Von: mk
Bozen – Vor acht Jahren befand sich die 28-jährige Boznerin Judith Pitscheider am Abgrund. Am heutigen Donnerstagabend berichtet sie bei den „Maretscher Gesprächen“ darüber, wie schnell man in einen Sog aus Angst und Abhängigkeit geraten kann.
„Natürlich wurde ich von meinen Freundinnen und meinen Eltern gewarnt und auch angefleht“, erinnert sie sich im Gespräch mit dem Tagblatt Dolomiten zurück. Doch sie wollte sich nicht in ihr Leben hineinreden lassen.
Mit 14 Jahren lernte Pitscheider einen um einige Jahre älteren Rom mazedonischer Abstammung kennen, der mit seiner Großfamilie im Nomadencamp bei Sigmundskron lebte. „Durch seine starke Ausstrahlung und die Art, wie er mich umwarb, hatte er mich schnell erobert“, erinnert sie sich. Dazu kamen der Reiz des Unbekannten, das Abenteuer und die fremde Kultur. Das Nomadencamp wurde zur zweiten Heimat für die Schülerin.
Nachdem einige Jahre alles gut gegangen war, wendete sich das Blatt. Der ehemals charismatische Mann verwandelte sich in einen eifersüchtigen und gewalttätigen Macho und es sie wurden in eine Spirale aus Hörigkeit, Psychospielchen und Gewalt verschiedenster Prägung hineingezogen.
Sie war 19 und hatte gerade die Reifeprüfung hinter sich, als das Unheil seinen Lauf nahm. „Er nahm sich eine Gemeindewohnung in Bozen und ich bin wie selbstverständlich zu ihm gezogen“, erinnert sich Pitscheider laut „Dolomiten“.
Immer mehr behandelte er sie wie seine Dienerin und bestimmte unmissverständlich, wo es langzugehen hatte. Bald schon wurde die junge Boznerin schwanger. „Ich musste für ihn putzen und kochen und das wenige Geld bei ihm abgeben, das ich durch Gelegenheitsjobs verdient hatte, während er nächtelang mit seinen Kumpeln durch die Gegend zog“, erklärt Pitscheider laut „Dolomiten“. Mit wüsten Schimpftiraden, mit Schlägen und sogar mit Fausthieben machte er sie gefügig.
Bei ihrer Arbeit als Zahnarztassistentin wurde sie von ihren Kolleginnen und ihrem Chef auf die blauen Flecken angesprochen, doch sie blockte jede Diskussion ab. Wenn ihr Partner außer Haus war, kam seine Mutter und kontrollierte sie.
„Während der Schwangerschaft wurde ich zu einem Häuflein Elend – ich verlor mein Selbstwertgefühl und war voller Angst“, beschreibt sie heute die dunklen Tage jener Zeit. Obwohl ihre Eltern und Freundinnen nur eine vage Ahnung hatten, versuchten sie Judith zu helfen – allerdings vergeblich.
Im Alter von 20 Jahren brachte sie im Bozner Krankenhaus einen Jungen zur Welt. Als Pitscheider merkte, wie gut ihr der Aufenthalt im Krankenhaus tat, reifte in ihr der Entschluss, sich von ihrem Partner loszusagen und kehrte vorerst nicht zu ihm zurück. Doch nach kurzer Zeit wurde sie wieder schwach. „Das Kind hat ein Recht auf seinen Vater“, dachte sie sich.
Dieser versprach auch, sich zu bessern, und wollte ab sofort für sie und sein Kind da sein. Der Vorsatz entpuppte sich allerdings als reines Lippenbekenntnis. Wenige Tage später folgten die nächsten Schläge.
Hilfe im Frauenhaus
Heute weiß Judith, wie leichtgläubig sie damals war. Wer aber nicht selbst in so eine beklemmende Situation gerät, hat natürlich leicht reden und urteilen. Nachdem sie eine weitere Woche durch die Psychohölle ging, gelang Judith endgültig der Schnitt und klopfte mit ihrem Kind im Arm beim Frauenhaus an, so sie sechs Monate lang blieb. „Schnell habe ich mich zwar nicht erholt, aber der Austausch mit Frauen in ähnlichen Situationen und die Sicherheit vor meinem Peiniger haben mir Kraft gegeben“, erklärt sie gegenüber dem Tagblatt „Dolomiten“.
Bei ihren Eltern hätte der Mann sie schnell ausfindig gemacht. Diesen hatte er bereits gedroht, die Wohnung anzuzünden.
Anschließend suchte sich Pitscheider eine eigene Wohnung, holte später die Prüfung zur Zahnarztassistentin nach und fand wieder Schritt für Schritt in die Normalität zurück. Ihr Sohn, der mittlerweile acht Jahre alt ist, trägt ihren Familiennamen, ansonsten hätte sein Vater vermutlich Ansprüche angemeldet.
„Ich bin froh, dass ich davongekommen bin und heute wieder völlig autonom mein Leben gestalten darf“, erklärt Pitscheider laut „Dolomiten“. Wer in einer ähnlichen Situation steckt, dem rät sie, sich professionelle Hilfe zu holen. „Denn allein ist man einfach ausgeliefert und ergibt sich willenlos seinem Schicksal“, erklärt Pitscheider laut „Dolomiten“.