Wie unsere nordischen Nachbarn

Wohnungspolitik 2030: Mieten statt kaufen

Mittwoch, 17. Juni 2020 | 17:25 Uhr

Bozen – Das Landesgesetz ‚Raum und Landschaft‘ tritt in wenigen Tagen in Kraft, am Wohnbauförderungsgesetz wird gearbeitet. Wichtige Themen, denn: Ein Eigenheim können sich nicht alle Südtiroler Arbeitnehmer leisten. Doch dass auch das Mieten einer Wohnung eine gute Alternative sein kann, zeigen uns nordische Länder: Länder mit einer hohen Lebensqualität für sehr breite Bevölkerungsschichten. Es muss also nicht alles weiterhin zubetoniert werden, denn das Mieten bestehender Wohnungen wäre eine gute, zu fördernde Alternative. So müssten bestehende Wohnungen nicht leer bleiben und Menschen nicht dauerhaft über ihre Verhältnisse leben.

Südtirol hat zweifelsfrei eine hohe Lebensqualität, aber die Immobilienpreise sind nicht für jede Brieftasche gedacht. Für viele Arbeitnehmer lässt sich der Traum vom Eigenheim nicht leicht erfüllen. „Nicht selten führt das zur Überschulung von Arbeitnehmer-Familien über einen langen Zeitraum – bis zu 25 Jahren – im schlimmsten der Fälle zum Nachteil von Bildungschancen und Lebensqualität für die eigenen Kinder“, unterstreicht AFI-Präsident Dieter Mayr. Doch auch das Mieten ist eine gute Alternative zum Kaufen, zeigen uns unsere Nachbarn im Norden.

„Leistbares Wohnen ist auch aus diesem Grund ein zentrales Thema für Gewerkschaften und AFI“. „In einem Webinar, das gestern am späten Nachmittag stattgefunden hat, haben wir einen Blick über den Südtiroler Tellerrand geworfen“, sagt AFI-Direktor Stefan Perini. „Wir wollen Modelle und Erfahrungen vorstellen, die auch für unsere Realität interessant sein können, um sozialgerechtes und leistbares Wohnen in Südtirol möglich zu machen“.

Teresio Poggio, Soziologe und Experte in Wohnungspolitik, hat das europäische Projekt RESHAPE (Redesigning Social housing against Poverty in Europe) koordiniert. Poggio erläuterte die verschiedenen Dimensionen des Wohnens und wie diese zu einem Nachhaltigkeitsbegriff zusammengeführt werden können. Der Fachmann sprach über die Vor- und Nachteilen einer angebots- und nachfrageorientierten Förderungspolitik. Die Eigentumswohnung sei zwar eine wünschenswerte Option, dürfe sich aber nicht zur Einbahnstraße entwickeln, welche die untere Mittelschicht über Jahre in die Verschuldung treibt und Entwicklungschancen für die eigenen Kinder ausschlägt. Dass es sich auch gut in Miete leben ließe, zeigten Erfahrungen aus Nordeuropa und Skandinavien – Länder mit einer hohen Lebensqualität für sehr breite Bevölkerungsschichten.

Die Stadt Wien ist für viele, denen es um sozialgerechtes Wohnen geht, seit Jahrzehnten ein Referenzpunkt. Bojan-Ilija Schnabl von der Wiener Wohnbauförderung und Schlichtungsstelle für wohnrechtliche Angelegenheiten, machte deutlich, warum das so ist. Spricht Schnabl über Wiens Wohnungspolitik, fallen Begriffe wie „Wohnbau-Ökosystem“ und „inklusive Wohnbaupolitik“. Wien betrachtet Wohnungspolitik als ein einziges großes Sozialprojekt. Der Fachmann zeigte auf, wie der soziale Wohnbau den Immobilienmarkt stabilisiert und beruhigt. Wohnungspolitik dürfe nicht ohne fundierte statistische Grundlage und Erhebung des Wohnbedarfs erfolgen. Eine dem Wiener ‚Institut für Wohnbauforschung‘ ähnliche Einrichtung könne einen Paradigmenwechsel in der Wohnpolitik, weg von der öffentlichen Förderung der Nachfrage, hin zur Schaffung eines ökologisch, wirtschaftlich, sozial und kulturell nachhaltigen Angebots, einleiten.

Wie wirtschaftliche Anreize und Mikrokredite unterstützend wirken können, damit Angebot und Nachfrage von Mietwohnungen zusammenfinden, zeigt das Projekt ‚Milano Abitare‘. Romano Guerinoni ist Generaldirektor der Stiftung ‚Welfare Ambrosiano‘ aus Mailand, die zusammen mit der Gemeinde Mailand das Projekt ‚Milano abitare‘ betreut. Es richtet sich an jene Mittelschicht, die zu reich für die Sozialmaßnahmen ist, es aber aus eigener Kraft doch nicht schafft, den eigenen Grundwohnbedarfs zu decken. ‚Milano abitare‘ fungiert als Non-Profit-Vermittler, um potentielle Vermieter und interessierte Mieter zu einem gedeckelten Mietzins zusammenzuführen. Die Instrumente: ein Garantiefond für Vermieter bei Zahlungsausfall der Miete bis zu 18 Monaten, ein Förderungsbeitrag für die Wiedergewinnung von Wohnungen zum festgelegten Mietzins, Mikrokredite für die Mieter etwa zur Vorfinanzierung von Übersiedlungsspesen. Dank ‚Milano abitare‘ sei es gelungen, die Kultur des
gedeckelten Mietzinses im Mailänder Raum zu etablieren und den Mietmarkt zu beruhigen, so das Fazit von Guerinoni.

 

Von: bba

Bezirk: Bozen