Holland blickt kritisch auf die europäische Migrationsdebatte

Regisseurin Holland: “Habe ein moralisches Vakuum gespürt”

Freitag, 26. Januar 2024 | 10:24 Uhr

Polens Regiedoyenne Agnieszka Holland legt mit “Green Border” ihren wohl politischsten Film vor. Darin thematisiert die 75-Jährige die Lage der Migranten an Europas Außengrenze. Von der damaligen rechtspopulistischen PiS-Regierung wurde die Filmemacherin dafür vehement attackiert. Beim Europäischen Filmpreis in Berlin sprach Holland im Dezember mit Medien über das moralische Vakuum Europas, politische Kunstkritik und ihre Überraschung angesichts der Reaktionen auf ihren Film.

Frage: Die Reaktionen der PiS-Regierung auf Ihren Film waren massiv, hat Ihnen doch der damalige Justizminister Zbigniew Ziobro Nazimethoden vorgeworfen. Hatten Sie mit dieser vehementen Reaktion gerechnet?

Agnieszka Holland: Ich habe natürlich eine harsche Reaktion vonseiten der Regierung erwartet – aber nicht, dass sie so massiv ausfallen würde. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass mein Film die höchsten Autoritäten des Landes beschäftigen würde. Das war beispiellos. Sehen wir’s positiv: Es hat dem Film in Polen Aufmerksamkeit verschafft.

Frage: Glauben Sie auch, dass sein Einfluss so stark war, dass das Wahlergebnis beeinflusst wurde?

Holland: Das lässt sich natürlich nicht mit sicheren Zahlen belegen, aber ich glaube ja. “Green Border” hat eine moralische Bewegung gestärkt, weil Themen behandelt wurden, die von der Propaganda völlig vernachlässigt wurden. Und ich wollte auch, dass der Film in Polen vor den Wahlen anläuft, weil klar war, dass die PiS-Regierung das Migrationsthema für den Wahlkampf verwenden würde – wie viele autoritäre Regime. Die Opposition ist dem sehr hilflos gegenüber gestanden oder hat dieselbe Narration mit hübscheren Worten erzählt. Ich habe da ein moralisches Vakuum gespürt – und das konnte der Film mit einer humanistischen Perspektive füllen.

Frage: War die Lage in Polen für Sie während der Filmpremiere beängstigend?

Holland: Ich war ein wenig nervös, besonders wegen der Menschen in meinem Umfeld. Wir haben Drohungen erhalten, und man weiß nie, ob ein gestörter Mensch die Botschaften der Regierung in seinem Sinne liest und in eine Tat umsetzen möchte. Ich hatte deshalb zur Premiere in Polen Bodyguards.

Frage: Wird das Kino allgemein wieder politischer?

Holland: Man kann immer die Frage stellen, was die Rolle von Kunst in der Gesellschaft ist – und das war eigentlich immer eine kritische. Eventuell war die Kunst nicht kritisch genug in den vergangenen Jahren. Es gab mit den Brüdern Dardenne und Ken Loach eigentlich nur drei Filmemacher, die über Jahre hinweg dezidiert politische Filme gemacht haben. Nun gibt es eine neue Generation, die ihre Sicht einbringt. Die Politik ist angstgetrieben – und die Menschen sprechen darauf an. Ich kann aber natürlich nur Dinge aufzeigen als Filmemacherin, aber ich habe nicht die Lösungen.

Frage: Wird es deshalb schwieriger, sich als Filmschaffender kritisch zu positionieren?

Holland: Wenn es um etwas Wichtiges ging, war es immer schwierig. Man hatte halt in Polen die Wahl zwischen liberaler Rechter und nicht-liberaler Besondersrechter. Wenn man die liberale Rechte kritisiert, hat man immer das Gefühl, dass das um die Ecke liegende ja noch viel schlimmer ist… Man muss sich zwingen, nicht in diesen Kategorien zu denken.

Frage: Wird sich unter der neuen Tusk-Regierung die Debatte um Migration in Polen ändern?

Holland: Die Atmosphäre wird sich ändern, und zumindest werden wohl die Helfer nicht kriminalisiert. Aber die generelle politische Linie wird gleich bleiben – das gilt für die gesamte Europäische Union. Letztlich versteckt man sich, duckt sich weg und möchte die Realität nicht sehen.

Von: apa