Von: ka
Brüssel/London/Bozen – Am letzten Tag der britischen EU-Mitgliedschaft wollte selbst bei den Brexitern keine Feierlaune aufkommen. Nach fast 50 Jahren „Ehe“ Großbritanniens mit dem EU-Festland herrschte auf beiden Seiten des Ärmelkanals vielmehr so etwas wie Trauer, Wehmut und Ungewissheit.
Auf der Insel wissen die Menschen längst, dass die einfache Rechnung der Brexiters, den EU-Beitrag in die Taschen der Briten zu lenken, Humbug ist. Die Umstellungskosten und wirtschaftlichen Nachteile, nicht mehr zu einer Gemeinschaft und ihrem riesigen Markt zu gehören, übertreffen diese vernachlässigbare Summe bei Weitem. Zudem stehen mit Nordirland und Schottland dem Land noch die schlimmsten Zerreißproben bevor.
Nicht weniger groß ist die Trauer auf dem Festland. Mit Großbritannien verliert die Europäische Union ein starkes, liberales Land, das mit seinen Ideen oft auch Impulsgeber für die anderen Mitglieder gewesen ist und selbst mit seiner Kritik oft dafür gesorgt hat, die Gemeinschaft weiterzubringen und politisch in die richtige Richtung zu lenken. Diese Ideen werden in Zukunft leider vermisst werden. Die verwaisten EU-Mitglieder – allen voran Frankreich und Deutschland – müssen sich hingegen fragen, warum nach Jahren von Mitgliederzuwächsen sich ein Land dazu entschlossen hat, die Scheidung einzureichen.
Der Verlust birgt aber auch die Chance zu Veränderung. Nun, da um den Weggang der Insel Klarheit herrscht, können die Übriggebliebenen endlich notwendige Reformen anstreben. Unter anderem könnte man die Staatengemeinschaft vertiefen und gleichzeitig mit Elementen der Bürgerbeteiligung nach unten verbreitern. Dies – so die Hoffnung – könnte bei den Bürgern dazu beitragen, die Angst vor einem fernen Moloch, der tief in das eigene Leben eingreift, zu nehmen. Die Verbindung mit der Insel soll wie bei jeder „guten“ Scheidung eng bleiben, wobei aber klar sein muss, dass eine Staatengemeinschaft einem Nichtmitglied nicht den gleichen Status eines Mitglieds zubilligen kann.
Die Tür soll aber immer offenstehen. Zuerst muss die EU aber wieder für alle Mitglieder – gleich ob Staaten oder Menschen – attraktiver, wenn nicht gar „sexy“ werden und Großbritannien vielleicht die Erfahrung machen, dass das Singledasein in einer Welt voller Staatenblöcke mehr Schattenseiten als das Eheleben in einer Gemeinschaft aufwirft. Morgen, wenn beide Seiten durch ein Stahlbad gegangen sind, kehrt die verlorene Tochter Britannien vielleicht wieder in den Schoß der europäischen Familie zurück.