Studie beleuchtet Geschichte prähistorischer alpiner Gruppen in italienischen Ostalpen

Ötzis Genen auf der Spur

Mittwoch, 10. September 2025 | 13:00 Uhr

Von: mk

Bozen/Trient – Das Institut für Mumienforschung von Eurac Research hat in Zusammenarbeit mit den Universitäten Trient und Uppsala das Genom von 47 prähistorischen Individuen aus 17 archäologischen Fundstätten in Trentino-Südtirol analysiert. Die in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlichte Studie schließt eine wichtige Lücke in der genetischen Geschichte prähistorischer Individuen aus diesem strategisch gelegenen geografischen Gebiet, das eine kulturelle Brücke zwischen den Bevölkerungsgruppen des Mittelmeerraums und denen der Nordalpen darstellt, und in dem das kupferzeitliche Individuum (vor 5.400 – 5.100 Jahren), bekannt als Mann aus dem Eis oder Ötzi, gefunden wurde.

Im Projekt PrehistoricAlps hat das Forschungsteam unter der Leitung der Populationsgenetikerin Valentina Coia von Eurac Research Skelettreste gesammelt und in den Labors des Instituts für Mumienforschung in Bozen unter anthropologischen und paläogenetischen Gesichtspunkten analysiert. Finanziert wurde das Projekt von der Autonomen Provinz Bozen; das Team arbeitete auch mit lokalen Partnern und den Landesämtern der Autonomen Provinzen Bozen und Trient zusammen. Mithilfe von bioinformatischen und statistischen Analysen wurden die genomischen Daten mit den bereits in der Literatur verfügbaren Daten von mehr als 1.300 antiken und 1.000 modernen Individuen aus Westeurasien verglichen.

Ziel der Studie war es, die Veränderungen in der genomischen Struktur der alpinen Gruppen im Laufe der Zeit zu analysieren, vom Mesolithikum (vor ca. 8.000 Jahren) bis zur mittleren Bronzezeit (vor ca. 3.500 Jahren), und zu untersuchen, wie die großen Migrationen, die in Westeurasien stattfanden, die Genetik dieser Gruppen beeinflussten. Ein weiteres Ziel war es, die genetischen Erkenntnisse zum Mann aus dem Eis mit denen der neu untersuchten Individuen zu vergleichen und so diesen Fund in einen größeren Zusammenhang zu stellen.

Die Studie zeigte, dass das älteste analysierte Individuum – ein Jäger und Sammler aus dem späten Mesolithikum – einen hohen Anteil (rund 84 Prozent) an genetischer Abstammung von westlichen Jäger- und Sammlergesellschaften aufweist, aber auch einen Anteil (rund 16 Prozent) von östlichen Jägern und Sammlern aus Russland. Dies weist auf eine Vermischung zwischen den beiden Jäger- und Sammlergruppen hin, die schätzungsweise vor 15.700 bis 10.300 Jahren stattfand. Die untersuchte Probe aus dem alpinen Mesolithikum ist sehr wertvoll. Denn neben einigen Individuen aus Sizilien ist es eines der wenigen spätmesolithischen Individuen aus Italien und Südeuropa, das genomisch analysiert wurde.

Im Gegensatz dazu weisen alpine Individuen, die während des Mittelneolithikums (vor ca. 6.600-6.300 Jahren) lebten und Landwirtschaft betrieben, einen hohen Prozentsatz an genetischer Abstammung (ca. 87 Prozent) von frühen Bauerngesellschaften aus Anatolien auf und nur einen geringen genetischen Anteil von mesolithischen Jäger- und Sammlergesellschaften. Darüber hinaus, so Valentina Coia, lege die Studie nahe, „dass es sowohl entlang der Route, der die bäuerlich geprägten Gruppen folgten, bevor sie die Alpen erreichten, als auch vor Ort zu Vermischungen zwischen zugewanderten Bauern- und den Jägergemeinschaften kam“. Die Ergebnisse der Studie deuten auch darauf hin, dass der genetische Austausch zwischen prähistorischen alpinen Gruppen und anderen Populationen trotz der Kontakte mit noch weiter entfernten Kulturen lange Zeit gering war. Das ist wahrscheinlich auf die Isolation der alpinen Gruppen im Vergleich zu anderen europäischen Gebieten zurückzuführen. Die Studie zeigt daher eine genetische Kontinuität vom mittleren Neolithikum bis zur mittleren Bronzezeit.

Darüber hinaus zeigen die Ergebnisse, dass der Mann aus dem Eis auf genomischer Ebene nicht nur den anderen analysierten kupferzeitlichen Individuen in den Alpen sehr ähnlich ist, sondern auch Individuen aus anderen Epochen. Dennoch sind sowohl die väterliche genetische Linie – das Y-Chromosom, das vom Vater vererbt wird – als auch die mütterliche genetische Linie – die mitochondriale DNA, die von der Mutter vererbt wird – des Mannes aus dem Eis in keiner anderen analysierten alpinen Probe zu finden, was Fragen über seine genetische Herkunft und kulturelle Zugehörigkeit offen lässt.

Die Studie trägt außerdem zum Verständnis eines Phänomens in Europa bei: die Migration von Hirtengruppen aus den eurasischen Steppen, die vor etwa 5.000 Jahren begann und die genetische „Steppen“-Komponente verbreitete. „Unsere Analysen ergeben, dass diese Migrationen die alpinen Gruppen nur sehr begrenzt genetisch beeinflussten“, erklärt Coia. „Dennoch zeigen unsere Ergebnisse, dass die genetische Komponente der ‚Steppe‘ im Gebiet der Ostalpen früher auftrat als in anderen Gebieten Norditaliens, was ein wichtiger Beitrag zum Verständnis dieses komplexen Phänomens in Südeuropa ist.“

Das Forschungsteam hat auch enge biologische Verwandtschaftsbeziehungen (Eltern – Kinder, Geschwister oder Cousins) zwischen Individuen festgestellt, die an der gleichen archäologischen Stätte bestattet wurden. So wurden in der neolithischen Grabstätte La Vela im Trentino zwei Einzelgräber in Steineinfassungen gefunden, in denen ein Jugendlicher und ein Mädchen bestattet waren, die sich als Geschwister entpuppten.

Weitere Informationen unter: https://www.nature.com/articles/s41467-025-61601-8

Bezirk: Bozen

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