Experten aus Bozen liefern Faktencheck

Alzheimer-Bluttest: Was sagt die Wissenschaft wirklich?

Donnerstag, 18. Dezember 2025 | 09:34 Uhr

Von: mk

Bozen – Neue Bluttests zur Früherkennung von Alzheimer stehen im Mittelpunkt einer bewegten öffentlichen Diskussion. Anlass dafür sind die Zulassung eines Alzheimer-Bluttests durch die US-Arzneimittelbehörde FDA und Berichte über eine mögliche „einfache“ und „frühe“ Diagnose von Demenz. Zugleich warnen renommierte internationale Fachzeitschriften vor einer vorschnellen Verwendung dieser Tests. Das Institut für Allgemeinmedizin und Public Health Bozen liefert nun einen umfassenden Faktencheck.

Was ist ein Alzheimer-Bluttest?

Die meisten derzeit diskutierten Bluttests zielen auf sogenannte Biomarker ab, die mit den krankheitstypischen Veränderungen im Gehirn bei Alzheimer assoziiert sind. „Wichtig ist: Diese Tests diagnostizieren keine Demenz, sondern liefern Hinweise auf biologische Veränderungen, wie sie häufig bei der Alzheimer-Krankheit vorkommen“, erklärt Univ.-Prof. Dr. Christian Wiedermann, Klinischer Pharmakologe und Forschungskoordinator des Instituts für Allgemeinmedizin und Public Health Bozen. „Diese Test ersetzen weder eine klinische Beurteilung noch neuropsychologische Tests, Bildgebung (PET, MRT) oder Liquoruntersuchungen“, so Prof. Wiedermann. In den USA wurde ein solcher Test für den Einsatz bei bereits symptomatischen Personen mit einer sogenannten milden kognitiven Störung (also merkbaren Problemen mit Gedächtnis, Konzentration oder Orientierung) zugelassen – ausdrücklich nicht für gesunde Menschen ohne Beschwerden.

Jakob Obkircher/Institut für Allgemeinmedizin und Public Health Bozen

Eignen sich Alzheimer-Bluttests zur Vorsorge bei Gesunden?

Ein zentraler Punkt der aktuellen Fachdebatte ist die Fehlannahme, Alzheimer-Bluttests könnten als eine Art „Vorsorgeuntersuchung“ bei gesunden Erwachsenen eingesetzt werden. „Für diese Annahme gibt es derzeit keine wissenschaftliche Grundlage. In Bevölkerungsgruppen ohne oder mit nur unspezifischen Gedächtnisbeschwerden ist die tatsächliche Häufigkeit einer Alzheimer-Erkrankung niedrig. Selbst ein technisch guter Test erzeugt unter diesen Bedingungen viele sogenannte falsch-positive Ergebnisse, also Tests, die Alarm schlagen, obwohl keine Alzheimer-Erkrankung besteht“, betont Univ.-Prof. Dr. Christian Wiedermann. Studien zeigen, dass in hausärztlichen Populationen nur etwa jede fünfte positive Testreaktion tatsächlich auf eine Alzheimer-Pathologie hinweist.

Umgekehrt ist der Test vor allem als ,Ausschlusstest‘ geeignet: Ein unauffälliges Ergebnis macht das Vorliegen einer Alzheimer-Erkrankung sehr unwahrscheinlich. „Für Gesunde bedeutet ein auffälliger Test daher oft keine Klarheit, sondern Unsicherheit – mit der Folge weiterer Untersuchungen, psychischer Belastung und möglicherweise langfristiger Stigmatisierung“, fügt Prof. Christian Wiedermann hinzu.

Früherkennung – was folgt daraus?

Ein häufig vorgebrachtes Argument lautet: „Je früher man Alzheimer erkennt, desto besser.“ Dieser Satz ist intuitiv verständlich – trifft aber nur dann zu, wenn aus der frühen Erkennung konkrete und sinnvolle Handlungsoptionen folgen. Derzeit sind die therapeutischen Möglichkeiten begrenzt. Neue medikamentöse Ansätze können den Krankheitsverlauf möglicherweise verlangsamen, sind aber mit Nebenwirkungen verbunden, erfordern hochspezialisierte Infrastruktur und sind nicht für alle Betroffenen geeignet. Für Personen ohne Beschwerden gibt es keine evidenzbasierte Therapie, die allein aufgrund eines Biomarker-Befundes empfohlen werden könnte. „Eine frühe Diagnose ohne ausreichende Begleitangebote – etwa Beratung, psychosoziale Unterstützung und strukturierte Versorgung – kann mehr schaden als nützen. Gerade Angehörige berichten häufig von Überforderung, langen Wartezeiten und mangelnder Unterstützung im Alltag“, hebt Prof. Christian Wiedermann hervor.

