wie er gewesen sein soll, gar nicht gehört? Widersetzlichkeit gegenüber Bewaffneten ist unwahrscheinlich.
Noch lebende Ohrenzeugen der Schüsse, Karl Rainer aus Unserer Frau, der auf der Alm als Hütbub beschäftigt war, und seine Schwestern Josefine und Katharina bestätigen, es habe zwei Schüsse gegeben. Hatte der erste Schuss schlecht getroffen?
Allfällige Zeugen, wie der oben erwähnte Jagdaufseher Alois Kofler, sind nicht mehr am Leben. Das, was in der Erinnerung der Geschwister Rainer und im Gedächtnis der Schnalstaler Bevölkerung bewahrt ist, bestätigt sich als schwerer Verdacht: Es war Mord.
Von einem Prozessverfahren in Bozen, von dem Zeitzeugen im Tal noch wissen, haben sich bisher keine Gerichtsakten gefunden. So gibt es nur den eingangs erwähnten Vermerk im Sterberegister der Pfarre Unser Frau, der ein historisches Dokument ist, – und es gibt ein Sterbebild von der Beerdigung des Hirten, auf dem die Todesumstände im Text vorsichtig verschleiert sind:
„Christliche Erinnerung zum Gebete für die Seele des Jünglings Johann Spechtenhauser, welcher am 25. Juni 1870 in Unserfrau (Schnals) geboren und am 22. Juli3 1942 bei Ausführung seiner treuen Hirtenpflicht plötzlich verschieden ist. Er ruhe in Frieden!“
(Quelle: Georg Mühlberger, Vinschgerwind 13/2012)
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