Von: ka
Bozen/Kasan – Nichts zog bei der WM die Aufmerksamkeit der weltweiten Öffentlichkeit so sehr in den Bann, wie das katastrophale 0:2-Vorrundenaus der „Mannschaft“ gegen die vermeintlich schwache Elf aus Südkorea.
Dabei sah es für die Deutschen vor gerade mal zehn Tagen noch so gut aus. Nachdem sich die Mannen von Jogi Löw in Girlan mit großzügiger Unterstützung der Südtiroler Steuerzahler hinter verschlossener Tür professionell vorbereitet hatten, reisten sie mit stolzgeschwellter Brust und der Attitüde des Titelverteidigers gen Russland. Aber nach drei Spielen, in denen „die Mannschaft“ eher einem Haufen stolzer “Gigger” glich, flogen die Deutschen hochkantig aus dem Bewerb, was historisch eine bisher noch nie dagewesene Niederlage bedeutete.
Schon nach dem ersten koreanischen Tor flossen bei den Fans viele Tränen der Verzweiflung. Der Schlusspfiff machte das Desaster dann komplett. Dabei wäre der deutsche Traum, den brasilianischen Titel in Russland zu verteidigen, so schön gewesen. Damals, vor vier Jahren, war die Welt für Deutschland noch in Ordnung. Langzeitchefin Angela Merkel befand sich auf dem Zenit ihrer Macht. Streng diktierte sie den anderen Europäern die Regeln, wobei sie kriselnden EU-Mitgliedern rücksichtslos und, so viele Kritiker, herzlos schwer verdauliche Sparpakete auferlegte. Zugleich verkehrte die Bundeskanzlerin mit den Großen der Welt wie Obama auf Augenhöhe. Damals wurde „die Mannschaft“, die den Weltmeisterpokal in den brasilianischen Sommerhimmel hob, zum Symbol deutscher Macht und Stärke.
Vier Jahre und eine Flüchtlingskrise später kämpft Merkel im Herbst ihrer Kanzlerschaft um ihr politisches Überleben. Während ihr in Deutschland selbst immer größerer Widerstand entgegen schlägt, formiert sich in der EU längst eine Reihe von Staaten, die von „Merkels Europa“ und einem von Deutschland beherrschten Kontinent genug haben. Während Orban, Kurz und Salvini ganz ohne die Kanzlerin Fakten schaffen, behandelt der neue US-Präsident Trump Angela Merkel wie die Repräsentantin eines mit Strafzöllen zur Räson gebrachten Schurkenstaats.
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Im Fußball ein ähnliches Bild. Nach dem historischen Vorrunden-Ko liegen die ehemals stolzen deutschen Kicker traurig auf dem russischen Rasen. Wahrlich, in keinem anderen Land ist die Fußballnationalmannschaft so sehr Thermometer der Nation wie in Deutschland. Als sie 1954 Weltmeister wurden, stand der Titel für das Wirtschaftswunder, 1990 für die lang ersehnte Wiedervereinigung und 2014 für den Zenit deutscher Macht in Europa. In diesem Sinne steht das größte Debakel der deutschen Fußballgeschichte für ein durch die Flüchtlingskrise verunsichertes und gespaltenes Land, das in der EU heute nur mehr ein Akteur unter vielen ist.
Aber jede Niederlage birgt in sich die Chance zum Neubeginn.