Südtiroler gibt Einblick in seine dunkelsten Jahre

Dem Würgegriff der Sucht nur knapp entkommen

Donnerstag, 23. November 2023 | 07:04 Uhr

Bozen – Es ist eine inspirierende Geschichte von persönlichem Wandel und Triumph die Daniel (heute 40) erzählt. Dem ursprünglich aus dem Burggrafenamt stammenden Mann ist es ein Anliegen, über jene Fehler zu sprechen, die ihn als Jugendlichen in den Drogensumpf geführt hatten. Heute ist er clean. Mit 20 Jahren schaffte er es, sich von diesem gefährlichen Pfad zu entfernen. Die Folgen der Drogenjahre spürt der Südtiroler aber immer noch.

Daniel (Name von der Redaktion geändert) kam im Alter von 15 bis 16 Jahren erstmals mit Drogen in Kontakt. Der Einfluss von Gleichaltrigen und persönlichen Herausforderungen führten ihn auf einen dunklen Weg, der von Drogenmissbrauch und den damit verbundenen Gefahren geprägt war. Die Familie war machtlos gegenüber der Sogwirkung der Sucht, die Daniel gefangen hielt. Bald schon brach er mit seinem Vater. Freunde, die seinen Weg nicht mitgingen, wendeten sich ab.

Im Interview mit Südtirol News spricht der Südtiroler über seinen Absturz, den Drogenkonsum, seine Schattenseiten und den Weg aus der Sucht.

 

Daniel, du beschreibst in deinem Buch “Wir waren drauf”, wie du zu den Drogen gekommen bist. Angefangen hat alles mit Poppers und Cannabis. Was hast du sonst alles genommen?

Genau, das war der Beginn. Von da an änderte sich alles schlagartig und ich war angefixt. Ich dachte auch am Anfang, dass ich mit den Gefahren umgehen kann. Dem war aber nicht so. Auf Cannabis folgten Ecstasy, Kokain, LSD, Pilze, Ketamin, Speed. Eigentlich hab ich bis auf Heroin fast alles genommen, was ich in die Finger kriegen konnte. Im Rückblick war es mein Glück, dass ich eine Nadelphobie habe. Sonst wäre ich wohl wie viele andere auch auf Heroin hängen geblieben.

Wie hast du dir in jungen Jahren so viel Drogen leisten können? 

Das ging nur, weil ich selbst mit dem Dealen anfing. Mit einem Kumpel wollte ich eine gute Quelle und so fuhren wir nach Amsterdam. Dort kamen wir tatsächlich mit dem organisierten Verbrechen in Kontakt und wir importierten Tausende Pillen von Holland nach Südtirol. Vor allem an Wochenenden in Discos konnte ich hier gutes Geld machen und in nur wenigen Stunden mehrere Tausend Euro verdienen. Leider gewöhnt man sich daran und das Interesse an einer geregelten Arbeit schwindet dahin.

In deinem Buch beschreibst du die Kontaktaufnahme mit einem “großen Fisch” in Amsterdam. Es macht den Anschein, als hätte das Leben auf der dunklen Seite auch einen Reiz für dich gehabt. 

Nein, absolut nicht. Es ging um das Geld und auch um die Macht. Zum Ende hin kam auch viel Gewalt hinzu. Ich war zum Teil auch Geldeintreiber. Rückblickend war das einfach grauenhaft. Nach meinem Ausstieg aus der Szene bin ich untergetaucht. Zum einen, um aus meinem Freundes- und Bekanntenkreis auszusteigen, zum anderen wegen der holländischen Drogenmafia. Die haben damals in Amsterdam gesagt: “Wenn ihr hier einsteigt, muss euch bewusst sein, dass man nicht mehr aussteigt. Wir finden euch, egal wo. Ich bin dann auch zwei Mal umgezogen, aber vor allem um aus dem Umfeld wegzukommen.

Du hast dann den Ausstieg aus dem Karussell nach unten aus eigener Kraft geschafft. Kannst du erzählen, wie es dazu kam?

Es gab eine Häufung von negativen Ereignissen in meinem Umfeld. Einige meiner Drogenfreunde sind durch den Konsum völlig ausgetickt. So war etwa eine gute und liebe Freundin nach einem einzelnen Trip mit einem Halluzinogen danach nicht mehr dieselbe. Sie hat als Verkäuferin im Lebensmittelmarkt gearbeitet und dort mit Dosen gesprochen. Ein anderer Kumpel hat sich im Rausch vor einen Zug geworfen und ein anderer ist im LSD-Rausch auf seine Eltern losgegangen. Wie gesagt, es häuften sich solche Ereignisse und auch bei mir ging es gesundheitlich bergab.

Was meinst du damit?

Bei einer Körpergröße von 1,70 Metern wog ich nur mehr 46 Kilogramm und der normale Alltag war eigentlich nur mehr mit Drogen zu bewältigen. Um in der Früh in die Gänge zu kommen, benötigte ich Speed. Weil ich abends dann nicht schlafen konnte, brauchte ich einen Zug aus der Bong, um runterzukommen. Zum Kinofilm wurde Ecstasy eingeworfen, um den Film genießen zu können. Irgendwann bin ich nach der Einnahme von LSD und einem fürchterlichen Trip mit Wahnvorstellungen im Krankenhaus aufgewacht. Mein Bauch war völlig aufgekratzt, weil ich dachte, dass da ein Wurm drinnen ist. Es war kurz vor meinem 20. Geburtstag und der behandelte Arzt meinte: “Machst du so weiter, wirst du keine 23.” Er schilderte mir, wie schlecht meine Laborwerte seien und dass ich eine Fettleber habe. Das war irgendwie ein Weckruf.

