Von: luk
Bozen – Im Landtag wurden heute Anträge von Grünen und L’Alto Adige nel cuore – Fratelli d’Italia zu Obdachlosigkeit und Gewaltopfer behandelt.
Beschlussantrag Nr. 217/19: Obdachlose: es braucht einen Plan zur Unterstützung der Gemeinden und des Ehrenamtes (eingebracht von den Abg. Dello Sbarba, Foppa und Staffler am 19.12.2019). Der Landtag möge die Landesregierung zur Umsetzung folgender Punkte verpflichten: 1. gemeinsam mit den betroffenen Gemeinden und in Zusammenarbeit mit den ehrenamtlichen Organisationen und dem Regierungskommissariat einen nachhaltigen Landesplan zu erstellen, um die Situation der Obdachlosen in Südtirol anzugehen; 2. die nötigen finanziellen und verwaltungstechnischen Ressourcen zur Verfügung zu stellen, um den vereinbarten Plan umzusetzen und den Gemeinden die benötigte Unterstützung zuzusichern, wobei auch angemessene Wege der Finanzierung ausgemacht werden sollen; 3. den Menschen unter die Arme zu greifen, die Obdachlose mit ihrer Freiwilligenarbeit unterstützen, wie etwa im Falle des Gebäudes in der Carducci-Straße in Bozen. Diesen Freiwilligen ist Schutz zu gewähren, sie gehören versichert und sollten, falls sie es beantragen, eine angemessene Weiterbildung erhalten. Für die Freiwilligen sollte langfristig ein geeigneter Ort geschaffen werden, an dem diese zusammenkommen und die Obdachlosen unterstützen können, sei es mit Decken, anderem Material oder bei der Suche nach einem Haus und einer Arbeit. 4. in Zusammenarbeit mit den Gemeinden Programme umzusetzen, um Wohnlösungen für Menschen zu finden, denen zwar ein Schutzstatus zuerkannt wurde, die aber die Aufnahmezentren verlassen müssen, sowie für Menschen, die einer Arbeit nachgehen, jedoch über keine Unterkunft verfügen;5. den Staat und das Regierungskommissariat zu ersuchen, Asylbewerber und Familien, die sich momentan außerhalb der Quote befinden, wieder in die Quote aufzunehmen, damit in niederschwelligen Einrichtungen für Obdachlose und in den von den Gemeinden eingerichteten Unterkünften für den „Kältenotstand“ Plätze freiwerden; 6. den Personen, welche die CAS-Einrichtungen verlassen müssen, in Absprache mit den Gemeinden die Aufnahme in Einrichtungen für Obdachlose zu ermöglichen.
“Wie jeden Winter nimmt die Situation der Obdachlosen, die auf der Straße leben, auch 2019/2020 wieder dramatische Formen an”, erklärte Riccardo Dello Sbarba (Grüne). “In den größeren Ortschaften, allen voran in der Landeshauptstadt Bozen, wo die meisten Obdachlosen anzutreffen sind, ist das Problem besonders ausgeprägt. Jedes Jahr steigt die Zahl der Obdachlosen weiter an. Es handelt sich um Obdachlose, auch einheimischer Herkunft, um Asylbewerber „außerhalb der Quote“, um ehemalige Asylbewerber, denen der Schutzstatus verweigert wurde und die Einspruch eingelegt haben, aber auch um Menschen, denen das Recht auf humanitären Schutz oder auf Asyl zuerkannt wurde, welche die Erstaufnahmezentren jedoch verlassen mussten, um Menschen, die regelmäßig arbeiten oder Ausbildungskurse besuchen, aber keine Wohnung finden (oder bezahlen) können sowie um Menschen mit abgelaufenen Aufenthaltsgenehmigungen, die diese nicht verlängern können, weil sie kein Domizil angeben können. Obwohl das Phänomen, mit einer Verschlimmerung der Lage zur kalten Jahreszeit, inzwischen vorhersehbar ist, wird es noch immer wie ein Notstand behandelt. Die vorhandenen Einrichtungen können diesem noch nicht ganz gerecht werden, wodurch sich Ehrenamtliche und der Privatsektor angehalten sehen, der Situation Abhilfe zu schaffen. Wohnlösungen zu finden und zu verhindern, dass Menschen auf der Straße und unter der Brücke leben müssen, ist in einer Gesellschaft schließlich im Interesse aller.” Ein Domizil sei schließlich die Voraussetzung, um Arbeit zu finden.
