Von: apa
Eine zufällige Begegnung entwickelt in Ina Weisses Spielfilm “Zikaden” große Wirkung: Die deutsche Regisseurin lässt in ihrer Arbeit, die heuer im Rahmen der Berlinale Weltpremiere feierte, zwei ungleiche Frauen aufeinander treffen, die mehr eint, als es zunächst den Anschein hat. Ein leiser Film über allgemeingültige Themen. Mit der APA sprach Weisse vor dem Kinostart am 11. Juli über die Entstehung von “Zikaden”, die Suche nach Balance und künftige Vorhaben.
Suche nach einer offeneren Arbeitsweise
APA: Sie erzählen in “Zikaden” von zwei sehr unterschiedlichen Frauen, die sich sukzessive näherkommen. Was war für Sie der Ausgangspunkt dieser Geschichte?
Ina Weisse: Es ist immer schwer zu sagen, wo der genaue Beginn einer Geschichte war. Manchmal kommen zwei Gedanken zusammen und kreuzen sich, dadurch wird es interessant. Hier begann es mit dem Kind. Das Mädchen habe ich für ein anderes Projekt seit es zwei Jahre alt ist mit der Kamera begleitet. Dann habe ich eine Mutter gesucht, das wurde Saskia Rosendahl. Danach kam Judith Kaufmann als Kamerafrau hinzu. Und dann wollte ich unbedingt wieder mit Nina Hoss arbeiten, mit der ich “Das Vorspiel” gedreht habe.
Ich dachte dann, es wäre interessant, von zwei Frauen aus ganz unterschiedlichen Milieus zu erzählen. Schicht um Schicht hat sich die Geschichte entwickelt. Ich habe die Rollen auf Nina und Saskia hingeschrieben, und sie haben auch die verschiedenen Fassungen zwischendurch gelesen. Wir haben uns aneinander gewöhnt, sie hatten Vertrauen. Das Zusammenspiel war schön. Es gab also nicht nur die Einsamkeit am Schreibtisch. Ich hatte nach einer offeneren Arbeitsweise gesucht.
APA: Stichwort Einsamkeit: Beide Frauen scheinen diese zu empfinden und sind dadurch gewissermaßen verbunden…
Weisse: Das sehe ich ganz ähnlich. Obwohl beide aus unterschiedlichen Milieus kommen – da stellt sich ja die Frage: Ist eine Freundschaft überhaupt möglich? -, haben sie trotzdem eine große Verbindung zueinander. Beide kümmern sich. Die eine um ihr Kind, das sie alleine versucht großzuziehen. Die andere um ihre Eltern, um die Beziehung mit ihrem Mann, die schwierig ist und um ihren Beruf. Aber beide suchen ihren Platz im Leben, weil sie ein wenig isoliert sind. Da finden sie sich auch. Sie haben eine Sensibilität miteinander, sie erkennen sich. Und zwar über alle sozialen Grenzen hinweg.
Wie man beide wahrnimmt und bewertet, hängt mit der Interpretation der Zuschauenden zusammen. Ich mag Filme, in denen die Imagination aktiviert wird und die Freiheit, die eigene Fantasie einzubringen. Ich glaube, man kann viel voraussetzen. Man muss nicht alles erklären.
“Struktur, die mich selbst überrascht”
APA: Thematisch greifen Sie viel auf: prekäre Arbeitsverhältnisse, die Situation Alleinerziehender, Care- und Pflegearbeit, aber natürlich auch den Wunsch nach einem erfüllten Leben. All das macht “Zikaden” sehr politisch. Wie stellen Sie denn als Filmemacherin sicher, dass Sie dafür die richtige Balance finden?
Weisse: Es sind die Themen, die die beiden Frauen in diesen verschiedenen Generationen bewegen. Das Komplizierte ist: Was spricht man aus, was nicht? Wann sagt man die Dinge, die man sich wirklich sagen will? Und wann gibt es einen Unterschied zwischen dem, was eine Figur fühlt und dem, was sie versucht zu tun? Wie setzt man diese Psychologie in Verhalten um? Das ist die Balance in dem Drehbuch. Immer wieder habe ich mich an bestimmten Stellen gefragt: Muss man das jetzt benennen? Liegt das nicht darunter? Versteht man das nicht auch so? Diese Balance zu finden, dauert und hängt letztlich mit dem eigenen Empfinden zusammen. Ich wollte eine Struktur bauen, die mich selbst überrascht. Ich wollte beim Schreiben selbst eine Freude haben, wenn die Dinge passieren.
APA: Die Eltern im Film werden von Ihren eigenen Eltern gespielt. Daher die vielleicht nachvollziehbare Frage: Wie stark ist der Film autobiografisch geprägt?
Weisse: Ich habe erst mal nur mein eigenes Material, wenn ich anfange zu arbeiten. Ich kann nur von meinen eigenen Erfahrungen ausgehen. Sonst sind die Figuren Fremde, und ich weiß nicht, ob sie glaubhaft sind. Aber dann entfernen sie sich in die ausgedachte Geschichte. Manche haben mit meinem Leben mehr zu tun, manche weniger. Aber da ich sie schreibe, muss ich sie alle erfahren und erfahrbar machen.
Vergessen, dass man mit den Eltern dreht
APA: Wie geht es Ihnen als Regisseurin, wenn Sie die Figur, die von Ihrem Vater gespielt wird, sterben lassen?
Weisse: In dem Moment, als ich diese Szene schrieb, musste ich vergessen, dass es mein Vater ist. Es ging nur darum, was interessant und richtig für die Geschichte ist. Am Set waren meine Eltern dann auch einfach Schauspieler. Es spielte in dem Moment keine Rolle, wie nah man sich ist. Man versucht, eine Szene zu einem Punkt zu bringen und zu einer Konzentration zu kommen.
APA: Eingangs haben Sie schon erwähnt, dass Sie das Mädchen, das Greta in “Zikaden” spielt, schon länger begleiten. Können Sie über dieses Projekt mehr verraten?
Weisse: Es ist ein Spielfilm, in dem es um die Entwicklung dieses Mädchens geht. Nina Hoss und Saskia Rosendahl sollen auch mitspielen. Ich bin gerade dabei, es zu schreiben. Wir wollen jedes Jahr drei, vier Tage drehen. Wie es sich aber tatsächlich entwickelt, darüber kann ich noch nicht viel sagen, ich bin noch mitten im Prozess. Aber ich will auf jeden Fall diese Figuren weiterverfolgen.
(Das Gespräch führte Christoph Griessner/APA)
(S E R V I C E – www.filmladen.at/film/zikaden/)
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