Ethische Fragen: Wissen um jeden Preis?

Die Diskussion über Alzheimer-Tests ist nicht nur medizinisch, sondern auch zutiefst ethisch. „Das Wissen um ein erhöhtes Erkrankungsrisiko kann für Betroffene eine erhebliche psychische Belastung darstellen – vor allem, wenn wirksame Therapieoptionen fehlen. In einer kleinen Region wie Südtirol besteht zudem die Gefahr der Stigmatisierung, etwa im beruflichen oder familiären Umfeld. Gleichzeitig stellen sich Fragen der Gerechtigkeit, da solche Tests häufig privat angeboten werden und damit vor allem Menschen mit höherem Einkommen zugutekommen“, sagt Prof. Wiedermann. Nicht zuletzt drohe eine zunehmende Medikalisierung des Alterns, bei der herkömmliche altersbedingte Veränderungen vorschnell als Krankheit interpretiert werden. „Aus Sicht der Präventionsmedizin gilt daher: Nicht alles, was technisch möglich ist, ist auch medizinisch sinnvoll und ethisch angebracht“, unterstreicht Wiedermann.

Die Rolle der Allgemeinmedizin in Südtirol

Für Hausärztinnen und Hausärzte kommt den Alzheimer-Bluttests eine klare, aber begrenzte Bedeutung zu. Die Allgemeinmedizin ist kein „Bestellservice“ für Tests, sondern eine wichtige Filter- und Lotseninstanz. Das bedeutet konkret:

  • Kein Einsatz der Tests als Routine- oder Vorsorgeuntersuchung bei gesunden Menschen;
  • Einsatz – wenn überhaupt – nur bei klaren kognitiven Auffälligkeiten und in enger Abstimmung mit spezialisierten Einrichtungen (z.B. Memory-Ambulanzen);
  • sorgfältige Aufklärung über die Grenzen der Aussagekraft der Tests (v.a. bei falsch-positiven Befunden);
  • Schutz vor einer Kette weiterer Untersuchungen, die durch einen unsicheren Test ausgelöst werden.

„Die größten Hebel der Alzheimer-Prävention liegen nach wie vor in der konsequenten Behandlungen von beeinflussbaren Risikofaktoren: Blutdruck, Diabetes, körperliche Aktivität, soziale Teilhabe, Depression, Hörminderung, Schlafqualität sowie Alkohol- und Tabakkonsum“, erklärt Univ.-Prof. Dr. Christian Wiedermann.

Bestehende Evidenzlücken

Trotz rascher Fortschritte bestehen relevante Evidenzlücken. Nachstehende Lücken bedeuten nicht, dass die Tests „gefährlich“ sind. Der Einsatz solcher Tests muss aber sorgfältig und kontrolliert erfolgen:

  • Langzeitfolgen eines positiven Biomarker-Befundes bei Personen, die keine Gedächtnisprobleme bemerken;
  • psychosoziale Auswirkungen früher Risikodiagnosen;
  • Nutzen-Schaden-Abwägung in der Primärversorgung;
  • Auswirkungen auf Gesundheitskosten und Versorgungsstrukturen;
  • Wirksame Kommunikationsstrategien zur Vermeidung von Fehlinterpretationen.

Fazit von Prof. Wiedermann

„Alzheimer-Bluttests sind ein bedeutender wissenschaftlicher Fortschritt, aber kein einfacher Vorsorgetest und kein Allheilmittel. Ihr Nutzen ist auf ausgewählte, symptomatische Patient:innen begrenzt und setzt eine gute Vernetzung mit spezialisierten Versorgungsstrukturen voraus“, sagt Univ.-Prof. Dr. Christian Wiedermann, Koordinator der Forschungsprojekte des Instituts für Allgemeinmedizin und Public Health Bozen. Ein unkritischer Einsatz bei gesunden Menschen birgt erhebliche Risiken: Überdiagnose, Verunsicherung, soziale Ungleichheit und unnötige Belastung des Gesundheitssystems. Verantwortungsvolle Präventionsmedizin bedeute daher, neue Technologien einzuordnen, Erwartungen realistisch zu kommunizieren und das Augenmerk auf bewährte, wirksame Maßnahmen zu legen, so Wiedermann. „Alzheimer-Bluttests sind keine Screening-Tests für die Allgemeinbevölkerung und sind nicht zur Vorsorge bei beschwerdefreien Personen geeignet. Wer sich Sorgen um sein Gedächtnis macht, sollte zunächst das Gespräch mit der Hausärztin oder dem Hausarzt suchen. Nicht jeder Test schafft Klarheit – manchmal ist gute Beratung die bessere Medizin“, bekräftigt Prof. Wiedermann.

Bezirk: Bozen

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