Anselm Kiefer und Wim Wenders auf dem Roten Teppich in Berlin

“Anselm – Das Rauschen der Zeit”: Wenders umkreist Kiefer

Freitag, 20. Oktober 2023 | 10:16 Uhr

Einer der bedeutendsten deutschen Regisseure umkreist einen der bedeutendsten deutschen Künstler: Wim Wenders hat sich mit “Anselm – Das Rauschen der Zeit” Anselm Kiefer genähert – respektive dessen Philosophie. Denn der 78-jährige Filmemacher erzählt in seinem Dokumentaressay nicht schnöde die Vita des ebenfalls 78-jährigen Malers nach, sondern hat über zwei Jahre hinweg ein eigenständige Kunstwerk in vielgestaltiger Form geschaffen. Ab Freitag im Kino.

Am Anfang stehen Kiefers Skulpturen, die in der Weite seines 40 Hektar umfassenden Ateliergeländes im südfranzösischen Barjac stehen. Die Kamera umkreist die kopflosen Kleider, Hybride aus Technik und Archaik, im Außenbereich und schließlich im Inneren der weitläufigen Anlage. Und die Kunst, die Wenders gleichsam umkreist, bleibt auch im Weiteren das Gerüst des Films.

Kiefers Arbeiten sind so riesig, dass sein Atelier eher einer gigantischen Lagerhalle gleicht, durch die der Endsiebziger mit dem Fahrrad fahren muss. Es ist eine übermenschliche Kunst im Sinne einer überdimensionierten Szenerie, die den Menschen zur Ameise degradiert. Kiefer wird gezeigt, wie er den gigantischen Formaten mit dem Flammenwerfer zu Leibe rückt, diese löscht, nächtens mit Gewalt bearbeitet.

Und dennoch belässt es Wenders bei dem wie schon “Pina” in 3D gedrehten Film nicht bei der reinen Kunstnabelschau. “Das Rauschen der Zeit” ist ein überbordendes Potpourri aus dokumentarischen Aufnahmen der Jetztzeit, Spielszenen der Vergangenheit mit Kiefers Sohn als sein Alter Ego, Collagen aus alten Aufnahmen und opernhaft inszenierter Installationen der Kiefer-Kunst mit monumentaler Musik, der wie stets bei Wenders eine narrative Funktion zukommt. Gemälde werden mit Videoaufnahmen quergeschnitten, für Kiefers Weltsicht zentrale Literaten wie Ingeborg Bachmann rezitieren selbst ihre Werke.

Vor allem hier wird die zutiefst in der Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit verhaftete Arbeit Kiefers deutlich, wenn Paul Celans selbst eingesprochene “Todesfuge” zu hören ist oder auf die innere Auseinandersetzung mit Martin Heidegger reflektiert wird. Das Schweigen der Nachkriegsgesellschaft über die Verbrechen, die Abarbeitung an den deutschen Mythen waren und sind für Kiefer die zentralen Triebkräfte. Überraschend ist für den Zuschauer dabei, wie – bei allem Anspruch und aller Bedeutung in der Vergangenheit – eben just dieser Fokus im Jahr 2023 erschreckend obsolet wirkt. Das Rauschen scheint mittlerweile ein wenig aus der Zeit gefallen.

Wer bei all dem tatsächlich kaum zu Wort kommt, ist Anselm Kiefer selbst. Lange ist der Deutsche nur durch gemurmelte Gedichtrezitationen, kaum vernehmbare Laute akustisch präsent. Erst spät und auch dann nur mit einzelnen Sätzen wie “Ich fühle mich überhaupt nicht angekommen” werden reduzierte Interviewpassagen des niemals lächelnden Künstlers eingestreut.

(S E R V I C E – https://polyfilm.at/film/anselm)

Von: apa