Sandra Hüller hat die Chance auf einen Oscar

Oscar-Kandidatin Sandra Hüller auf Erfolgskurs

Sonntag, 10. März 2024 | 15:44 Uhr

Falls ihre Schauspielkarriere den Bach hinuntergehen sollte, habe sie immer noch ihren Gabelstapler-Führerschein: Mit der für sie typischen Selbstironie hat Sandra Hüller einmal gegenüber dem “Hollywood Reporter” ihre ungewöhnliche Zusatzqualifikation erwähnt. Doch nach dem jüngsten Preisregen braucht sie vorerst wohl nicht darauf zurückzugreifen. Die 45-jährige Deutsche könnte ihre Erfolgsserie in der Nacht auf Montag mit einen Oscar als beste Hauptdarstellerin krönen.

Der französische Film “Anatomie eines Falles” mit Hüller in der Hauptrolle tritt bei den Oscars gleich in fünf Kategorien an. Auch der britische Film “The Zone of Interest”, in dem sie ebenfalls eine der Hauptrollen spielt, ist mehrfach nominiert. Hüller spielt darin eine ihrer heikelsten Rollen, die der Ehefrau des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß.

“Ich sage nie, dass ein Film, in dem ich mitspiele, wichtig ist. Aber in dem Fall ist es so”, sagte Hüller der Nachrichtenagentur AFP. “Es ist wichtig zu zeigen, dass die extreme Rechte, die faschistisch ist, in jedem Fall zu Gewalt führt”, erklärte sie. Der Film zeichne kein Porträt, sondern zeige einen Mechanismus.

Hüller ist sich bewusst, dass sie gerade als Deutsche in dieser Rolle Aufsehen erregt. Sie habe mit ihrer Zusage lange gezögert. Ihre Entscheidung für die Filmrolle erklärte sie in einem “FAZ”-Interview so: “Ich hatte das Gefühl, den Opfern zu dienen, nicht Höß.”

Seit ihre beiden jüngsten Filme im vergangenen Mai in Cannes gezeigt wurden, ist Hüller international auf Erfolgskurs. Dass das US-Branchenblatt “Hollywood Reporter” einer deutschen Schauspielerin seine Titelgeschichte widmete, war lange nicht mehr vorgekommen.

In Cannes war bereits vom “Hüller-Effekt” die Rede, als “Anatomie eines Falles” und “The Zone of Interest” zu den Siegerfilmen zählten. Es folgten für Hüller der Europäische Filmpreis, der Preis der US-Filmkritiker, der französische César. Bei den britischen Bafta-Filmpreisen und den Golden Globes war Hüller immerhin als beste Schauspielerin nominiert.

In “Anatomie eines Falls” spielt Hüller eine deutsche Schriftstellerin, die mit Mann und Kind in den französischen Alpen lebt. Als ihr Mann tot im Schnee aufgefunden wird, wird sie zur Hauptverdächtigen. Die französische Regisseurin Justine Triet hat Hüller die Rolle nach eigener Aussage auf den Leib geschrieben.

Hüller verkörpere “eine Frau, die zu ihrer Freiheit, zu ihrer Sexualität und zu ihren Entscheidungen steht”, so beschrieb die Filmemacherin ihre Hauptfigur. “Sie wirkt stark und genau das macht sie verdächtig”, erklärte sie in Cannes. Es sei zu merken, dass Hüller vom Theater komme. “Sie ist eine Schauspielerin, die sich sehr mit ihrer Rolle auseinandersetzt.”

Auch der Theaterregisseur Johan Simons, mit dem Hüller an den Münchener Kammerspielen und am Schauspielhaus Bochum zusammenarbeitete, bescheinigt ihr “Autarkie”. Sie liebe es, “Eigenverantwortung für eine Figur zu übernehmen”.

Hüller selbst sagt, dass sie keine einfachen Rollen mag. Die Schauspielerei bezeichnete sie einmal als einen “Empathieberuf, ein Nachdenken-über-andere-Beruf”. “Je mehr ich über unterschiedlichste Arten von Menschen herausfinde, desto größer wird meine Möglichkeit, sie alle zu akzeptieren, wie sie sind”, sagte sie dem “SZ-Magazin”.

Hüller machte ihre Ausbildung an der renommierten Schauspielschule Ernst Busch in Berlin und wurde schon 2003 zur “Nachwuchsschauspielerin des Jahres” gekürt – unter anderem für ihre Rolle einer geistig behinderten jungen Frau, die ihre Freude an der Sexualität entdeckt.

Auch in ihrem ersten Kinofilm “Requiem” spielte sie eine junge Frau mit Behinderung, in diesem Fall eine Epileptikerin, die Opfer einer Teufelsaustreibung wird. Doch Hüller wollte sich nicht auf Opferrollen festlegen lassen. Ihren Durchbruch hatte sie dann mit dem Film “Toni Erdmann”, in dem sie unter anderem mit einer urkomischen Nacktszene von sich reden machte.

“Wenn mir heute Leute sagen, ‘Toni Erdmann’ war ein toller Film, denke ich schon ganz kurz, die wissen alle, wie ich da nackt ausgesehen habe”, sagte sie später. “Leicht gefallen ist mir das nicht, aber wenn ich auf dem Zehn-Meter-Brett stehe, springe ich auch.”

“Mut zur Hässlichkeit” bescheinigte ihr “The Hollywood Reporter”, der diesen Ausdruck sogar auf deutsch erwähnt. Hüller selbst stört das nicht. “Schön findet man sich selten, wenn man spielt”, räumt sie freimütig ein. Ob schön oder nicht, Hüller macht auf der Leinwand mächtig Eindruck.

Von: APA/AFP