Was hast du dann gemacht?

Ich habe mich zu einem Münztelefon begeben und meinen Vater angerufen. Eigentlich gab es kaum noch Kontakt zu ihm, doch er hat abgehoben und ich habe ihm gesagt, dass er recht hatte. Ich wollte mein Leben ändern und er hat mich nach Hause kommen lassen. Ich habe meine Drogenfreunde hinter mir gelassen, meine SIM-Karte durchgeschnitten und erlebte für rund zwei Wochen einen üblen Entzug. Es blieb praktisch nichts im Körper.

Und in welcher Verfassung warst du nach dem Entzug?

Körperlich konnte ich mich nach wenigen Wochen wieder erholen. Doch ich stand plötzlich alleine da. Alle meine Freunde waren schließlich “Drogenfreunde”. Ich hatte außer meiner Familie niemanden mehr. Ich merkte auch recht bald, dass ich an einem Abend in einer Disco keine Freude, kein Gefühl mehr entwickeln konnte. Mein Gehirn hatte schließlich gelernt, dass es Drogen braucht, um Spaß zu haben. Es ist mit einem Erwachsenen vergleichbar, dem man Playmobil vorsetzt. Der hat daran auch nicht mehr den Spaß, den er als Kind hatte.

Musstest du auch eine psychologische Begleitung in Anspruch nehmen?

Nein. Ich hatte nach meinem Entzug überhaupt keine Lust mehr auf Drogen. Daher hatte ich auch nicht das Gefühl, eine psychologische Therapie zu benötigen.

Das alles liegt nun rund 20 Jahre zurück: Wie geht es dir heute? 

Es geht mir zum Glück gut. Ich habe eine Partnerin und eine Tochter. Ich bin froh, so knapp davongekommen zu sein und bin mittlerweile ein regelrechter Gesundheitsfreak. Dass gewisse Emotionen in gewissen Situationen aber weg sind, ist leider geblieben.

Nach all deinen Erfahrungen: Warum glaubst du, dass Menschen überhaupt zu Drogen greifen?

Ich persönlich habe viele Dinge erlebt und kann daher sagen, dass die Gründe vielfältig sind: Manche Leute wollen ihre seelischen Schmerzen damit betäuben. Sie wollen etwa Missbrauch oder Gewalt vergessen. Andere haben die Mutter verloren oder eine Trennung hat sie aus der Bahn geworfen. Das können Ereignisse sein, wo manche in einem schwachen Moment Drogen nehmen. Wieder andere treibt die Neugierde oder der Gruppenzwang dazu. Sie wollen zu den “Coolen” gehören. Es gibt also ein großes Spektrum an Motiven.

Drogen verursachen einen Rausch. Was sind deiner Ansicht nach die negativen Folgen, die dann eher mittel- bis langfristig ans Tageslicht treten?

Es besteht das große Risiko, ohne es zunächst zu merken, in dieser – nennen wir sie Traumwelt – steckenzubleiben. Man wird süchtig nach diesen Substanzen und kann ohne Drogen keinen Spaß mehr haben. Außerdem bringt exzessiver Drogenkonsum den Verlust von Freunden und im schlimmsten Fall von allen, die einem Herzen liegen, mit sich. Die Gesundheit und geistige Klarheit bauen sich rasant ab. Man stiehlt irgendwann Geld, um die Sucht zu finanzieren. Ich habe auch erlebt, wie sich junge Mädchen für ein bisschen Koks verkauft haben. An diesem Punkt besteht auch das Risiko von sexuell übertragbaren Krankheiten. Das alles kann bis zum totalen Kontrollverlust gehen.

Was rätst du Jugendlichen bzw. deren Eltern beim Thema Drogen?

Es kommt irgendwann der Punkt, an dem man sich als Jugendlicher entscheiden muss. Gehe ich diesen Weg für ein bisschen Spaß weiter oder setze ich meine Zukunft aufs Spiel. Man sollte erkennen, wann das der Fall ist. Bei mir war dieser Punkt beim ersten Joint erreicht. Da teilte sich die Freundesgruppe auf. Es gab welche, die sagten, damit wollen wir nichts zu tun haben. Die anderen wurden meine “Drogenfreunde”. Ich wäre da besser auch aufgestanden und gegangen. Wichtig ist auch der Rückhalt zu Hause.

Du bist nun schon einige Jahre raus aus der “Szene”. Was ist deine Sorge, wenn du die aktuellen Entwicklungen verfolgst?

Zu meiner Zeit war das Thema Sicherheit auf der Straße praktisch nicht präsent. Heute würde ich mich zum Beispiel nicht mehr nachts alleine in den Bahnhofspark von Bozen trauen, wenn ich drauf wäre. Es gibt einfach mehr Gewalt auf der Straße. Da hat sich was verändert. Außerdem bin ich besorgt, wenn ich mir die Entwicklungen in den USA mit dem Fentanyl-Problem anschaue. Diese Krise erfasst das Land schon seit Jahren und allem Anschein schwappt dieses synthetische Opioid mittlerweile auch nach Europa. Es wird manchmal in die “normalen” Drogen gemischt und die Junkies werden dann auf diese Weise süchtig danach gemacht. Schließlich wirkt es um ein Vielfaches stärker als Heroin. Wenn das hier so richtig einschlagen sollte, dann bekommen wir ein großes Problem.

Von: luk

Bezirk: Bozen