Von: idr
Bozen – Was früher die Ausnahme war, ist heute Alltag: Menschen in Flipflops auf über 2.000 Metern, erschöpfte Wanderer, die mit letzter Kraft den Notruf wählen, weil der Rückweg zu steil ist.
„Sie kommen mit 200-Gramm-Rucksäcken, mit nacktem Oberkörper und ohne Pullover – und merken dann, dass es auf 2.300 Metern kalt ist“, berichtet Francesco Tagliaferri, seit vier Jahrzehnten Hüttenwart in den Bergamasker Alpen. Einer habe ihm gesagt, er habe die langen Hosen zu Hause gelassen. Auch Fabrizio Gonella vom Rifugio Coca berichtet von Besuchern, die nach „Schinken und Melone“ fragten, als wären sie an einem Seeufer.
Der Ansturm auf die Berge hat mit der Pandemie begonnen. „Da begann die Suche nach weiten Räumen und Abstand“, erinnert sich Paolo Valoti, ehemaliger Vorsitzender des CAI Bergamo. Damals sei bei vielen Menschen eine neue Leidenschaft entfacht worden – nicht nur bei jungen Leuten. Doch nicht alle bringen die nötige Vorbereitung mit. „Die Entdeckung der Berge ist schön. Aber man muss sie mit Bewusstsein und Vorbereitung angehen“, so Valoti.
Social Media beschleunigt den Wahnsinn
Ein Problem sei auch der Einfluss sozialer Medien. Viele ließen sich von schönen Bildern leiten, ohne die Schwierigkeiten zu bedenken: „Die Leute sehen ein Foto von einem Ort, der ihnen gefällt, denken, dass es einfach sei, dorthin zu gelangen, und machen sich auf den Weg, ohne sich vorzustellen, welche Schwierigkeiten derjenige hatte, der das Foto gemacht hat“, sagt Damiano Carrara vom CAI. Die Folgen: Menschen verlaufen sich, unterschätzen Entfernungen, tragen falsches Schuhwerk – oder verlieren schlicht die Orientierung. Erst kürzlich musste eine Gruppe von 40 Personen in der Valle dei Mulini gerettet werden, weil sie „nicht die geringste Vorstellung vom Weg“ hatten.
Valoti erinnert daran, dass auch erfahrene Berggänger nicht gefeit sind. „Ein Massiv kann wegen des Klimawandels ins Rutschen kommen – oder ein Tier löst einen Stein, der dann einen Pilzsammler trifft.“ Die Berge seien kein Freizeitpark. Aber: „Die Entdeckung der Berge ist schön. Sie muss nur mit Vorbereitung erfolgen.“
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