Es sei ein delikates Thema, meinte Franz Ploner (Team K), die Obdachlosen seien unsichtbar, aber sie seien in einer Situation, die jeden treffen könne. Oft schämten sie sich, Unterstützung anzunehmen. Daher müsse man das Thema mit der notwendigen Sensibilität angehen. Wohnen sei ein Grundrecht. Dello Sbarba habe eine Reihe von Maßnahmen vorgeschlagen, er selbst würde sich einen Aktionsplan wie in Bayern wünschen.
Brigitte Foppa (Grüne) bezeichnete die Sesshaftigkeit als eine der ältesten Errungenschaft der Menschheit. Daher tue man sich auch oft schwer, mit Obdachlosen zu reden, denn sie seien am weitesten entfernt von den eigenen Lebensgewohnheiten. Man dürfe aber nicht wegschauen, der nächste Winter komme bestimmt.
Sandro Repetto (Demokratische Partei – Bürgerlisten), ehemaliger Sozialstadtrat von Bozen, wies darauf hin, dass dieses Problem immer an die Gemeinden delegiert werde. In Bozen habe das Phänomen dramatisch zugenommen, auch weil das System immer mehr Menschen außen vor lasse. Es gebe auch das neue Phänomen der Beschäftigten ohne Wohnung. Der Antrag enthalte viele intelligente Vorschläge, dazu brauche es vielleicht noch ein “Airbnb der Solidarität”. Jedenfalls dürfe man die Gemeinde nicht alleine lassen.
Es sei in der Regel durchaus eine Aufgabe der Gemeinde, meinte Hanspeter Staffler (Grüne), aber das sei auch eine Frage der Zahl. Kleine Gemeinden könnten das nicht alleine stemmen, während Bozen am Rande seiner Möglichkeiten angelangt sei. Staffler verwies auf Wien, wo das Phänomen gut gehandhabt werde – wobei es immer noch freiwillige Obdachlose gebe. Die Südtiroler Gemeinden bräuchten die Hilfe des Landes, um das Problem bewältigen zu können.
Andreas Leiter Reber (Freiheitliche) meinte, dass sich größere Städte leichter mit einer Lösung täten. Er plädierte dafür, das Phänomen der illegalen Einwanderung nicht mit der Obdachlosigkeit zu vermengen.
Ulli Mair (F) wies darauf hin, dass immer mehr junge Obdachlose gebe, und wollte zwischen der klassischen Obdachlosigkeit und jener der Asylwerber unterscheiden. Für erstere gebe es bereits seit Jahren Lösungsmodelle. Es gebe auch den problematischen Aspekt der illegalen Besetzung von Privatgebäuden.
LR Waltraud Deeg betonte, dass es sehr wohl eine Zusammenarbeit zwischen Land und Gemeinden gebe. Sie habe sich bereits sehr oft mit der Quästur und mit der Gemeinde Bozen getroffen. In den CAS-Strukturen seien derzeit 780 Personen untergebracht, 2017 seien es doppelt so viele gewesen. In der Stadt gebe es rund 240 Obdachlose aus unterschiedlichen Gründen. Dieses Problem werde man nie ganz lösen können, auch weil man nicht die rechtlichen Voraussetzungen habe. Bei den Asylwerbern brauche es z.B. die enge Zusammenarbeit mit EU und Staat. Die Menschen könnten sich im Staatsgebiet frei bewegen, das Land könne daher z.B. keine Einreiseverbot für jene erlassen, die ein CAS in Mailand verlassen müssten. Ein weiteres Phänomen seien abgelehnte Asylwerber aus anderen EU-Staaten. Das sei eine staatliche Angelegenheit, das sei nicht mit einem Landesplan lösbar. Südtirol könne auch nicht alle aufnehmen, die anderswo bereits einen Aufnahmeplatz hätten.
Riccardo Dello Sbarba wies darauf hin, dass noch 80 Personen auf einen Schlafplatz warteten. Die Landesrätin könne die Unberechtigten nicht einfach einpacken und verschicken, irgendwas müsse man tun. Wenigstens sollte man aufhören, die Plätze unter den Brücken zu räumen. Es gebe Leute, die auf der Straße übernachten müssten, und darauf könne man nicht Jahr für Jahr mit Notmaßnahmen reagieren. Eine öffentliche Waschgelegenheit in der Industriezone sei auch keine Lösung für Menschen, die sich hauptsächlich im Zentrum aufhielten.
Der Antrag wurde in mehreren Abstimmungen zu den einzelnen Punkten mehrheitlich abgelehnt.
