Von: luk
Bozen – Die internationale Konjunktur hat sich im letzten Halbjahr deutlich abgekühlt. Nichtsdestotrotz bleibt die Stimmung weitgehend intakt, auch bei den Südtiroler Arbeitnehmern, die sich sogar eine Verteilung des Volkseinkommens zu ihren Gunsten erwarten. „Mit zeitlichem Verzug dürfte die konjunkturelle Abschwächung allerdings auch auf die Südtiroler Wirtschaft abfärben“, sagt AFI-Direktor Stefan Perini. Die Aufmerksamkeit gelte in Südtirol vor allem dem Verarbeitenden Gewerbe, das demnächst mit Auftragseinbrüchen zu rechnen habe. Die Wirtschaftswachstumsprognose des AFI für Südtirol und das Jahr 2019 bleibt mit +1,4 Prozent aufrecht.
Die globale konjunkturelle Abkühlung setzt sich fort. Binnen sechs Monaten haben die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute die Wachstumsprognosen für 2019 um rund einen Prozentpunkt nach unten revidiert. Die Gemeinschaftsdiagnose des ifo München weist für 2019 folgende Wachstumsraten aus: USA +2,3 Prozent; Euro-Raum +1,2 Prozent; Deutschland +0,8 Prozent; Österreich +1,4 Prozent, Italien +0,0 Prozent. Neu ist, dass sich europaweit die Stimmung im Verarbeitenden Gewerbe eingetrübt hat. In Italien knickt die Stimmung der Unternehmen von hohem Niveau aus deutlich ein, jene der Konsumenten bleibt weitgehend gut. In der zweiten Jahreshälfte 2019 dürfte die italienische Wirtschaft die ´technische´ Rezession hinter sich gelassen und sich wieder auf Wachstumskurs gebracht haben. Einerseits dürfte das mit April dieses Jahres eingeführte staatliche Bürgereinkommen einen positiven Wachstumsbeitrag bringen, andererseits bestehen erhebliche Zweifel über die finanzielle Tragfähigkeit der zahlreichen italienischen Reformmaßnahmen (Bürgereinkommen, Flat Tax, Quote 100, um nur die wichtigsten zu nennen).
Südtirol: Die ersten Anzeichen des Abschwungs
Südtirols Wirtschaft schließt das Jahr 2018 rundum positiv ab, doch die Anzeichen des einsetzenden Abschwungs sind unverkennbar: Stagnierende Exportdynamik in den letzten drei Quartalen, rückläufige Tourismuszahlen zu Beginn der Wintersaison (-5,0 Prozent zum Vorjahr, allerdings war jenes ein Rekordergebnis) sowie der Beschäftigungsmotor, der etwas langsamer läuft. Sorge bereitet der Stimmungseinbruch in Deutschland im Verarbeitenden Gewerbe und in den Exporterwartungen, vor allem in der Automobilindustrie und in der Metallverarbeitung. Bekanntlich sind einige größere Südtiroler Firmen mit diesen Märkten eng verflochten.
Stimmungsindikatoren stemmen sich gegen den Abschwung
Unbeschadet davon bleiben die Stimmungsindikatoren der Arbeitnehmer in Südtirol auf hohem Niveau. Beim wichtigsten Indikator – jener, welcher die ´Erwartete Entwicklung der wirtschaftlichen Situation Südtirols´ abbildet, hat der rückläufige Trend inzwischen haltgemacht. Alle Stimmungsindikatoren, die den Arbeitsmarkt abbilden (´Entwicklung der Arbeitslosigkeit in Südtirol´, ´Risiko den eigenen Job zu verlieren´, ´Aussichten auf Jobwechsel´) bleiben auf hohem Niveau. Der letztgenannte erreicht sogar sein Allzeithoch. Mit anderen Worten: Noch nie fiel ein Jobwechsel so einfach wie derzeit. Eine weitere Neuigkeit: Zwei von drei Indikatoren, welche die Situation der eigenen Familie abbilden, springen an. Es sinkt der Anteil von Familien, welche nur mit Schwierigkeiten bis ans Monatsende kommt. Es steigt die Zahl der Familien, welche in den nächsten 12 Monaten erwarten, Geld auf die hohe Kante legen zu können. Trotzdem sind dies nicht mehr als Lichtblicke. Es wäre verfrüht, von einem gefestigten Trend zu sprechen.
AFI hält an BIP-Prognose für 2019 von +1,4 Prozent fest
Aus der Gesamtbetrachtung des Stimmungsbildes wird deutlich, dass sich Südtirols Arbeitnehmer angesichts der vorherrschenden Vollbeschäftigung erwarten, dass sich die Verteilung zu ihren Gunsten entwickelt. Das AFI hält an seiner Wachstumsprognose von +1,4 Prozent für die Südtiroler Wirtschaft im Jahr 2019 fest.
Arbeitsqualität: Zeitdruck bleibt Hauptproblem
Dass Südtirols Arbeitnehmer mit ihren Arbeitsbedingungen weitgehend zufrieden sind, hat das AFI bereits mit anderen vergleichenden und umfassenden Studien herausgearbeitet (´EWCS Südtirol´). Im AFI-Barometer stellt das Institut den Arbeitnehmern periodisch gezielt eine kleine Auswahl von Fragen und beobachtet die Entwicklung der Antworten im Zeitverlauf. Am zufriedensten äußern sich Südtirols Arbeitnehmer mit dem Image des Unternehmens, für welches sie arbeiten (Index: 41 auf einer Skala von +100 bis -100) und mit ihrem gesellschaftlichen Stand als Arbeitnehmer (33), am wenigsten mit dem Einkommen (14) und den Karrieremöglichkeiten (8). Hauptbelastung ist nach wie vor der Zeitdruck: 36 Prozent empfinden diesen als problematisch oder sehr problematisch. Auch die ständigen technischen und organisatorischen Veränderungen machen den Arbeitnehmern in Südtirol zu schaffen (16 Prozent). Weniger als zwei Drittel der Arbeitnehmer (exakt 62 Prozent) glaubt, mit 65 die derzeitige berufliche Tätigkeit noch ausüben zu können – im Hinblick auf die psychische und körperliche Belastung – und auch zu müssen – im Hinblick auf steigende familiäre Verpflichtungen in Betreuung und Pflege.
Stellungnahme von AFI-Präsidentin Christine Pichler
„Verstärkter Arbeitsdruck aufgrund von Zeitvorgaben sowie technischer und organisatorischer Veränderungen werden von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern immer öfter als Hauptbelastung im Job genannt. Wir müssen auf gewerkschaftlicher Ebene die Voraussetzungen schaffen, damit Arbeiter und Angestellte mit den neuen Belastungen nicht überfordert werden.“