Brexit als Warnung für alle – ein Kommentar

Angst, Neid, Hass, Betrug und enttäuschte Hoffnungen

Donnerstag, 28. März 2019 | 09:31 Uhr

Von: ka

Bozen – Halb erstaunt, halb entsetzt schaut ganz Europa nach London. Obwohl seit der Abstimmung fast drei Jahre Zeit vergangen sind, ist der Brexit noch immer nicht in trockenen Tüchern. Während zwischen Theresa May und dem Parlament die Fetzen fliegen, wird immer mehr Briten bewusst, wie viele Nachteile der EU-Ausstieg bringt. Vom Traum der fanatischen „Brexiters“, selbst zu entscheiden, aber alle Vorteile einer Gemeinschaft mitzunehmen, ist nichts mehr übrig geblieben. Brüssel hat den Briten schnell klar gemacht, dass die Insel nur die Wahl zwischen „Fast-Mitglied“ ohne Entscheidungsbefugnis und dem „hard Brexit“ mit all seinen wirtschaftlichen Konsequenzen hat. Für die dritte Möglichkeit – eine erneute Abstimmung – gehen daher immer mehr Briten auf die Straße.

Grund für den Unmut ist auch, weil es immer klarer wird, wie das Brexit-Ergebnis 2016 zustande gekommen ist. Das Referendum dient als Anschauungsunterricht, wie eine kleine Minderheit reicher Geldgeber, die aus dem Chaos Nutzen ziehen will, mithilfe gezielter Kampagnen in den sozialen Netzwerken die direkte Demokratie beeinflussen kann. Dabei haben Pfundmillionen und missbrauchte Daten den Ausschlag gegeben. Experten sprechen heute von Betrug.

APA/APA (AFP/Archiv)/TOLGA AKMEN

Während es in London brodelt, werden in Bozen ganz kleine direktdemokratische Brötchen gebacken. In Südtirol streiten sich Parteien und Organisationen um Details wie die Anzahl der nötigen Unterschriften oder um die Frage, ob die bestätigende Volksabstimmung wieder abgeschafft werden soll. Bei aller Berechtigung geht dieses Hickhack aber an der Realität vorbei.

Das Brexit-Referendum und die Wahl Trumps zum US-Präsidenten haben längst bewiesen, dass Abstimmungen mithilfe von Millionen Daten von Nutzern sozialer Netzwerke gewonnen werden können. Das digitale 21. Jahrhundert erlaubt es obskuren Datenanalysefirmen, Persönlichkeitsprofile der potenziellen Wähler zu erstellen. „Danach führt man die Menschen in einen Tunnel voller Fake News.“

Die Folgen von Kampagnen, die niedrigste Gefühle wie Neid, Rassismus, Hass und Angst ansprechen, sind in Großbritannien unschwer zu erkennen. Während Regierung und Parlament sich befetzen, hat die Wahl zwischen „Remain“ und „Leave“ einen tiefen Keil in die Gesellschaft getrieben. Die von den Kampagnen befeuerten, niedrigsten Instinkte haben die Briten fast ähnlich, wie die Südtiroler die Option 1939 bis in die Familien hinein entzweit.

APA/APA (AFP)/OLI SCARFF

Gemessen an den Brexit-Folgen auf der Insel wirken die heimischen, direktdemokratischen Querelen noch kleinkarierter, als sie es bereits jetzt schon sind. Den Machern des Gesetzes zur direkten Demokratie sollte bewusst sein, welch scharfes Instrument sie da schaffen, welchen Firmen und Organisationen sie unbewusst Tür und Tor öffnen und wie verheerend die Folgen – gerade in einer fragilen, multiethnischen Gesellschaft – sein können.

Bezirk: Bozen