Beschlussantrag Nr. 150/19: Den Opfern von Gewalt vorbehaltener Zugang zur Notaufnahme (eingebracht vom Abg. Urzì am 23.08.2019). Der Landtag möge die Landesregierung verpflichten, die Schaffung von eigens vorbehaltenen und geschützten Zugängen zu den Notaufnahmen der Krankenhäuser Südtirols für alle Opfer von Gewalt vorzusehen, wobei besonderes Augenmerk den Schwächeren unter ihnen, wie Kindern, Frauen, älteren Menschen und Opfern von Diskriminierung, gelten soll.
“Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist weltweit ca. ein Drittel aller Frauen Opfer von körperlichen und sexuellen Misshandlungen und in der Folge von gewaltbedingten psychischen und physischen Erkrankungen betroffen”, erklärte Alessandro Urzì (L’Alto Adige nel cuore – Fratelli d’Italia). “Die Zahl der Fälle von Verbrechen gegen Minderjährige sowie von Misshandlungen und Gewaltanwendung nimmt exponentiell zu, wobei die Dunkelziffer noch viel höher ist. Laut Schätzungen des Forschungsinstituts CENSIS (Centro Studi Investimenti Sociali) erfahren ungefähr zwei von Tausend Kindern durchschnittlich ein Mal im Jahr physische oder sexuelle Gewalt. Es ist dringend anzustreben, einen den Gewaltopfern vorbehaltenen und geeigneten Zugang zur Notaufnahme zu schaffen, um ihnen eine angemessene medizinische und psychologische Versorgung zu gewährleisten. Besonderes Augenmerk soll dabei den Schwächeren unter ihnen gelten, nämlich Kindern, Frauen, älteren Menschen und Opfern von Diskriminierung. Dabei handelt es sich um ein vordringliches Ziel im Sinne einer adäquaten medizinischen und psychologischen Betreuung. Diese Zugangsmöglichkeit sollte für alle Bereiche der Gesundheitsdienste gelten – sowohl für die Notaufnahme als auch für ambulante Behandlungen oder Krankenhausaufenthalte im Allgemeinen – sowie mit entsprechenden Schritten der Benachrichtigung der zuständigen Stellen und der Einleitung aller weiteren Maßnahmen bei den Diensten der verschiedenen Bezirke verbunden sein. Um all dies zu ermöglichen, muss in der Notaufnahme ein entsprechendes Team in Form einer multidisziplinären Task Force aus Krankenpflegern, Psychologen, Sozialassistenten und Ordnungskräften zur Verfügung stehen.”
Franz Ploner (Team K) bestätigte die Zunahme des Phänomens. Ärzte würden die Auswirkungen der Gewalt oft als erste zu Gesicht bekommen, das ermögliche einen raschen und diskreten Zugang. Es brauche aber keinen eigenen Zugang. Entscheidend sei die geeignete Ausbildung des Personals, um auf solche Fälle angemessen reagieren zu können.
Andreas Leiter Reber (Freiheitliche) sah die Aufgabe ebenfalls in der entsprechenden Schulung des Personals. Einen separaten Zugang in der Notaufnahme könne er sich kaum vorstellen. Er könne sich auch nicht vorstellen, dass ein Vergewaltigungsopfer derzeit in der Notaufnahme lange warten müsse.
Ulli Mair (Freiheitliche) wies darauf hin, dass nicht jedes Gewaltopfer ein Fall für die Notaufnahme sei, etwa Opfer von Handtaschenraub. Wenn eine Gewaltopfer in die Notaufnahme komme, treffe es bereits auf ein geschultes Netzwerk, zu dem auch die Polizei gehöre.
LR Thomas Widmann verwies auf einen Maßnahmenkatalog, der von einem Staatsdekret für Gewaltfälle vorgesehen sei und der in Südtirol auch rigoros eingehalten werde. Am Bozner Krankenhaus gebe es z.B. das Projekt “Erika”, das Gewaltopfer begleite und das sehr gut funktioniere.
Alessandro Urzì kündigte einen Änderungsantrag an und bat um Vertagung. Er wies darauf hin, dass Gewaltopfer nicht immer als solche erkennbar seien. Und es seien auch Situationen, die nicht unbedingt in das Schema des genannten Dekrets passten, und die oft mehr bräuchten als eine rein medizinische Behandlung oder eine polizeiliche Begleitung.
Die Sitzung wird am Nachmittag wieder aufgenommen.