Flüchtlinge sind großes Potential für den Arbeitsmarkt

Experten sehen Vorteil für Firmen bei Jobs für Flüchtlinge

Donnerstag, 15. Juni 2023 | 12:00 Uhr

Unternehmen würden sehr davon profitieren, Menschen mit Fluchterfahrung einen Job anzubieten, auch wenn damit anfangs ein höherer Aufwand verbunden ist. Auch volkswirtschaftlich wäre das sinnvoll, vor allem angesichts einer bevorstehenden Pensionierungswelle und absehbarem Arbeitskräftemangel. Allerdings gebe es viel zu wenig Flüchtlinge, um die Lücke alleine aufzufüllen, sagte Judith Kohlenberger, Migrationsforscherin an der WU, am Donnerstag in einer Pressekonferenz.

Zahlreiche Studien zeigten, dass Menschen mit Flucht- oder Migrationserfahrung überdurchschnittlich motiviert, innovativ, produktiv und loyal sind, so Kohlenberger. Beispielsweise sei die Hälfte aller IT-Startups im Silicon Valley von Menschen mit Flucht- oder Migrationserfahrung gegründet. Ihrem Unternehmen bringen sie außerdem Diversität und einen Reputationsgewinn. Und auch wenn es zynisch klinge: Sie seien auch stressresistenter: “Wer einmal in einem Schlauchboot nachts das Mittelmeer überquert hat, den lässt im Berufsalltag nichts mehr so schnell aus der Ruhe kommen.”

Thomas Kreiter, Personalchef der ÖBB Infrastruktur, wies im gemeinsamen Pressegespräch auf die positiven Erfahrungen seines Unternehmens hin. Knapp 100 Geflüchtete haben die ÖBB gezielt angeworben und in eine Lehre aufgenommen. Diese seien – meist von der Flüchtlingsorganisation Lobby.16 – zwar schon recht gut für ein Arbeitsleben in Österreich vorbereitet gewesen, dennoch sei ein gewisser Mehraufwand mit ihrer Anstellung verbunden. Für die ÖBB, die in den nächsten fünf Jahren rund 17.000 neue Mitarbeiter braucht, stehe aber die Frage nach dem Mehraufwand nicht im Vordergrund: “Wir brauchen die Leute”, so Kreiter, die ÖBB profitiere auch von den Sprachen, die diese mitbringen und schätze ihre höhere Loyalität. Die aktuellen – einschränkenden – Regeln zur Zulassung am Arbeitsmarkt seien angesichts der demografischen Entwicklung nicht mehr zeitgemäß: “Die gesetzliche Lage passt nicht zu den wirtschaftlichen Herausforderungen”, so Kreiter. Bezahlt würden sie wie jeder reguläre Lehrling.

Auch Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser wies auf die vielfältigen Vorteile für den Arbeitsmarkt hin, Flüchtlingen einen Job zu geben. In Österreich dürften in einem Jahrzehnt eine halbe Million Arbeitskräfte fehlen, was zu massiven Wohlstandsverlusten führen werde. “Alle reden davon, dass Flüchtlinge unseren Wohlstand bedrohen. Das Gegenteil ist der Fall”, so Moser. “Es geht um die Wohlstandssicherung in Österreich – Wenn ich das als Diakonie-Direktorin sage, ist das schon etwas”. Insbesondere gelte das im Bereich der Pflege, wo die Diakonie ein großer Arbeitgeber ist. Nicht wenige der jetzt in Pension gehenden Babyboomer würden in absehbarer Zeit Pflege brauchen, das Personal dafür fehle aber. Aber selbst für Betroffene, die in der Pflege arbeiten wollen, seien die Hürden sehr hoch und die Information mangelhaft. Moser würde sich eine auf Einzelpersonen zugeschnitte Ausbildung und eine zentrale Informationsstelle wünschen.

Menschen, die schon nach Österreich gekommen sind, seien vor Ort und schnell verfügbar, erinnert Kohlenberger. Das könne auch allfällige Weiterbildungskosten rechtfertigen, wenn man es mit der Anwerbung von Arbeitskräften im Ausland vergleicht. Viele Firmen wüssten nicht, dass Asylberechtigte einen Daueraufenthalt in Österreich haben, also auch langfristig den Unternehmen zur Verfügung stehen. Mit ihrer Anstellung könnten sich Unternehmen neue Kundenkreise erschließen – etwa in Wien, wo 40 Prozent der Bevölkerung Migrationshintergrund haben.

Auf Zahlen, wie viele Menschen mit Fluchterfahrung für einen Job in Frage kommen, will sich Kohlenberger nicht einlassen. Dazu fehlten die Daten, selbst das Innenministerium wisse nicht genau, wie viele der Menschen, die im System registriert wurden, noch im Land sind. Klar sei aber, dass es viel weniger sind als die öffentliche Diskussion glauben lässt – und viel zu wenige, um die absehbare Beschäftigungslücke zu schließen.

Von: apa