"Für die Kapitalmärkte sind Schulden gleich Schulden"

Deutscher Finanzminister Lindner fordert strengere EU-Regeln

Montag, 12. Juni 2023 | 12:05 Uhr

Deutschlands Finanzminister Christian Lindner fordert einen strengeren EU-Stabilitätspakt, und stimmt damit mit seinem österreichischen Amtskollegen Magnus Brunner überein. “Warum bin ich so skeptisch, wenn es um Ausnahmen von Regeln geht? Ganz einfach: Den Kapitalmärkten sind Motive egal. Für die Kapitalmärkte sind Schulden gleich Schulden, und zu hohe Schulden führen zu Instabilität”, betonte Lindner gegenüber Journalisten des European Newsroom, darunter die APA.

Neue Schulden könnten die Inflation anheizen und die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen verringern, so Lindner im Online-Interview am Donnerstag. Europa profitiere vom Binnenmarkt und der Währungsunion, aber diese Vorteile seien nicht für alle Zeiten garantiert.

Die Basis für die Wettbewerbsfähigkeit des Binnenmarktes, eine stabile Währungsunion und einen stabilen Euro sind laut dem Vorsitzenden der Freien Demokratischen Partei Deutschlands (FDP) gesunde öffentliche Finanzen: “Deutschland setzt sich für ehrgeizige Reformanstrengungen im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes ein. Unsere Sorge ist, dass wir mit höheren Schuldenquoten und höheren jährlichen Defiziten den Binnenmarkt und den Euro in der Zukunft schwächen.”

Lindner liegt mit seinen Forderungen nach strengeren Regeln auf einer Linie mit Österreichs Finanzminister Brunner. Die Europäische Kommission hat im April hingegen mehr Flexibilität bei der Einhaltung des EU-Stabilitätspakts vorgeschlagen. Die EU-Regelungen zum Schuldenabbau waren in den vergangenen Jahren aufgrund der Auswirkungen der Pandemie und des Ukraine-Krieges vorübergehend gelockert worden.

“Der Vorschlag der Kommission muss nachgebessert werden. Bisher sind realistisch und verlässlich sinkende Schulden- und Defizitwerte nicht garantiert”, so Lindner. Deutschland habe daher Vorschläge zur Einführung einer quantitativen Benchmark einerseits und einer Schutzklausel andererseits vorgelegt. Der deutsche Finanzminister fordert von seinen EU-Partnern ein Mindestmaß an Defizitreduzierung pro Jahr, “und ein Prozent ist nicht zu ehrgeizig”. Es solle auch eine allgemeine Ausweichklausel geben, wenn eine Reduktion der Schuldenquote von einem Prozent in Krisenfällen nicht für alle Mitgliedstaaten möglich sei.

“Wir befinden uns jetzt in einer Situation, in der wir mutige Entscheidungen über die Haushaltsregeln treffen müssen”, betonte Lindner. “Wir müssen den Stabilitäts- und Wachstumspakt reformieren, damit wir ein besseres Instrument haben, um Schulden und Defizite auf realistische und zuverlässige Weise zu reduzieren.” Deutschland sei mit seinen Forderungen “in keiner Weise isoliert. Andere sind weniger laut als wir, aber es gibt viele Mitgliedstaaten, die unsere Ansichten zur Stabilität der Haushaltsregeln teilen. Die derzeit größte Bedrohung für die wirtschaftliche Entwicklung sei die Inflation: “Alle meine Kollegen sind fest entschlossen, die Inflation zu bekämpfen. Dies erfordert eine Änderung unserer Finanzpolitik. Die Steigerung unserer Ausgaben während der Pandemie und der Energiepreiskrise nach dem russischen Angriff auf die Ukraine muss ein Ende haben.”

Deutschlands Finanzminister hält es für “schwierig”, aber “möglich”, dass heuer unter der spanischen EU-Ratspräsidentschaft ein Konsens für eine Reform des Stabilitätspakts erreicht werde. Deutschland werde alles tun, um sich für dieses Ziel einzusetzen. “Unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch, und wenn wir alle zusammenarbeiten, ist es möglich. Aber wir haben einen bestehenden Stabilitäts- und Wachstumspakt, der so lange gilt.” Europa brauche “die beste, nicht die schnellste Lösung”.

Die EU-Kommission dürfte am 20. Juni ihre Halbzeitüberprüfung des langjährigen EU-Finanzrahmens vorlegen, und dabei voraussichtlich zusätzliche Mittel einfordern. “In Deutschland gibt es eine angespannte Haushaltslage, und auch andere Mitgliedsstaaten haben ihre Herausforderungen. In Anbetracht der notwendigen Kürzungen in unserem Staatshaushalt können wir derzeit keine zusätzlichen Beiträge zum Haushalt der Europäischen Union leisten”, erklärte Lindner. Bevor die Beiträge der Mitgliedstaaten erhöht würden, sollte der zusätzliche Finanzbedarf durch Umschichtungen oder durch die Nutzung bestehender Spielräume gedeckt werden. Auch zusätzliche Förderungen für die krisengebeutelte europäische Wirtschaft sieht der FDP-Chef kritisch: Vergleiche man die Vereinigten Staaten und die Europäische Union, so gebe es in Europa keinen Mangel an öffentlichen Subventionen und staatlichen Beihilfen. Dem amerikanischen Inflation Reduction Act, dotiert mit über 370 Milliarden Euro, stehe der EU-Coronafonds NextGenerationEU mit über 750 Milliarden Euro gegenüber.

“Wir müssen einen Subventionswettlauf mit den Vereinigten Staaten vermeiden. Ich denke, wir sind aufgrund unserer Kapitalmärkte weniger wettbewerbsfähig als die USA”, so der FDP-Chef. “Wir müssen weitere Fortschritte auf dem Gebiet der Kapitalmarktunion machen, um mehr Mittel aus dem Privatsektor für unseren Investitionsbedarf zu mobilisieren.” Der deutsche “Doppelwumms” könne nicht mit dem IRA verglichen werden. Er diene der Finanzierung der Strom- und Gaspreisbremsen und einiger Härtefälle.

Von: apa